Die Post-Metal-Giganten Amenra zeigen sich am Ostermontag als die letzte Tankstelle vor dem Abgrund. Doch eventuell sind die Belgier bereits einen Schritt weiter. Kritik, Bilder und die Setlist vom Konzert im Wizemann.
Colin H. van Eeckhout von Amenra beim Konzert im Wizemann.
Von Michael Setzer
Die Popsängerin Katy Perry weilte jüngst gemeinsam mit ein paar Besserverdienerinnen für ungefähr elf Minuten im Weltall. Dieser Ausflug, sagte sie, habe ihre Verbindung zur Erde, der Menschlichkeit und dem Leben an sich verstärkt. Andere nehmen am Ostermontagabend aus ähnlichen Gründen am Konzert der belgischen Post-Metal-Giganten Amenra teil. Deren klanggewaltige Lieder dauern auch gerne um die zehn Minuten. Der Lohn, zumindest in der Theorie der Church of Ra, dem Künstlerkollektiv aus Belgien, dem auch die Band Amenra zugehörig ist: eine Form von Reinheit und von Spiritualität.
Und was Amenra da am Ostermontag auf der Bühne im ausverkauften Club des Wizemann anzetteln, ist körperlich im besten Sinne. Das Quintett watet durch Schmerz, Verlust und Trauer, um das Licht zu finden. Oder andersrum: Die Belgier vermitteln jederzeit glaubhaft, wie es sich anfühlen muss, von der Last der Existenz behutsam in eine Betonmauer einmassiert zu werden.
Blut spucken oder ohnmächtig werden
Wenn Colin H. van Eeckhout im sensationellen „De Evenmens“ schreit, dann schreit er so sehr, dass man befürchtet, er könnte gleich Blut spucken oder ohnmächtig werden. Selbst wenn Eeckhout nicht auf Flämisch singen würde, man würde kein Wort davon verstehen. Doch er reicht diese Seelenstrapazen ohne das im Heavy Metal oder Hardcore übliche Romantisieren des Unheils oder des heroischen Kampfes.
Er wirkt wie einer, der sich die Nierensteine und alles Leid der Existenz aus dem Leib schreien muss, um wieder klar denken zu können. Und diese Schmerztherapie braucht keine Farbe, das alles wird lediglich von weißem Licht, Schwarzweiß-Videos im Hintergrund und grobkörniger Brachialmusik gerahmt.
Strapaziöse Kunst
Nichts an der strapaziösen Kunst Amenras ist angenehm. Alles ist entweder wahnsinnig laut oder wahnsinnig leise und immer von einschüchternder Ernsthaftigkeit getragen – Brocken wie „Am Kreuz“ oder „ Plus Près de Toi“ können selbst Amenra-Fans nicht täglich durchstehen.
Einen Großteil des Konzerts verbiegt sich Eeckhout mit dem Rücken zu den rund 550 Gästen im Club des Wizemann, schreit Schlagzeuger Bjorn Lebon seine Zeilen ins Gesicht, während die Gitarristen Mathieu Vandekerckhove und Lennart Bossu zwar mit überschaubaren Mitteln, dafür aber maximalem Druckaufbau und -Ablass agieren. Neu im Quintett: Bassistin Amy Tung Barrysmith, die gemeinsam mit ihrer anderen Band, dem US-Doom-Duo Year Of The Cobra auch den Abend eröffnet.
Das Ziel ist erreicht
Beim wundervollen „A Solitary Reign“ singt Eeckhout dann tatsächlich – beängstigend zerbrechlich und mit dieser magischen kleinen Gitarrenmelodie im Rücken. Alle wippen mit, manche lächeln selig.
Als Amenra diese Kraftdemonstration nach 70 Minuten mit dem wuchtigen „Silver Needle, Golden Nail“ und einem abrupten Schlag beenden, ist das Ziel erreicht. Stille, vielleicht auch Ruhe. Durchatmen. Einer sagt: „Alter!“. Wer will da widersprechen?
Setlist Stuttgart:
– Salve Mater
– Razoreater
– Plus Près de Toi
– Heden
– De Evenmens
– A Solitary Reign
– Ter Ziele
– Am Kreuz
– Silver Needle, Golden Nail
Amenra im Wizemann
Amenra im Wizemann
Amenra im Wizemann
Amenra im Wizemann
Amenra im Wizemann
Amenra im Wizemann
Amenra im Wizemann
Amenra im Wizemann
Amenra im Wizemann