Zu Gast bei Gauthier Dance

Starchoreograf Benjamin Millepied setzt auf Überraschung

Für die nächste Premiere will Eric Gauthier mit zehn Choreografen ein Feuerwerk zünden. Unter ihnen ist Benjamin Millepied, der an der Seite seiner Ex-Frau Natalie Portman auch jenseits der Tanzszene Karriere machte.

Starchoreograf Benjamin Millepied setzt auf Überraschung

Benjamin Millepied mit Luca Pannacci und Bruna Andrade im Studio von Gauthier Dance

Von Andrea Kachelrieß

New York, Los Angeles, Paris – der Choreograf Benjamin Millepied bewegt sich normalerweise auf dem großen internationalen Parkett. Anfang April war der Franzose, den sein Mitwirken an den Kinohits „Black Swan“ und „Dune“ zu einer Art Popstar der Ballettszene machte, allerdings sehr entspannt im Studio von Gauthier Dance am Löwentorbogen anzutreffen, in Kapuzenpulli und Jogginghose statt in Promi-Allüren gehüllt. Die Überredungskunst von Eric Gauthier hatte Millepied per TGV von Paris nach Stuttgart gelockt, hier ist er Teil des zehnköpfigen Choreografen-Line-ups der nächsten Premiere.

Zur Begegnung im Probestudio passt, dass sich auch Gauthier Dance derzeit nicht über mangelnde internationale Aufmerksamkeit beklagen kann. Im März tanzte die Theaterhaus-Kompanie acht ausverkaufte Vorstellungen im New Yorker Joyce Theater. Die Stuttgarter sorgten „für frischen Wind in einer Stadt, die – obwohl sie ein Zentrum des professionellen Tanzes ist – stagnierend wirken kann“, lobte der „Observer“ das Gastspiel. Mit einer Einladung für das Fall for Dance Festival reiste Gauthier Dance heim und wird bereits im September wieder in New York auftreten.

Die frische Brise spürt auch Benjamin Millepied. Er nehme die Einladung nach Stuttgart als willkommene Gelegenheit, wie er am Rand der Proben sagt, „um mal etwas anderes auszuprobieren“. Wer Millepieds eigene Projekte kennt, folgt den zwei Paaren im Studio verblüfft. Selbst in urbanem Kontext, wie ein Video zu einem Song von Jeff Buckley zeigt, fließt sein Tanz meist elegant und schön; doch bei Gauthier Dance wird auffallend locker und sehr befreit zur „Hymn to Freedom“ des Oscar Peterson Trios getanzt. „Das soll wie eine Überraschung sein“, spornt Millepied die Tänzer zu pointierten Bewegungen an, die blitzschnell wie ein Reflex zucken, um sich an anderen, langsameren Stellen trudelnd und torkelnd auszuprobieren.

„Fireworks“ heißt der zweiteilige Abend, der zum Finale des Theaterhaus-Jubiläumsreigens ein getanztes Feuerwerk zünden will. Eric Gauthier hat den daran beteiligten Choreografen 50 Musik-Stars vorgegeben, deren Namen eng mit dem Theaterhaus verbunden sind, von Charles Aznavour über die Fantastischen Vier bis zu Konstantin Wecker reicht die Liste. „Als ich das zweite Mal darauf schaute, waren meine Favoriten schon weg“, sagt Benjamin Millepied. So kamen er und die Musik des Oscar Peterson Trios eher zufällig zusammen. Getestet habe er sie beim morgendlichen Aufweckritual für seine beiden Kinder – und die „Hymn to Freedom“ kam an.

Auch die Auswahl der Tanzenden war, wie man sich bei zehn konkurrierenden Choreografen vorstellen kann, kein Wunschkonzert. Ein Duett oder ein Stück für vier Tänzer könnte er zu „Fireworks“ beitragen, so Millepieds Vorgabe an Eric Gauthier. „Als mir die vier vorgestellt wurden, kam ich rein und sah, dass die beiden Frauen größer waren als die Männer“, sagt der Choreograf und lacht. So kommt es zu ungewöhnlichen, an Standardtänze erinnernden Szenen, bei denen die beiden Frauen die Führung übernehmen dürfen. Dadurch gewinne der Titel des Musikstücks im Tanz eine aktuelle Perspektive, wie Millepied andeutet: „Es geht um die Freiheit eines jeden, die angefüllt mit Freude, Fröhlichkeit und Spontaneität sein sollte.“

