Die neue Koalition in Berlin will untersuchen lassen, ob Kinder schon ab zwölf Jahren strafmündig sein können. Baden-Württemberg hat maßgeblich mit angestoßen, dass diese Frage wissenschaftlich untersucht werden soll.
Eine Prügelei auf dem Schulhof kann schlimm enden. Die Frage ist, ab welchem Alter auch Kinder strafmündig sein können.
Von Christian Gottschalk
Immer dann, wenn Kinder zu Straftätern werden, kommt sie auf, die Diskussion um die Strafmündigkeit. Im Februar war das in Stuttgart der Fall, als ein 13-Jähriger im Streit einen Zwölfjährigen gegen eine fahrende Stadtbahn gestoßen haben soll. Die Auseinandersetzung endete tödlich. Bundesweit machte der Fall eines 13-Jährigen Schlagzeilen, der vergangenen Sommer einen Obdachlosen in Dortmund erstochen haben soll. Im Jahr zuvor soll die zwölfjährige Luise aus Freudenberg von zwei gleichaltrigen Mädchen getötet worden sein.
Unter 14 Jahren nicht strafmündig
Die neue Bundesregierung sieht in ihrem Koalitionsvertrag vor, sich des Themas anzunehmen – wenn auch verklausuliert. „Zu den Ursachen der gestiegenen Kinder- und Jugendgewalt werden wir eine Studie in Auftrag geben, die auch gesetzgeberische Handlungsoptionen erfasst“, heißt es knapp und kryptisch auf vier Zeilen. Dahinter verbirgt sich der Versuch, die Lage grundlegend wissenschaftlich zu analysieren – den vor allem von der Union immer wieder artikulierten Wunsch, das Strafmündigkeitsalter von derzeit 14 auf zwölf Jahre zu senken inklusive.
Bei der Gewaltkriminalität verzeichnet die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) für das Jahr 2024 insgesamt 13755 tatverdächtige Kinder unter 14 Jahren – ein Anstieg um ganze 11,3 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Auch wenn Kinder unter 14 Jahren in Deutschland nicht strafmündig sind, können sie dennoch als Tatverdächtige im Rahmen der PKS registriert werden. Vor Gericht gestellt werden sie nicht. Ob das richtig ist, ist umstritten – politisch und in der Fachwelt. Der Deutsche Anwaltverein und die Neue Richtervereinigung (NRV) hatten sich mehrfach gegen eine Absenkung der Altersgrenze ausgesprochen. Die Polizeigewerkschaft meint, dass viele Kinder sich ihrer Strafunmündigkeit bewusst sind, und fordert ein Absenken auf zwölf Jahre.
Justizminister sind sich uneins
Unterschiedlich wird das Thema auch von den Justizministern der Länder beurteilt. In Baden-Württemberg gehört Marion Gentges (CDU) schon seit langem zu denjenigen, die zumindest prüfen lassen möchte, ob die aktuell geltende gesetzliche Altersgrenze noch angebracht ist. Bei den letzten Justizministerkonferenzen hat Baden-Württemberg zusammen mit Berlin, Schleswig-Holstein, Sachsen und Sachsen-Anhalt einen entsprechenden Antrag eingebracht, dafür allerdings knapp keine Mehrheit gefunden.
So hält ihr NRW-Kollege Benjamin Limbach (Grüne) eine Senkung des Alters für „den falschen Weg“, Bremen sieht „keinen sachlichen Anlass“ eine entsprechende Studie in Auftrag zu geben und aus Mecklenburg-Vorpommern verweist Justizministerin Jacqueline Bernhardt (Linke) darauf, dass der Gesetzgeber „aus gutem Grund“ Altersgrenzen eingeführt habe.
Regel ist schon mehr als 100 Jahre alt
Genau daran gibt es Zweifel. Die aktuelle Strafmündigkeitsgrenze stammt aus dem Jahr 1923. Kritiker behaupten, sie sei eher willkürlich so festgelegt worden. Ein Blick über die Grenzen zeigt, dass man die Frage, ab wann ein Mensch die Fähigkeit haben sollte, sein begangenes Unrecht auch zu erkennen, durchaus unterschiedlich handhaben könnte. Das gilt allerdings in beide Richtungen.
In Portugal beginnt die Strafmündigkeit erst ab 16 Jahren, in Polen noch ein Jahr später. Für Mord können aber auch schon 15-Jährige bestraft werden. In Frankreich werden Kinder unter 13 Jahren in der Regel als nicht urteilsfähig angesehen, in den Niederlanden liegt die Altersgrenze bei zwölf Jahren. Ungarn hatte das die Grenze vor gut zehn Jahren von 14 auf zwölf Jahre gesenkt, in Irland liegt sie bei zwölf Jahren, allerdings können bei schweren Taten auch schon Zehnjährige bestraft werden. Großbritannien ist das Land mit dem strengsten Jugendstrafsystem in Europa. Hier können auch schon Zehnjährige zu langen Haftstrafen verurteilt werden. Das Komitee für Kinderrechte der UN weist seit Jahren darauf hin, dass dies zu streng ist – und fordert das Mindestalter für Strafmündigkeit auf mindestens 14 Jahre anzuheben.
Prüfen, wann Kinder zur Einsicht fähig sind
Baden-Württembergs Justizministerin zeigt sich erfreut über die Berliner Pläne. „Auch in Baden-Württemberg begehen Kinder unter 14 Jahren immer häufiger schwere Straftaten“, sagt Marion Gentges. Daher müsse man prüfen, wann die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit einsetze und damit die Strafmündigkeit angenommen werden könne. Darüber hinaus brauche man Möglichkeiten, strafunmündigen Kindern das begangene Unrecht vor Augen zu führen und sie zu unterstützen – „unabhängig vom Einverständnis der Eltern.“