Seit zehn Jahren machen Miklós Vajna und Jürgen Oehl miteinander „Filmmusik“: Improvisierte musikalische Untermalung von Stummfilmen, so wie es Anfang des letzten Jahrhunderts üblich war. Wer sie erleben möchte, hat dazu heute im CJE in Steinbach Gelegenheit. Miklós Vajna und Jürgen Oehl improvisieren zu acht Kurzstummfilmen.
Miklós Vajna (rechts) und Jürgen Oehl begleiten Kurzfilmklassiker der Stummfilmzeit mit Piano und Percussion. Auch heute Abend im CJE. Foto: privat
Von renate Schweizer
BACKNANG. Eine ganz normale Szene anno dazumal: Der Mann am Klavier hatte selbstverständlich seinen Platz im Kino und machte – mehr oder weniger passende – Musik zum Film. In Berlin, Paris und New York durfte es auch ein veritables Orchester sein. Und natürlich hieß der Film, der dann lief, auch nicht „Stumm“-Film, denn die „Stummheit“ war ja technischer Standard und kein besonderes Merkmal.
Seit zehn Jahren also musikalische Stummfilmbegleitung von Miklós Vajna und Jürgen Oehl im CJE und anderswo – aber angefangen hat alles viel früher. 2005 war es, als die Galerie der Stadt Backnang eine Ausstellung expressionistischer Kunst der Künstlervereinigung Brücke veranstaltete, bei der Martin Schick, der Galerieleiter, mehr zeigen wollte als nur Bilder an den Wänden. Und so fragte er Miklós Vajna, ob er sich nicht vorstellen könnte, expressionistische deutsche Filme zu untermalen: unheimliche Schmachtfetzen, in denen das Grauen aus jeder Ritze der albtraumartigen Kulissen quoll. Ein gefundenes Fressen für einen experimentierfreudigen Pianisten. Vajna konnte sich das vorstellen und sagte zu. „Das Cabinet des Dr. Caligari“ und „Der Golem“ waren die Horrorklassiker, die dann kurz nacheinander im Filmtheater gezeigt wurden – Familie Eppler, die damals auch das Filmtheater betrieb, nahm die Initiative begeistert auf. „Ich habe mich vorbereitet, indem ich die Filme zum Schrecken meiner Familie 20-mal anschaute und dazu auf dem Klavier improvisierte“ erzählt Vajna. „Damals hatte ich noch kein E-Piano. 20-mal anderthalb Stunden volle Lautstärke – meine Frau hat seitdem nichts mehr für Stummfilme übrig.“
Mitten im Publikum und ganz im Glück: Jürgen Oehl
Es sprach sich herum, dass Vajna es draufhatte mit der Stummfilmbegleitung, und so wurde er immer mal wieder hier und dort angefragt (er zählt stolz auf: Dortmund, Stuttgart, Rudersberg...) – und immer saß da im Publikum Jürgen Oehl, ein echter Fan. Die beiden kamen ins Gespräch. Es stellte sich heraus, dass Oehl Schlagzeug spielte. Sie versuchten es zusammen. Bingo: Seit zehn Jahren sind sie ein Team. Ein bestens eingespieltes. „Inzwischen improvisiere ich den Film nicht mehr 20-mal durch. Ich schaue ihn an, die Assoziationen steigen auf, Stimmung, Atmosphäre, Melodielinien – die Musik entsteht im Kopf und dann ist sie wieder vorbei, ich halte sie nicht fest und schreibe sie nicht auf. Jetzt am Samstag ist unter anderem ein Kurzfilm von Jaques Tati auf dem Programm – also hab ich vermehrt französische Chansons aus dieser Zeit gehört, um die Grundstimmung aufzunehmen.“ So beschreibt Vajna, wie er sich heute vorbereitet. „Jürgen ist da anders, strukturierter: Minute 12 bis 14, das und das, Minute 21 so und so. Während ich mit den Augen dem Film folge und die Hände ,automatisch‘ die Musik dazu machen. Und er spürt, wo’s bei mir hingeht und was ich will. Ich lass eine Lücke – er füllt sie mit Rhythmus. Ich steigere die Dringlichkeit und die Geschwindigkeit oder verzögere – er ist dabei. Er hat eine Unmenge Schlag-, Drück-, Quietsch- und sonstiges Spielzeug dabei und weiß genau, was grade dran ist. Es ist eine schöne Konzentrationsübung.“ Man merkt Vajna beim Erzählen an, wieviel Freude ihm das macht: Die Augen leuchten. Die Hände erzählen mit. Und das, obwohl kein Klavier in der Nähe ist. „Im Idealfall hören Film und Musik auf, zwei verschiedene Dinge zu sein. Sie werden eins. Für den Zuschauer und für uns selbst auch.“
Heute um 20 Uhr im CJE im alten Steinbacher Schulhaus stehen acht Kurzfilme und Ausschnitte auf dem Programm, sozusagen mit dabei sind Charly Chaplin, Buster Keaton, Mickey Mouse, Laurel und Hardy (Stan und Olli/Dick und Doof), Jaques Tati und andere, die Entstehungszeit der Filme reicht von 1902 (Reise zum Mond von Georges Méliès) bis 1947 (Schule der Briefträger von Jaques Tati). Der Eintritt beträgt acht Euro.