Es war der klassische Fall, zu dem die Einsatzgruppe der Backnanger DLRG hinzugezogen wird. Ein Passant entdeckte an einem Spätvormittag kurz vor dem Jahreswechsel eine leblose Person im Feuersee in Murrhardt. Zur Bergung und zur Unterstützung bei der Klärung der Umstände des tragischen Todesfalls brauchte es einen Taucher, der für seine schwierige Arbeit im trüben Gewässer auf die Hilfe mehrerer Kollegen angewiesen ist.
Die aktuellen Einsatztaucher und die ehemaligen, die in der DLRG-Einsatzgruppe mittlerweile andere Aufgaben wahrnehmen, bilden ein harmonisches und erfahrenes Team. Im Winter treffen sich Reinhardt Schiller, Wolfgang Fritz, Detlef Schiemenz, Michael Helfrich, Thomas Frey und Andreas Huber (von links) einmal pro Woche zum Schwimmtraining im Wonnemar in Backnang.Foto: A. Becher
Von Steffen Grün
BACKNANG. Wiederbelebungsmaßnahmen zählen auch zum Standardrepertoire der Frauen und Männer der DLRG-Einsatzgruppe, doch in aller Regel geht’s bei Fällen wie jenem im Feuersee nicht um Rettung, sondern um Bergung. Zwei logische Erklärungen gibt’s dafür: Entweder wird die Person schon eine Weile vermisst und es ist zu viel Zeit vergangen, um auf eine erfolgreiche Suche im Wasser zu hoffen, oder sie wird erst dann zufällig entdeckt, wenn es ohnehin bereits zu spät ist.
„Wir werden von der Rettungsleitstelle über den Rufmelder informiert“, erläutert Thomas Frey, der Vorsitzende der DLRG- Ortsgruppe Backnang, wie er und seine Mitstreiter zum Einsatz beordert werden. Der kurze Text beginne mit den Worten „Person im Wasser“ oder „vermisste Person im Wasser“ und beinhalte zudem den Ort des Geschehens mitsamt der Adresse. Die Alarmierten verlassen ihren Arbeitsplatz oder lassen andernorts alles stehen und liegen, um sich so rasch wie möglich in Backnang zu treffen und sich mit dem Einsatzfahrzeug auf den Weg zu machen. „Wir dürfen mit Sondersignal fahren“, verrät Reinhardt Schiller, der Vorsitzende der DLRG-Ortsgruppe Sulzbach/Oppenweiler, und meint damit das, was gemeinhin als Blaulicht bezeichnet wird. Die individuelle Anfahrt ist ebenfalls gestattet – zumal dann, wenn der Einsatzort möglicherweise direkt um die Ecke liegt.
Am fraglichen Gewässer angekommen, hat jedes Mitglied der Einsatzgruppe eine klar definierte Aufgabe. Die Gesamtverantwortung tragen die Zugführer und die Gruppenführer. Der Bootsführer manövriert den oder die Einsatztaucher hinaus, wenn der leblose Mensch weit vom Ufer entfernt gesichtet wurde. Die Helfer im Wasserrettungsdienst bezeichnet Thomas Frey voller Respekt als eine „eierlegende Wollmilchsau: Sie haben ein sehr breites Wissen, sind aber keine Spezialisten“. Sie erledigen organisatorische Dinge, stellen das benötigte Material bereit oder suchen die Uferböschung ab und gewährleisten damit, dass sich die Taucher komplett auf ihren harten Job konzentrieren können.
Alleine die Ausrüstung der Einsatztaucher bringt 30 bis 40 Kilogramm auf die Waage. Mit dem Neoprenanzug, der Brille, den Flossen, den Pressluftflaschen und dem Atemregler ist es nämlich noch nicht getan. Hinzu kommen ein Bleigurt mit etwa zwölf Kilogramm, „damit wir besser untergehen“, und die Auftriebshilfe, „die uns beim Auftauchen hilft“, erklärt Frey. Der 53-Jährige aus Allmersbach im Tal, der selbst aktiver Einsatztaucher und zudem Tauchlehrer ist, sowie sein gleichaltriger Kamerad Andreas Huber aus Murrhardt betonen die enorme Bedeutung, die dem Signalmann oder der Signalfrau zukommt: „Sie haben den Einsatztaucher an der Leine und weisen ihm mit Leinenzugzeichen den Weg.“ Dies ist unabdingbar, „weil die Sichtweite manchmal nur wenige Zentimeter, meist etwa einen Meter und im Optimalfall vielleicht drei Meter beträgt“. Das gängige Suchverfahren unter Wasser ähnelt dem Bewegungsprofil eines Scheibenwischers. Mit einer Hand hält der Taucher die Leine, mit der zweiten Hand orientiert er sich durch Tasten. „Man berührt zwangsläufig auch Dinge, die einem nicht so sympathisch sind“, deutet Reinhardt Schiller an, dass der Ekel unterdrückt werden muss. Hinzu kommt die extreme Anspannung, ob es vielleicht schon die gesuchte Person sein könnte.
