Um die Wärme des Abwassers nutzen zu können, sind gewisse zuverlässige Durchflussmengen nötig. Solche sind in Backnang nur im Hauptkanal gewährleistet. Foto: Mulderphoto – stock.adobe.com
Von Matthias Nothstein
Backnang. Auf dem Markt der Energieversorgung ist so viel Bewegung wie vielleicht noch nie. Jedermann weiß spätestens nach dem Ausbruch des Ukrainekriegs, dass es nicht einfach so weitergehen kann wie bisher. Alternative Energieformen sind auf dem Vormarsch. Eine bislang nur wenig beachtete Energiequelle ist das Abwasser. Bislang wurde es nur selten zur Wärmegewinnung genutzt. Vielmehr floss es zum überwiegenden Teil unbeachtet in die Kläranlagen. Das könnte sich bald ändern, denn im Abwasser schlummert großes Potenzial.
Wie viel Energie steckt im Abwasser? Jan Butz, der stellvertretende Abteilungsleiter des Stuttgarter Ingenieurbüros Klinger und Partner, ist Spezialist auf dem Gebiet Bauwesen und Umwelttechnik. Er sagt: „Die Ausbeute einer einzelnen Anlage hängt vor allem vom vorliegenden Abwasserstrom ab und von der Größe der Anlage. Flächendeckend geht man davon aus, dass fünf bis zehn Prozent des Wärmebedarfs von Gebäuden über Abwasserwärmenutzung gedeckt werden könnten.“
Was ist in Backnang machbar? In Backnang hat sich die Stadtverwaltung bereits in den Jahren 2007/2008 intensiv mit dem Thema Abwasserwärmenutzung beschäftigt. Auslöser waren unter anderem die damals anstehenden Bauvorhaben Schweizerbau in der Annonaystraße und das Pflegeheim an der Ecke Wilhelmstraße/ Friedrichstraße. 2008 erfolgte eine Machbarkeitsstudie zur Abwasserwärmenutzung durch das Ingenieurbüro Klinger und Partner in Kooperation mit dem Institut Energie in Infrastrukturanlagen aus Zürich. Das Ergebnis lautete, dass in Backnang die Nutzung der Abwasserwärme nur im Bereich des bestehenden und nicht entlastbaren Sammlers möglich ist. Dieser riesige Kanal verläuft unter der Talstraße, Gerberstraße, Wilhelmstraße, Fabrikstraße und dem Fußweg von der Unteren Au zur Lindauer Straße bis zur Sammelkläranlage Neuschöntal.
Welche Varianten gibt es? Drei Varianten stehen grundsätzlich zur Verfügung. Die Abwasserwärme könnte durch den Einbau von Wärmetauschern in die bestehenden Kanäle erfolgen. Oder es müssten neue Kanäle verlegt werden, die über entsprechende Einbauten mit Wärmetauschern verfügen. Die dritte Variante wäre eine Bypasslösung mit Wärmetauschern.
Aufgrund des sehr geringen Gefälles des Hauptkanals würde der Einbau von Wärmetauschern zu betrieblichen Problemen wie zum Beispiel Rückstau, Ablagerungsbildungen und Geruchsbelästigungen führen. Aus diesem Grund ist diese Variante nicht möglich. Somit bleiben nur zwei Möglichkeiten übrig. Erstens: Ein geeigneter Kanalabschnitt wird in offener Bauweise erneuert. Dabei müssten die neuen Rohre mit eingebauten Wärmetauschern so tief verlegt werden, dass das Gefälle erhalten bleibt. Zweitens: Vom bestehenden Kanal wird ein Bypass abgezweigt. In diesem Parallelkanal könnten Wärmetauscher eingebaut werden.
Würde sich dieser Aufwand lohnen? Aus wirtschaftlicher Sicht betrachtet wird sich ein Projekt nur dann rechnen, wenn aufgrund des Zustands oder der Hydraulik des Bestands eine Erneuerung der betreffenden Kanalabschnitte ohnehin erforderlich wäre. Laut dem Backnanger Tiefbauamtsleiter Lars Kaltenleitner ist momentan in den Straßen, in denen die geeigneten Kanäle verlaufen, keine solche Sanierung zwingend nötig. Allerdings verweist Kaltenleitner auf das Mammutprojekt IBA-Quartier. Dort werden in absehbarer Zeit genau solche grundlegenden Kanalarbeiten ohnehin nötig werden. Und so verspricht Kaltenleitner: „Im Zuge der weiteren Planungen zum IBA-Quartier West wird das Thema Wärmegewinnung aus Abwasser daher auf jeden Fall weiter untersucht.“ Die Machbarkeitsstudie habe schließlich gezeigt, dass die Abwasserwärmenutzung für die untersuchten Bereiche durchaus wirtschaftlich sein könnte, auch wenn die Umsetzung laut Kaltenleitner aufgrund umfangreicher Tiefbauarbeiten sehr hohe Kosten mit sich bringt. Andererseits ist es für Kaltenleitner selbstverständlich, dass beim Vorzeigeprojekt IBA-Quartier sämtliche Energieversorgungsmöglichkeiten in Betracht gezogen werden, und nicht nur beispielsweise eine Festlegung auf Fotovoltaik erfolgt.
