„Ältere haben es immer noch schwer“

Das Interview: Jürgen Kurz, Leiter der Agentur für Arbeit Waiblingen, analysiert den Arbeitsmarkt im Rems-Murr-Kreis

Der Arbeitsmarkt im Rems-Murr-Kreis zeigt kein einheitliches Bild: Auf der einen Seite gibt es einen kleinen Kreis von Menschen, die im Grunde nicht in Arbeit vermittelbar sind. Auf der anderen Seite klagen viele Betriebe, es seien keine Fachkräfte zu finden, und Ausbildungsplätze bleiben unbesetzt. Zum Jahresanfang erläutert der Leiter der Arbeitsagentur Waiblingen, Jürgen Kurz, die Situation auf dem Arbeitsmarkt.

„Ältere haben es immer noch schwer“

„Ein Teil der Langzeitarbeitslosen ist im Moment kaum vermittelbar“: Jürgen Kurz. Foto: A. Palmizi

Von Martin Winterling

Herr Kurz, im Frühjahr 2019 gehen Sie in den Ruhestand. Wie schaut das Fazit des Arbeitsmarkts im Rems-Murr-Kreis über die vergangenen sieben Jahre aus?

Seit 2012 ist die Arbeitslosenquote stetig gefallen, die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten ist konsequent gestiegen. Gleichzeitig hat sich aufgrund der demografischen Entwicklung das Verhältnis von Jugendlichen, die eine Ausbildung anstreben, und der Anzahl an angebotenen Ausbildungsplätzen deutlich verändert. Dies bedeutet für den Arbeitsmarkt im Rems-Murr-Kreis, dass Arbeitsstellen für Fachkräfte nicht besetzt werden können und viele Betriebe erfolglos Auszubildende suchen. Insgesamt kann ich aus Sicht der Arbeitsuchenden also eine überwiegend positive Bilanz ziehen. Was ich aber sehr schade finde: Trotz dieser Situation profitieren schwächere Jugendliche sowie Ältere und Behinderte nach wie vor nicht im gewünschten Umfang von der positiven Arbeitsmarktentwicklung.

Die Arbeitslosigkeit ist 2018 erneut zurückgegangen. Ist mit der Quote von 2,8 Prozent Vollbeschäftigung erreicht?

Vollbeschäftigung wird je nach Sichtweise unterschiedlich definiert. Nach einigen Definitionen kann man für den Rems-Murr-Kreis mit der aktuellen Arbeitslosenquote von Vollbeschäftigung sprechen. Mir geht es allerdings nicht darum, ob wir Vollbeschäftigung haben oder nicht. Mir ist es wichtig, Menschen in Arbeit zu bringen. Bei der derzeitigen wirtschaftlichen Lage bedeutet dies vor allem, Menschen, die es sehr schwer haben, eine für sie geeignete Tätigkeit zu finden, zu unterstützen und gemeinsam mit ihnen wieder eine berufliche Perspektive zu entwickeln.

Welche Personengruppen unter den Arbeitslosen können Ihrer Meinung nach nur von Vollbeschäftigung träumen?

Wie bereits gesagt, haben es leider Ältere und Menschen mit Behinderung immer noch schwer, eine neue Beschäftigung zu finden. Aber auch Alleinerziehende und Personen ohne Berufsausbildung beziehungsweise verwertbare Berufskenntnisse sowie Arbeitsuchende mit keinen oder geringen Deutschkenntnissen haben nach wie vor deutlich geringere Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Gerade bei Älteren hängt es sehr stark von der nachgefragten beruflichen Qualifikation ab.

Langzeitarbeitslose sind zwar nicht Ihr Metier, sondern das Ihres Kollegen Gunnar Schwab im Jobcenter. Dennoch die Frage: Was halten Sie von einem zweiten Arbeitsmarkt für Menschen, die auf dem ersten den Boden unter den Füßen verloren haben?

Trotz der sehr guten konjunkturellen Lage gibt es Menschen, die – aus unterschiedlichsten Gründen – sehr arbeitsmarktfern sind. Es geht um Personen, die bereits sehr lange arbeitslos sind, die älter sind, gesundheitliche Einschränkungen und in der Regel keine Berufsausbildung haben. Bei einem Teil von ihnen ist davon auszugehen, dass sie am ersten Arbeitsmarkt im Moment kaum vermittelbar sind. Wir wollen aber erreichen, dass sie wieder mehr am sozialen Leben teilhaben. Deshalb spricht man auch vom sozialen Arbeitsmarkt. Bei dieser Form der Unterstützung handelt es sich also nicht um ein arbeitsmarktpolitisches Instrument zur Integration von Langzeitarbeitslosen in den Arbeitsmarkt, sondern um ein sozialpolitisches Instrument für einen kleinen Kreis von Menschen. Das bedeutet nicht, dass sie dauerhaft in diesem Unterstützungssystem bleiben müssen. Die Betroffenen sollen aber auf diese Weise die Chance erhalten, sich zu stabilisieren und im Arbeitsalltag zurechtzukommen, um im nächsten Schritt wieder auf dem ersten Arbeitsmarkt Fuß zu fassen.

Die Kehrseite einer festgefahrenen Arbeitslosigkeit ist der Fachkräftemangel. Wo zeigt sich der am stärksten?

