Tödliche Ansteckung in der Schorndorfer Klinik?

Eine alte Frau stirbt im Schorndorfer Krankenhaus – Als sie eingeliefert wurde, war sie negativ auf Corona getestet worden, kurz vor der geplanten Entlassung positiv

Eine alte Frau, gesundheitlich schwer angeschlagen, wird in die Schorndorfer Klinik eingeliefert, kommt dort wieder zu Kräften, es geht ihr immer besser – kurz vor der Entlassung aber wird sie positiv auf das Coronavirus getestet; und stirbt. Wie konnte es dazu kommen? Eine Spurensuche.

Tödliche Ansteckung in der Schorndorfer Klinik?

Die Frage, ob sich die Seniorin im Schorndorfer Klinikum angesteckt hat, kann nicht beantwortet werden. Foto: E. Layher

Von Peter Schwarz

SCHORNDORF. Frau S. musste aus dem Bett gefallen sein im betreuten Wohnheim: Als ihr Sohn sie am Sonntagvormittag, 22. März, fand, lag sie auf dem Boden, hilflos, verwirrt und gefährlich ausgekühlt. Die Johanniter brachten die 90-Jährige schnellstens in die Klinik, die Ärzte diagnostizierten eine Lungenentzündung, und weil angesichts dieses Befundes der Verdacht auf Coronainfektion im Raum stand, kam die Frau zunächst auf die Isolationsstation und wurde getestet. Das Ergebnis indes war negativ.

Bald gab es weitere hoffnungsvoll stimmende Signale: Die Mutter, erfuhr der Sohn am Telefon von einem Arzt, sei noch schwach, aber es gehe ihr den Umständen entsprechend gut. Nach einigen Tagen wurde Frau S. in die Geriatrie verlegt. Die Geriatrie ist eine besondere Station: gedacht für alte Menschen, die zwar gebrechlich und deshalb betreuungsbedürftig sind, bei denen aber eine gute Prognose besteht, dass man sie mithilfe intensiver Zuwendung wieder aufpäppeln kann. Wer in die Geriatrie kommt, hat das Schlimmste überstanden – jetzt geht es nach der akuten Krise um die Wiederherstellung.

Was der Sohn zu hören bekam, klang in der Tat immer besser – seine Mutter hatte mittlerweile ein Telefon im Zimmer und erzählte, die Leute hier seien nett. Bloß sei ihr langweilig. Ein Plan nahm Gestalt an: Am 15. April sollte Frau S. ins Bethel gebracht werden, zur Reha in Welzheim. Nach Ostern aber konnte der Sohn seine Mutter plötzlich nicht mehr erreichen. Er wählte die Nummer der Station und erhielt nach mehreren Versuchen am 16. April schließlich Auskunft: Seine Mutter sei erneut auf das Coronavirus getestet worden. Diesmal sei das Ergebnis positiv gewesen. Einen Tag später, am Abend des 17. April gegen 19 Uhr, starb Frau S.

Es ehrt die Rems-Murr-Kliniken, dass sie in diesem aufwühlenden Fall weder mauern noch auf Zeit spielen: Einen Fragenkatalog der Zeitung haben sie zügig abgearbeitet. Ja, nach der Einlieferung habe es einen ersten „PCR-Test auf Sars-CoV-2“ gegeben, er „fiel negativ aus. Deswegen erfolgte nach Besserung der Symptome eine Verlegung auf die geriatrische Station. Dann wurde erneut Fieber festgestellt und ein zweites Mal auf Covid-19 getestet. Dieser Test fiel positiv aus. Es erfolgte eine Verlegung auf die Covidstation, wo die Patientin wenige Tage später verstarb.“ Man habe sofort versucht, die „Infektionskette zurückzuverfolgen“, die „Kontakthistorie“ zu ermitteln: Mit welchen Ärzten, Pflegekräften, Patienten hatte Frau S. zu tun? „Eindeutige“ Erkenntnisse aber hätten sich „trotz aller Bemühungen“ nicht ergeben. „Es kann auch sein“, dass die Frau sich gar nicht in der Klinik, sondern „bereits davor infiziert“ habe; vielleicht habe der erste Test nicht angeschlagen, weil „die Virenlast“ noch nicht „hoch genug“ war. Allein, dies klingt nach einer reichlich theoretischen Möglichkeit. „Sehr wahrscheinlich“, das räumt die Klinik selber ein, sei „die Ansteckung auf dem Zimmer der geriatrischen Station“ geschehen. Die Klinik glaubt: vermutlich „durch einen anderen Patienten“. Damit genau so etwas nicht passiert, gibt es eigentlich komplexe Sicherheitsmaßnahmen: Nicht nur würden derzeit keine Besucher ins Haus gelassen, nicht nur trage das Personal Mund-Nasen-Schutz, nicht nur sei der für Coronapatienten vorgesehene Bereich von allen anderen Klinikabteilungen scharf abgetrennt; obendrein werde jeder neue Patient bei der Aufnahme nach Symptomen befragt, bei jedem werde am Eingang die Temperatur gemessen – und jeder, bei dem „Verdacht auf Infektion“ bestehe, werde „umgehend in einen getrennten Bereich gebracht und getestet“. Trotz allem „können wir eine Übertragung des Virus nicht hundertprozentig ausschließen“. Es sei zum Beispiel „denkbar“, dass ein Patient, der selbst „noch keine Symptome“ zeige, „bereits infiziert und ansteckend“ sei.

Ein bundesweites Dauerproblem und seine aktuelle Dimension

Dass es zu solchen Fällen kommen würde, war absehbar – zumal Ansteckungen nicht erst seit Corona ein Problem sind. Auf der Internetseite des Bundesgesundheitsministeriums heißt es: „Jährlich erkranken in Deutschland 400000 bis 600000 Patienten an Krankenhausinfektionen“; etwa „10000 bis 15000“ von ihnen versterben. Corona hat dieses bundesweite Dauerdrama allerdings akut verschärft. Der bislang schockierendste Fall hat sich unlängst in der Brandenburgklinik in Bernau bei Berlin ereignet: Stand vergangenen Freitag hatten sich dort 72 Patienten mit Corona infiziert. Elf von ihnen starben.

Es gehe ihm nicht darum, sagt der Sohn, die Schorndorfer Klinik „an den Pranger zu stellen“, er habe nicht vor, einen juristischen Streit auszufechten. Ihm sei bewusst, dass Menschen in so hohem Alter anfällig sind. Nur: Seine Mutter befand sich offenkundig auf dem besten Wege der Genesung, sie war augenscheinlich über den Berg; bis das Virus zuschlug.

Ist dieser Tod wirklich als unvermeidbar abzuhaken, Schicksal? Tendenziell ja – diesen Schluss legt zumindest die Klinik nahe: Es gebe „höchste“, es gebe „strengste“ Hygiene- und Schutzstandards – aber „mit der Coronapandemie befindet sich jedes Krankenhaus in einer Risikolage“.

Der Sohn von Frau S. hegt da Zweifel. Die Klinik, findet er, müsse den Fall „zum Anlass nehmen“, ihre Abläufe „zu überprüfen: Sind wirklich die inneren Angelegenheiten sauber geregelt?“