Wie groß darf die Entfernung zum Abnehmer sein? Wenn Wärme über lange strecken transportiert werden muss, sinkt der Wirkungsgrad. Deshalb sollten die Abnehmer der Wärme recht nah liegen. Dabei spielt die Größe der Anlage eine gewichtige Rolle. Je größer die Anlage ist, desto eher lohnt es sich auch, längere Transportwege in Kauf zu nehmen. Der Premiumbereich im städtischen Umfeld liegt laut Jan Butz bei 150 bis 300 Meter um den Kanal herum. Allerdings eignet sich die Technologie längst nicht für jedes Gebäude. Wärmepumpen arbeiten nur dann wirtschaftlich, wenn in dem Gebäude eine Niedertemperaturheizung (Fußbodenheizung) installiert ist. Diese kommen mit geringen Temperaturen aus. Deshalb müssen die Wärmepumpen nur wenig Arbeit leisten, um die Abwasserwärme auf das nötige Niveau zu bringen.
Kann auch die Kläranlage solche Energie liefern? Im Zuge der anstehenden Kläranlagensanierung wird das Thema Wärmegewinnung aus Abwasser ebenso untersucht. Im Bereich des Auslaufs der Kläranlage bietet es sich laut Kaltenleitner an, mit Wärmetauschern dem gereinigten Abwasser Wärme zu entziehen, bevor es in die Murr eingeleitet wird. Der Amtsleiter verweist zudem darauf: „Neben dem energetischen Nutzen hätte dies auch positive Auswirkungen auf die Gewässerökologie.“
Praxisbeispiele Anlagen, die aus Abwasser Wärme gewinnen, gibt es schon einige. Jan Butz nennt Beispiele: „Die europaweit größte Anlage haben wir gerade in Stuttgart am Neckarpark gebaut. Sie bedeckt die Sohle eines Kanals, der 2,40 Meter breit ist über eine Länge von 300 Metern. Die Entzugsleistung ist dabei 2,1 MW.“ Weitere, teilweise deutlich kleinere Anlagen haben Klinger und Partner in Bretten, Tübingen, Kirchheim und Göppingen geplant und den Bau überwacht. Den Löwenanteil des Markts in Deutschland hat die Firma Uhrig aus Geisingen. In Waiblingen gibt es seit 1986 eine Anlage, die das geklärte Wasser aus dem Ablauf der Kläranlage nutzt. In Winnenden wurde 2012 ein besonderer Wärmetauscher im Zulauf zur Kläranlage gebaut, der als Wickelrohr um den neuen Kanal ausgeführt wurde und somit auch die Wärme aus dem Erdreich nutzt.
Durchfluss Um eine solche Anlage wirtschaftlich betreiben zu können, muss der mittlere Trockenwetterabfluss laut eines Faustwerts etwa 15 Liter pro Sekunde betragen. Zwar fließt nachts aus nahe liegenden Gründen weniger Abwasser im Kanal als tagsüber. Da dies aber bekannt ist, können die Anlagen so ausgelegt werden, dass sie auch zur Nachtzeit zuverlässig funktionieren.
Verstopfungen Bei den üblichen Anlagen, die an der Sohle des Kanals befestigt sind, gibt es laut den Experten keine Probleme wie etwa Verstopfungen. Jan Butz sagt: „Es gibt nichts, was verstopfen kann. Die Anlagen laufen jahrelang sehr robust.“
Temperatur Üblicherweise wird das Abwasser über den Wärmetauscher um ein bis drei Grad Celsius abgekühlt. Findet die Entnahme vor der Kläranlage statt, vermischt sich das abgekühlte Abwasser aber meist noch mit frischem, warmen Abwasser, sodass die entscheidende Abkühlung – nämlich die auf der Kläranlage – weitaus geringer ausgeprägt ist. Unproblematisch ist diese Abkühlung allerdings nicht, sie muss vielmehr bei der Planung abgeklärt werden. Würde das Abwasser im Winter zu stark abgekühlt werden, dann würde der biologische Teil der Kläranlagen nicht mehr richtig funktionieren, da die Mikroorganismen, die die Reinigung vollziehen, bei niedrigeren Temperaturen langsamer arbeiten. Um hier Probleme zu vermeiden, kann zur Abhilfe eine Notabschaltung oder Drosselung der Abwasserwärmenutzungsanlage vereinbart werden.