Die Frauen übernehmen die Führung

Die ungefähre Struktur des Tanzstücks habe er schon bei seiner Ankunft im Kopf gehabt, erläutert Millepied seine von der Musik ausgehende Arbeitsweise; die Ausgestaltung war für ihn ein Spaziergang, der ihm im Dialog mit den Gauthier-Profis so locker von der Hand ging, dass bereits nach eineinhalb von drei Tagen die komplette Freiheits-Hymne stand. „Es ist eine heitere Jazz-Nummer – leicht, verspielt und unprätenziös“, beschreibt Millepied Oscar Petersons Musik, in deren Herz er mit seinem Tanz vordringen wolle. „Ich zeige vier Menschen, die zusammen tanzen und ein Stück Weg gemeinsam zurücklegen“, sagt der Choreograf und hat ein Leuchten im Blick aus stechend blauen Augen.

In Paris wartet viel Arbeit

Der Weg des französischen Starchoreografen sieht Freelance-Ausflüge, wie den für Gauthier Dance, nicht mehr unbedingt vor. Als Familienvater, der nach der Scheidung von seiner Frau, der Schauspielerin Natalie Portman, für die beiden Kinder da sein möchte, setzt Millepied vor allem auf die Arbeit mit den eigenen Kompanien, dem L.A. und dem Paris Dance Project. „Aber Eric Gauthier hat so sehr insistiert, dass ich ihm den Wunsch nicht ausschlagen wollte und zugesagt habe. Drei Tage sind ja auch machbar“, sagt Millepied, „für drei Wochen hätte ich nicht kommen können.“

In Paris, wo der Choreograf 2014 die Leitung des Balletts der Opéra übernommen hatte, um nach etwas mehr als einem Jahr, frustriert von eingefahrenen und schwer änderbaren Strukturen, das Handtuch zu werfen, wartet viel Arbeit auf ihn. Zusammen mit anderen Choreografen will Millepied die Musik von Philip Glass zum Film „Koaanisqatsi“ in einem Tanzevent umsetzen, das die Stadt auch open air bespielen soll. Doch das ist nicht alles: So hat er am 28. Juni das Finale der Rugby-Saison im Kalender, für das Benjamin Millepied die Gestaltung der Eröffnungszeremonie im Stade de France übernommen hat.

Info

PersonBenjamin Millepied, 1977 in Bordeaux geboren, schloss seine Ausbildung zum Tänzer in New York ab, wo er von 1995 bis 2011 Mitglied des York City Ballets war. Von 2014 bis 2016 war er Ballettdirektor der Pariser Oper. Als Choreograf und Schauspieler wirkte er am Film „Black Swan“ mit, für den Kinohit „Dune“ gestaltete er den „Sandwalk“. Millepied ist selbst auch als Filmregisseur tätig; in „Carmen“ (2022) erzählt er das Drama neu als Geschichte einer Geflüchteten an der Grenze zwischen Mexiko und den USA.

PremiereIn „Fireworks“ präsentiert Gauthier Dance erstmals am 30. April, 20 Uhr, zehn Kurzchoreografien von Mauro Bigonzetti, Virginie Brunelle, Stijn Celis, Dominique Dumais, Andonis Foniadakis, Marco Goecke, Johan Inger, Barak Marshall, Benjamin Millepied und Sofia Nappi. Der zweite Teil des Abends bringt mit Höhepunkten aus 17 Jahren Gauthier Dance die Hauptkompanie und die sechs Junioren auch gemeinsam auf die Bühne. Fünf weitere Vorstellungen folgen bis zum 4. Mai.

Starchoreograf Benjamin Millepied setzt auf Überraschung

Weitere Probenszene für Benjamin Millepieds „Fireworks“-Beitrag mit Bruna Andrade, Izabela Szylinska, Luca Pannacci und Giovanni Visone (von links)

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Giovanni Visone, Luca Pannacci, Izabela Szylinska und Bruna Andrade im Studio bei Proben mit Benjamin Millepied

Starchoreograf Benjamin Millepied setzt auf Überraschung

Marco Goecke erarbeitet für die Premiere ein Duett mit Shori Yamamoto und Sidney Elizabeth Turtschi.

Starchoreograf Benjamin Millepied setzt auf Überraschung

Auch die italienische Choreografin Sofia Nappi (vorn) macht mit beim Tanz-Feuerwerk, sie probt mit Tuti Cedeño, Shawn Wu, Stefano Gallelli und Garazi Perez Oloriz (von links).