Angespanntes Schweigen im Gerichtssaal bei Missbrauchsprozess

Im Missbrauchsprozess in Fellbach werden die Beweismittel gesichtet, das Urteil steht noch aus.

Angespanntes Schweigen im Gerichtssaal bei Missbrauchsprozess

Die missbrauchten Mädchen mussten dem Angeklagten nicht direkt begegnen. (Archivfoto: Alexander Becher)

Von Heike Rommel

Fellbach. Bei der im Juristendeutsch sogenannten „Inaugenscheinnahme“ von Bildern und Videos im aktuellen Fellbacher Fall des sexuellen Missbrauchs von Kindern herrschte Stille im Gerichtssaal. Es geht in diesem nicht um direkten körperlichen Missbrauch wie im Falle eines Fellbacher Handballtrainers, sondern um die digitale Nötigung zu sexuellen Handlungen, die sich die zweite große Strafkammer des Stuttgarter Landgerichts mit den übrigen Prozessbeteiligten aus Gründen des Kinder- und Jugendschutzes geschlossen auf dem richterlichen Laptop anschaute. Die Gesichter und die Stimmung waren angespannt, als der Vorsitzende Richter die Prozessbeteiligten nach vorne an seinen Tisch bat. Sie mussten sich anschauen, wie es dem bereits geständigen 59-jährigen Angeklagten gelungen war, Kinder zur Befriedigung seiner sexuellen Begierde zu bringen. Der Angeklagte stand indessen hinter seinem Verteidiger und schaute während der etwa eine Stunde dauernden Sichtung eher zur Seite.

Zu den Bildern und den aufgezeichneten Videos des Angeklagten von fremden Kindern im ganzen Bundesgebiet erklärte sich der Hauptsachbearbeiter von der Kriminalpolizei. Mithilfe eines Teams, das speziell für Fälle von Kindesmissbrauch im Internet geschult ist, konnte er durch langwierige Account-Adressen-Recherchen schlagende Beweismittel liefern. Bis Freitag, 29. September, wird daher in diesem Fall bereits ein Urteil erwartet.

Angeklagter nimmt übersoziale Netzwerke Kontakt auf

Die Möglichkeit, sich mit Gleichaltrigen im Chat oder per Videoanruf austauschen zu können, sprach die Mädchen im Alter von elf bis 14 Jahren im Tatzeitraum ab dem Jahr 2014 an, was sich der Angeklagte zunutze machte. Die jungen Opfer konnten nicht ahnen, dass es in Wirklichkeit ein 59-Jähriger Mann ohne eigene Kinder war, der über soziale Medien wie Facebook Kontakt zu ihnen suchte. Der Angeklagte ließ vor Gericht vorbringen, dass seine Beziehungen zu erwachsenen Frauen für ihn unbefriedigend gewesen seien, deshalb habe er sich eben an Kinder gewandt. Zwar hat er im höheren Alter noch eine Frau geheiratet, die Großmutter mehrerer Enkelkinder ist, doch sei auch hier die Sexualität nach einem anfänglichen Höhenflug für ihn enttäuschend verlaufen.

Das Stuttgarter Landgericht verschonte die missbrauchten Mädchen, heute heranwachsend bis erwachsen, vor Auftritten auf dem Zeugenstuhl von Angesicht zu Angesicht mit dem Angeklagten. Gleichwohl wurde betont, dass sich die jungen Frauen nicht zu schämen brauchten, zumal sie keinerlei Schuld treffe und sie sich wie gesunde, wissbegierige Kinder verhalten hätten, welche die Intention des Angeklagten nicht erahnen konnten.