Die sehr niedrige Arbeitslosigkeit in der gesamten Region führt dazu, dass in einigen Branchen ein Fachkräfteengpass entsteht beziehungsweise sich dieser weiter verschärft. So wie deutschlandweit werden auch im Rems-Murr-Kreis vor allem bei Pflege- und Gesundheitsberufen, im Bildungsbereich, in der Gastronomie, in der Baubranche, dem Handwerk sowie im IT-Bereich händeringend Fachkräfte gesucht. Auch im sozialen Bereich hat sich in den letzten Jahren der Fachkräftebedarf deutlich erhöht. Eine regionale Besonderheit ist die herausragende Rolle, die das verarbeitende Gewerbe für die Wirtschaft im Landkreis spielt. 39 Prozent der rund 150000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigten sind im produzierenden Gewerbe tätig, in diesem dominiert wiederum der Maschinen- und Fahrzeugbau. In diesen Bereichen herrscht eine anhaltend hohe Nachfrage nach technisch qualifizierten und spezialisierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Neben diesem großen Bedarf im gewerblichen Sektor führt ein vergleichsweise hoher Anteil an diakonischen und anderen sozialen Einrichtungen und Berufsbildungswerken im Bezirk zu einer höheren Nachfrage nach Arbeitskräften im sozialen und pflegerischen Bereich.

Mit Blick auf die Arbeitslosen der Arbeitsagentur, im Fachjargon SGB-III-Arbeitslose genannt: Wie lang sind diese im Durchschnitt arbeitslos, bis sie wieder eine neue Anstellung finden?

Kundinnen und Kunden der Arbeitsagentur Waiblingen waren im Jahr 2018 nach durchschnittlich 95 Tagen wieder in einer Beschäftigung oder haben eine selbstständige Tätigkeit aufgenommen. Dabei ist jedoch zu beachten, dass viele nur ganz kurz arbeitslos sind, während andere eine Qualifizierung benötigen, sodass es deutlich länger dauert, bis sie wieder in ein Beschäftigungsverhältnis einmünden.

Der Beitrag zur Arbeitslosenversicherung wird gesenkt. Müssen Sie jetzt sparen? Und, wenn ja, wie und wo?

Obwohl durch die Beitragssatzsenkung bundesweit rund sechs Milliarden Euro weniger eingenommen werden, steht weiterhin ausreichend Geld für die Finanzierung von Fördermaßnahmen zur Verfügung. Die Finanzmittel für die Weiterbildungsförderung werden im Haushalt 2019 der Bundesagentur für Arbeit sogar von 1,66 Milliarden auf 2,1 Milliarden Euro aufgestockt. Ich versichere Ihnen, dass keine sinnvolle und notwendige Maßnahme mangels Geld gestrichen werden muss. Im Gegenteil, für mich ist es wünschenswert, dass sich auch Beschäftigte weiterqualifizieren und unsere Fördermöglichkeiten nutzen, um für die technische Weiterentwicklung gewappnet zu sein.

Wie viel Geld ist für Weiterbildung oder Eingliederung 2018 ausgegeben worden – im Vergleich zu 2017?

Im Jahr 2018 investierte die Waiblinger Agentur für Arbeit 10350000 Euro in Qualifizierungs- und Vermittlungsmaßnahmen – rund 650000 Euro weniger als im Jahr 2017. Der Rückgang der Fördersumme ist auf den Rückgang der Arbeitslosigkeit und das damit einhergehende geringere Kundenpotenzial zurückzuführen.

Im Rems-Murr-Kreis leben rund 5000 Flüchtlinge. Wie steht es um deren Vermittlung in den Arbeitsmarkt? Wie viele sind schon in Arbeit? Wie viele gelten als arbeitslos?

Damit Flüchtlinge im Rems-Murr-Kreis beruflich Fuß fassen können, haben Arbeitsagentur, Jobcenter und Landkreis im Jahr 2016 eine gemeinsame Anlaufstelle eingerichtet, das IBA-Team. IBA steht für Integration, Beratung, Arbeit und Ausbildung. Von den rund 5000 Geflüchteten sind derzeit zirka 3000 beim IBA-Team in Betreuung. Von diesen Personen stehen momentan 445 für eine unmittelbare Vermittlung in Arbeit oder Ausbildung zur Verfügung, der andere Teil befindet sich noch in einem Integrations- oder Sprachkurs oder nimmt an einer anderen Qualifizierungsmaßnahme teil. Im Jahr 2018 haben über 700 Geflüchtete, die vom IBA-Team betreut wurden, eine Arbeitsstelle angetreten, 208 weitere haben eine Ausbildung begonnen. Im Durchschnitt hat also jeder vierte Bewerber im Jahresverlauf eine Arbeit oder Ausbildung aufgenommen. Die Integration in Arbeit und Ausbildung läuft damit sowohl bei der Arbeitsagentur als auch beim Jobcenter besser als erwartet. Allerdings wird es auch eine gewisse Zahl an Kunden geben, deren Deutschkenntnisse nicht für eine Qualifizierung ausreichen. Für diesen Kundenkreis alternative Wege der Vermittlung zu finden und gezielt Arbeitgeber anzusprechen, wird eine der Herausforderungen im Jahr 2019 sein.

Info
Qualifizierung

Die Agentur für Arbeit unterstützt Betriebe und Arbeitslose unter anderem, indem sie bei der Qualifizierung hilft. „Unbedingt notwendig ist für uns, dass die Qualifizierung an der Marktlage, also am Bedarf auf dem Arbeitsmarkt, ausgerichtet wird. Nur so kann die Qualifizierung zu einer langfristigen beruflichen Integration führen“, so Jürgen Kurz, der Leiter der Waiblinger Arbeitsagentur.

Laut Kurz werden Arbeitgeber ermutigt, „auch Menschen, die einen gewissen Förderbedarf aufweisen, eine Chance zu geben, anstatt die Stelle unbesetzt zu lassen“. Die Agentur könne während der Einarbeitungszeit finanzielle Unterstützung bieten.

Das neue Qualifizierungschancengesetz ermögliche es, künftig auch Beschäftigte mit Berufsabschluss zu fördern, Stichwort Digitalisierung und Strukturwandel.