Leergefegte Straßen gab es in Backnang schon während der ersten Ausgangssperre von Mitte Dezember bis Anfang Februar.Foto: A. Becher
Von Kornelius Fritz
BACKNANG. Im Rems-Murr-Kreis sowie in den angrenzenden Landkreisen Ludwigsburg, Esslingen, Göppingen und dem Ostalbkreis gilt ab Mittwoch wieder eine nächtliche Ausgangssperre. Darauf haben sich die Landräte der fünf Kreise gestern geeinigt. In der Zeit zwischen 21 und 5 Uhr dürfen die Bürgerinnen und Bürger das Haus dann nur noch aus einem wichtigen Grund verlassen, etwa um zur Arbeit zu fahren.
Die Landräte reagieren damit auf die weiterhin steigenden Coronazahlen. Im Rems-Murr-Kreis ist die sogenannte 7-Tage-Inzidenz am Wochenende über den Wert von 150 geklettert, gestern lag er bei 164. Laut Coronaverordnung des Landes müssen Landkreise, die trotz Notbremse deutlich über einem Wert von 100 bleiben, nächtliche Ausgangssperren in Betracht ziehen. In einem Schreiben hat das Sozialministerium die Landräte angewiesen, dieses letzte Mittel ab einer Inzidenz von 150 einzusetzen.
Die gestrige Entscheidung sei deshalb die logische Konsequenz gewesen, so Landrat Richard Sigel, auch wenn er persönlich kein Freund von Ausgangssperren sei, da diese einen erheblichen Eingriff in die Bewegungsfreiheit der Bürgerinnen und Bürger darstellten. In Baden-Württemberg hatte bereits ab 12. Dezember eine landesweite Ausgangssperre in der Zeit zwischen 20 und 5 Uhr gegolten, diese war jedoch zum 11. Februar vom Verwaltungsgerichtshof Mannheim aufgehoben worden.
Mit seinen steigenden Infektionszahlen liegt der Rems-Murr-Kreis im landesweiten Trend. Auch in den Nachbarkreisen hat die Zahl der Neuinfektionen in den vergangenen Tagen deutlich zugenommen. So lag die 7-Tage-Inzidenz gestern im Landkreis Ludwigsburg bei 155, im Kreis Esslingen bei 158, im Ostalbkreis bei 168 und im Kreis Göppingen bei 209. Die höchsten Infektionszahlen in der Region meldet nach wie vor der Landkreis Schwäbisch Hall mit einem Inzidenzwert von 271. Dort dürfen die Bewohner seit 20. März auch tagsüber ihr Haus nur noch mit einem triftigen Grund verlassen.
Mit seinen Landratskollegen sei er sich einig gewesen, dass die bereits getroffenen Maßnahmen nicht ausreichten, um die Fallzahlen spürbar zu senken, erklärt Richard Sigel. „Wir hatten gehofft, dass die Zahlen in den Osterferien sinken. Das Gegenteil war der Fall.“ Sigel betont, man habe aber nicht nur auf die Inzidenz geschaut, sondern die gesamte Pandemielage in den Landkreisen in den Blick genommen, etwa auch die Situation in den Kliniken. Die melden wieder eine deutliche Steigerung bei der Zahl der Patienten, die zudem immer jünger werden. Die Rems-Murr-Kliniken versorgen aktuell 55 Covid-19-Patienten, 18 davon auf der Intensivstation, 14 von ihnen werden künstlich beatmet. Das Durchschnittsalter der Intensivpatienten liegt laut Sigel bei 59 Jahren.
Auch die Impfkampagne gehe noch immer deutlich zu langsam voran, um Wirkung auf das Infektionsgeschehen zu entfalten. Deshalb sei diese gemeinsame Kraftanstrengung in der Region nötig, um die dritte Welle zu bewältigen, erklärt der Landrat. Wobei für Sigel klar ist, dass Verordnungen alleine das Problem nicht lösen werden: „Jeder Einzelne muss sie auch einhalten und mitmachen, nur dann kann das Ganze klappen.“
Im Lauf der Woche hofft man im Landratsamt auch wieder auf verlässlichere Zahlen. Diese waren über Ostern etwas in Schieflage geraten, weil über die Feiertage weniger Tests in Arztpraxen durchgeführt wurden. Das führte in der Statistik zunächst zu sinkenden Zahlen und dann nach Ostern zu einem sprunghaften Anstieg. Sigel geht deshalb davon aus, dass der Inzidenzwert bis Mitte der Woche wieder etwas sinken wird. Einen Trend kann man daraus aber noch nicht ablesen, zumal das Infektionsgeschehen nach Angaben des Landratsamts weiterhin „diffus“ ist, das heißt, es gibt weder regionale Hotspots noch einzelne Ereignisse oder bestimmte Einrichtungen, auf die sich ein größerer Teil der Infektionen zurückführen lässt.
Einer Änderung des Infektionsschutzgesetzes steht Richard Sigel skeptisch gegenüber. Das Problem ist aus seiner Sicht nicht die Umsetzung der beschlossenen Coronamaßnahmen, sondern dass nach wie vor zu wenig Impfstoff geliefert werde: „Wenn man uns da am langen Arm verhungern lässt, geht es auch nicht vorwärts. Da kann man tun und lassen, was man will“, so Sigel. Um die Pandemie zu besiegen, gebe es nur ein Rezept: „Wir können uns aus dieser Krise nur rausimpfen.“
Im Rems-Murr-Kreis sind derzeit 967 Infizierte in Quarantäne, fast alle Gemeinden im Kreisgebiet sind betroffen. Lediglich in Spiegelberg gibt es aktuell keinen gemeldeten Coronafall.
Die meisten Infizierten meldet zurzeit Waiblingen (122) vor Schorndorf (105) und Weinstadt (104). In Backnang sind derzeit 77 Coronainfektionen bekannt.
Seit Beginn der Pandemie haben sich im Rems-Murr-Kreis 15406 Personen mit dem Coronavirus infiziert, 322 sind gestorben.