Angeklagter sieht Verschwörung von „Schulerbuben“

65-Jähriger muss sich vor dem Landgericht Stuttgart verantworten. Er soll als Fahrradfahrer Kinder vom Rad gestoßen haben.

Angeklagter sieht Verschwörung von „Schulerbuben“

Ein Backnanger muss sich als Angeklagter vor dem Landgericht verantworten. Symbolfoto: A. Becher.

Von Heike Rommel

Backnang/Stuttgart. Weil er als Fahrradfahrer grundlos zwei Kinder von ihren Fahrrädern gestoßen haben soll, muss sich ein 65-Jähriger aus Backnang vor dem Stuttgarter Landgericht verantworten. Das Amtsgericht Backnang hatte den vorsätzlichen, gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr hochverwiesen. Der Beschuldigte wurde aus der geschlossenen Psychiatrie in Ravensburg vorgeführt.

Während der Zeugenvernehmung von einem der betroffenen Kinder musste der Angeklagte den Gerichtssaal verlassen, damit er sich das Gesicht des zwölfjährigen Schülers nicht einprägen und diesem nicht nachstellen kann.

Die Stuttgarter Staatsanwaltschaft beschuldigt den Backnanger, am Nachmittag des 30. Oktober 2019 in der Weissacher Straße mit seinem Fahrrad an eines der Kinder herangefahren zu sein und mit dem Hintern gegen dessen Lenker gestoßen zu haben. Der Junge stürzte seitlich von seinem Fahrrad auf die Autostraße. Wenig später soll der Angeklagte auch den gleichaltrigen Freund des Jungen an der Bushaltestelle Ungeheuerhof vom Fahrrad gestoßen haben. Dieser sei auf die Gehwegkante gestürzt und habe dabei Schmerzen im unteren Rücken erlitten.

Als die Polizei den Ausweis des 65-Jährigen habe sehen wollen, sei es zu einer Auseinandersetzung gekommen. Mit der Arbeit der Backnanger Polizei sei der Angeklagte nämlich nicht unbedingt zufrieden, stellte der Vorsitzende Richter, Reiner Skujat, fest. Ein weiterer Anklagesatz lautete: Am 27. November 2019 habe der Mann Beamte in der Backnanger Gartenstraße als „Zigeuner, Banditen, Lugabeidl (Lügner) und Taugenichtse“ beleidigt.

Polizeibeamte wurden als „Seckel“

und „Dackel“ beleidigt

Mit der Behauptung, er habe einen Unfall gehabt, so die Staatsanwaltschaft, habe der Mann die Polizei unnötig angefordert und sich dann auch noch über die Beamten lustig gemacht. Der Unfall sei längst aufgenommen gewesen. Am 8. Mai vergangenen Jahres kamen vier Polizeibeamte zum Angeklagten nach Hause, um diesen zum Amtsgericht Backnang abzuholen. Der 65-Jährige wollte aber nicht mitkommen und bezeichnete die Polizisten als „Seckel“ und „Dackel“.

In den Gerichtssaal des Stuttgarter Landgerichts wurde der Backnanger nun aus der geschlossenen Psychiatrie Ravensburg gebracht, wo ihn die Kammer vorläufig untergebracht hat. „Im Kern wird er nichts bestreiten“, sagte sein Verteidiger Wolf-Peter Schmid. Im Recht fühle sich sein Mandant jedoch schon. Zur Sache mit den Stößen von den Fahrrädern befragt, nannte der Beschuldigte den Namen eines Backnangers, der diese „Schulerbuben“ gegen ihn aufgehetzt habe. Es handele sich vermutlich um einen „Reingeschmeckten aus einer geschiedenen Familie heraus“. Über diese Person hatte der 65-Jährige bereits einen Brief an das Amtsgericht Backnang geschrieben. Dem Zwölfjährigen, der vor dem Landgericht bereits als Zeuge ausgesagt hat, sagte der Name nichts. Bei den Beweismitteln befindet sich auch ein Notizzettel mit Skizze des Angeklagten, wo er „Ausländerbüblein, die Sauereien machen und die Einheimischen belästigen“ beschreibt.

Die Eltern von einem der von den Fahrrädern gestoßenen Schüler erzählten im Zeugenstand, wie ihr Sohn heimkam: „Er hat sich versteckt, hatte einen erschrockenen Gesichtsausdruck und war nervös“, sagte die 49-jährige Mutter. Weil das zweite Fahrrad fehlte, welches der Sohn seinem Freund ausgeliehen hatte, fuhren sie mit ihrem Kind nach Backnang, wo der beschriebene Mann wieder auftauchte. Der 50-jährige Vater des Jungen hielt den Angeklagten so lange an Ort und Stelle fest, bis die Polizei da war, und fand auch das verschwundene Fahrrad wieder.

Gutachter attestiert dem

65-Jährigen paranoides Denken

Bereits die Anklage geht in diesem Fall davon aus, dass der 65-Jährige zur Tatzeit zumindest teilweise steuerungsunfähig war. Nach vorläufiger Einschätzung des Gerichtspsychiaters, Professor Hermann Ebel, leidet der Backnanger, welcher einmal einen Arbeitsunfall mit Kopfverletzung erlitten hat und seit dem 50. Lebensjahr Rentner ist, an einer organischen Persönlichkeitsstörung mit paranoidem Denken.