Angeklagter gesteht gleich zu Beginn

Ehemaliger Mitarbeiter der Stadtwerke Backnang steht wegen veruntreuter Gelder vor Gericht – Mehr als 725000 Euro Schaden

Anfangs habe er es getan, weil ihn die Schuldenlast zu erdrücken drohte. Später, weil es so einfach war. Im Prozess um den Betrug bei den Backnanger Stadtwerken hat der angeklagte 48-Jährige gestern am Stuttgarter Landgericht ein umfassendes Geständnis abgelegt. Dem ehemaligen Mitarbeiter wird zur Last gelegt, sich durch etwa 240 unrechtmäßige Auszahlungen von seinem Arbeitgeber insgesamt mehr als 725000 Euro verschafft zu haben.

Angeklagter gesteht gleich zu Beginn

Bei den Stadtwerken Backnang wurde die Veruntreuung der Gelder nicht bemerkt. Erst ein Hinweis der Bank deckte sie auf. Archivfoto: J. Fiedler

Von Lorena Greppo

BACKNANG/STUTTGART. Für die Verlesung der Anklageschrift war ein langer Atem gefordert: Minutenlang zählt die Staatsanwältin jede der 240 Transaktionen auf, die der Angeklagte im Zeitraum zwischen dem Spätsommer 2015 bis zu seiner Verhaftung im Oktober 2018 von den Konten der Stadtwerke auf seine eigenen getätigt hat. An die Daten ist man über die Kontoauszüge des ehemaligen Buchhalters gekommen. Anfangs waren die Beträge noch klein, teilweise sogar unter fünf Euro. Es sind Guthaben, die den Kunden hätten ausgezahlt werden sollen – inaktiven Kunden. Von ihnen liegen dem Betrieb keine Kontodaten vor, unter Adresse steht „unbekannt verzogen“, deswegen habe die automatische Rücküberweisung des Guthabens nicht geklappt.

Erst als er bei seiner Arbeit im Kundenwesen auf diese Konten stieß, sei ihm die Idee gekommen, sich das Geld anzueignen, sagt der Angeklagte. Zu diesem Zeitpunkt hatte er etwa 25000 Euro Schulden aus einer vorhergegangenen Selbstständigkeit, aber auch, wie er zugibt, durch Kreditkartenrechnungen und Online-Bestellungen angehäuft. Die Inkassobüros, denen er monatlich Raten in Höhe von 600 Euro überwies, erhöhten diese auf 950 Euro, drohten, seinen Lohn zu pfänden. „Ich bekam Panik, dass mein Arbeitgeber das mitbekommen und mir kündigen könnte“, beschreibt der heute 48-Jährige. Im Nachhinein hätte er anders reagiert und mit seinen Vorgesetzten darüber gesprochen, sagt er. Damals kamen ihm andere Gedanken. Was passiert, wenn die Guthaben auf meinen Konto landen?, habe er sich gefragt. Der Stuttgarter ließ es darauf ankommen, gab als Empfänger die inaktiven Kunden, bei der Kontonummer die eigene an – und siehe da, es funktionierte, der Betrug fiel weder dem Arbeitgeber noch der Bank auf.

Dennoch habe er immer in der Angst und in dem Wissen gelebt, dass er irgendwann auffliegen werde. Spätestens bei der Betriebsprüfung im Frühjahr. Doch auch den Wirtschaftsprüfern fiel nichts auf. Die Schulden waren nach wenigen Monaten abbezahlt, aber der 48-Jährige machte weiter. Warum, fragt die Staatsanwältin. „Weil es ging“, lautet die Antwort. „Ich konnte mich praktisch einfach bedienen, ohne dass es jemand merkte.“

„Ich habe in Saus und Braus gelebt, da floss der Champagner“

Als die Guthaben der inaktiven Kundenkonten leergeräumt waren, entdeckte der Mitarbeiter eine andere Möglichkeit, sich Geld zu beschaffen: Er stellte Kunden etwas in Saldo, belegte sie mit einer internen, ewig währenden Mahnungssperre und überwies sich das Geld. Die Beträge hatten zu diesem Zeitpunkt ganz andere Dimensionen angenommen, teilweise überwies sich der 48-Jährige mehr als 15000 Euro – als Empfänger sind inzwischen vor allem Firmen angegeben. Auch diese Masche fiel lange nicht auf. Von dem Geld kaufte er sich Autos, Möbel, zog in eine teure Wohnung, feierte ausgiebig mit Freunden. „Ich habe in Saus und Braus gelebt, da floss der Champagner“, erinnert er sich. Auch seinem Lebensgefährten in Rumänien, den er über das Internet kennengelernt hat, überwies er insgesamt mehr als 100000 Euro, kaufte ihm zwei Autos und teure Urlaube. „Aus Angst, seine Liebe zu verlieren, habe ich ihm ständig Geld gegeben“, beschreibt er seine Abhängigkeit.

Die ganze Zeit über sei ihm bewusst gewesen, dass er Geld ausgibt, das ihm nicht gehört. Aufhören konnte er dennoch nicht. „Ich bin völlig außer Kontrolle geraten.“ Er habe die Bodenhaftung, die Orientierung im Leben verloren, sagt der 48-Jährige. Denn während er nach außen hin das Leben genoss, litt der Angeklagte unter Angstzuständen, ließ sich Tabletten verschreiben. „Ich hatte keine innere Ruhe. Ich wusste ja, dass ich irgendwann auffliegen würde.“

Dieser Zeitpunkt kam, als eine Bank im Herbst 2018 genauer hinschaute und Unregelmäßigkeiten bemerkte. Der Stadtwerke-Chef Markus Höfer erstattete Anzeige, kurz darauf wurde der ehemalige Buchhalter festgenommen. Zu diesem Zeitpunkt hatte er sich in ungefähr 240 Zahlungen gut 725000 Euro überwiesen und war bei keiner der drei Wirtschaftsprüfungen des Betriebs aufgefallen. Seinen ehemaligen Vorgesetzten habe er aus der Haft einen Entschuldigungsbrief geschrieben. Er bereue seine Taten von ganzem Herzen und werde den Schaden so gut er könne wieder gutmachen, sagt er. „Ich schäme mich zutiefst.“

Einer der Finanzermittler, der die Wohnung des Angeklagten durchsucht hatte, sagte gestern aus, dass dort nicht mehr viel zu holen gewesen sei. „Das Geld hat er wohl ordentlich auf den Kopf gehauen.“ Das Auto des 48-Jährigen, eine Mercedes M-Klasse, wurde gepfändet, Geld von den zahlreichen Konten des 48-Jährigen eingezogen. Zudem wurden 27 Konzertkarten, die der Angeklagte gekauft hatte, versteigert. Etwa 55000 Euro habe man so insgesamt noch generieren können. Man sei sich sicher, dass der Mann darüber hinaus keine Geldbeträge zur Seite geschafft und gebunkert habe.

Für den Prozess gegen den 48-Jährigen sind noch zwei weitere Verhandlungstage angesetzt. Am kommenden Freitag, 12. April, sollen Zeugen vernommen werden. Womöglich werden an jenem Tag auch bereits die Plädoyers gehalten.