Internet auf Leinwand

Kunst und mehr: „Congo Stars“ in der Kunsthalle Tübingen

Von Nikolai B. Forstbauer

Ironisch, abgründig, hoffnungsvoll – so präsentiert die Ausstellung „Congo Stars“ Kunst aus dem Kongo seit 1960. Die Kunsthalle Tübingen ist in einen Parcours durch Geschichte und Gegenwart der zentralafrikanischen Republik verwandelt.

Angstvoll blicken die Menschen auf drei Uniformierte der Gendarmerie Nationale, zwei der Polizisten hieven einen offensichtlich Verletzten in ihren Jeep. Ist es einer der Ihren, wie es die Kleidung und der abgenommene Helm ahnen lassen? Ist es einer aus der sich dicht drängenden Menge?

Moke (1950–2001) verdichtet die Szene zu einer Schnittstelle zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. „Polizei“ (1979) weist den Autodidakten Moke als Maler mit enormer bildnerischer Kraft aus, als Künstler zudem, der das Öffentliche und Politische des Privaten ebenso markiert wie das Private des scheinbar Öffentlichen.

Moke ist zu Lebzeiten ein Star in seiner Heimat Kongo – und auch dies macht er, ­gerne auf der Lebens- und Freiheitsbühne Bar, zum bildnerischen Thema. Musiker und Maler sind Kronzeugen eines immerwährenden Dennoch in der wechselvollen, meist schmerzhaften Geschichte der heutigen ­Demokratischen Republik Kongo. Auch darauf verweist „Congo Stars“, die neue Ausstellung in der Kunsthalle ­Tübingen, schon im Titel.

Der Griff nach den Sternen ist da ­folgerichtig. Monsengu Shula malt ihn 2012 in „Roi satellite“ als knallbunte surreale ­Erinnerung an das Raketenprogramm, das Diktator Mobuto zwischen 1975 und 1979 forcierte. Es ist auch die Geschichte des Stuttgarter Ingenieurs Lutz Kayser und seiner zahlreichen Bande mit früheren Größen der in Peenemünde konzentrierten Raketenforschung Hitler-Deutschlands.

Ironisch, abgründig, hoffnungsvoll – als Internet auf Leinwand präsentiert „Congo Stars“, zuvor in der Kunsthalle Graz gezeigt, die Kunst des zentralafrikanischen Landes. Und doch gibt es Fragezeichen. „Congo Stars“, lässt die finanzielle Rückendeckung gebende Bundeskulturstiftung wissen, „will den Reichtum, die Funktionen und die Traditionslinien von lokal orientierter populärer Malerei im Kongo zwischen den 1960er Jahren und der Gegenwart zeigen“. Die Botschaft: Kunst aus dem Kongo – das ist mehr als Chéri Samba, Moke und Chéri Cherin.

Doch Barbara Steiner, Direktorin des Kunsthauses Graz, peilt noch eine weitere inhaltliche Ebene an. „Congo Stars“, sagt sie, „ist mehr als eine normale Kunstausstellung“, dies zeige schon die Beteiligung von Ethnologen im Projekt-Team. Illustriert nun aber eine dominante Text-Tafel-Architektur die ausgestellten Kunstwerke – oder illustrieren diese umgekehrt den vorgeblich aktuellen, aber selbst doch nur Ausstellungsaufbauten der späten 1970er Jahre spiegelnden Anspruch des Mehr-als-Kunst?

„Congo Stars“, ursprünglich für Tübingen noch von dem kurzzeitigen Kunsthallen-Leiter Holger Kube Ventura (2016 bis 2017) initiiert, will viel. Der als Rauminstallation präsentierte Film „Rumba Rules“ von Sammy Baloji & David N. Bernachez sowie Kirimbi Katembo Siku über die eigene ­Bedeutung von Musik und Tanz, aber auch der beängstigend still die Ausbeutung der Bodenschätze spiegelnde Film „Trapped in the Dream of the Other“ von Revital Cohen & Tuur Van Balen deuten an, welche ­Intensität die Ausstellung hätte entwickeln können. Und fast gehen sie in Bild-Text/Text-Bild-Dauerspannung unter, die Bilder des gerade 28-jährigen Eddy Kamuanga Ilunga. Dabei zeigen doch gerade sie wie in einem Brennglas die politischen, wirtschaftlichen und ästhetischen Bezugspunkte der Gegenwart in der Demokratischen Republik Kongo.

Auch und gerade Ilungas Bilder machen deutlich: Die schnelle Beobachtung des ­privaten und öffentlichen Lebens zwischen Feier und Anklage des Jetzt ist einer so still wie bohrend vorgetragenen Frage gewichen: Um welches Leben in welchem Land es denn eigentlich geht. Kongo als Spielball der Mächtigen seit der belgischen Kolonial­herrschaft und bis hin zur faktischen Übernahme des Landes durch chinesische ­Investitionen – das ist auch das Thema der Zeichenfolge „8. Runde“ über den Schwergewichts-Weltmeister-Boxkampf zwischen George Foreman und Muhammad Ali am 30. Oktober 1974 in Kinshasa. Der „Rumble in the Jungle“ ist Vorbote einer ganzen Kette von Niederschlägen. In der Gegenwart ist Félix Tshisekedi, Chef der Partei Union für Sozialen Fortschritt, neuer Präsident der ­Demokratischen Republik Kongo. „Unser Kongo wird kein Kongo des Hasses und des Stammesdenkens sein“, sagte er bei der Amtseinführung im Januar. Hoffnungssatz und Offenbarungseid zugleich.

Als eine Art Zwischenwelt beleuchtet der in Graz lebende Fiston Mwanza Mujila seine Heimat. 2016 erscheint sein Debütroman „Tram 83“, Skizze des auf einen Nachtclub konzentrierten Lebens in einer deutlich ­heruntergekommenen zentralafrikanischen Stadt. „Tram 83“ zeigt einen Abgrund und wird von der westlichen Literaturkritik für seinen Rhythmus gefeiert.

„Tram 83“ ist ein Impuls für die „Congo Stars“-Macher. Die bleibenden Bilder der Nacht aber schaffen andere: der Maler Moke mit Szenen wie „Chez Antandele bar“ (1993) und der Performance-Künstler Maurice Mbikayi, der das gerne propagierte Dandytum in Glitzerkleidung aus im Kongo ­„entsorgtem“ Elektroschrott aus aller Welt vorführt.