Wenn der Tote irgendwann geborgen ist, sei es „ein zwiespältiges Gefühl“, gewährt Frey einen kurzen Einblick in sein Seelenleben: „Die Anspannung ist weg, aber die traurige Gewissheit ist da.“ Pro Jahr sind es bis zu fünf derartige Einsätze, zu denen die DLRG von der Polizei oder der Feuerwehr hinzugezogen wird – vor allem auch dann, wenn ein Fremdverschulden nicht sofort auszuschließen ist und unter Wasser entscheidende Indizien vermutet werden. Im Feuersee-Fall gab’s keine Hinweise auf ein Tötungsdelikt, weshalb von einem Unfall oder Selbstmord ausgegangen wird.
Gegenstände wieder ans Tageslicht zu befördern, die von finsteren Gestalten beispielsweise nach einem Diebstahl im Wasser versenkt wurden, gehört ebenso zum Aufgabenspektrum. Reinhardt Schiller erinnert sich an einen geplünderten Zigarettenautomaten, an Autos oder an Motorräder. Vorbereitet sind die Taucher auch auf eine besonders heikle Konstellation: eine Bergung aus einem zugefrorenen Gewässer. „Das hatten wir noch nie – zumindest nicht, solange ich dabei bin“, sagt Thomas Frey, womit der Zeitraum seit 1989 abgedeckt ist. In dem Fall muss sich der Taucher noch stärker auf den Helfer am anderen Ende der Leine verlassen können.
Unter den zehn Tauchgängen pro Jahr, die ein Einsatztaucher nachzuweisen hat und die sich auf mindestens 300 Minuten addieren müssen, sollte „idealerweise einer in einem zugefrorenen See“ sein. Ansonsten geht es für Frey und alle anderen Ehrenamtlichen in der Einsatzgruppe, die viel Erfahrung mitbringen, vor allem um die Konditionserhaltung. „Daher schwimmen wir ziemlich viel“, verweist der Vorsitzende der Backnanger Ortsgruppe auf die Trainingseinheiten, die im Winter jeden Montag im Wonnemar-Hallenbad sowie im Sommer jeden Montag und Freitag im Freibad Oppenweiler stattfinden. Sein Team beteiligt sich zudem an den Aufsichten an Seen und im Freibad oder bei der Murr-Regatta, kann also retten und bergen. Nur die klassischen Fälle, zu denen die Einsatzgruppe gerufen wird, haben in der Regel ein trauriges Ende.
Vorbereitung auf den schwierigsten Ernstfall, der auf einen Einsatztaucher zukommen kann: Das Retten oder Bergen einer Person aus einem zugefrorenen Gewässer. Archivfoto: J. Fiedler
Wer Einsatztaucher werden will, hat bereits vor dem Beginn der Ausbildung einige Voraussetzungen zu erfüllen. Das Mindestalter beträgt 15 Jahre, eine DLRG-Mitgliedschaft ist Pflicht. Das Deutsche Schnorcheltauchabzeichen und eine gewisse Tauchtauglichkeit sind vom Kandidaten vorzuweisen.
Um zur Prüfung zugelassen zu werden, sind Spezialkurse zu belegen. Sie widmen sich zum Beispiel den Themen Eis, Strömung, Nachttauchen und Arbeiten unter Wasser, dazu gibt es eine Sprechfunkunterweisung.
Die praktische Prüfung beinhaltet unter anderem Schnorcheltauchen im Freigewässer (1500 Meter in verschiedenen Schwimmlagen), Tief-, Strecken- und Zeittauchen, Einsatztauchen im Freigewässer, Leinenführung (Suchübung als Signalmann und Taucher), eine Rettungsübung oder Knotenkunde. Die theoretische Prüfung besteht aus einem bundeseinheitlichen Fragebogen sowie dem Umgang mit Arbeitsgeräten unter Wasser. Erst ab 18 Jahren ist die Arbeit als Einsatztaucher dann auch erlaubt.
Weitere Infos zur DLRG-Ortsgruppe Backnang, zu deren Aufgaben und Angeboten gibt’s im Internet (www.backnang.dlrg.de). Eventuelle Fragen werden per E-Mail an
info@backnang.dlrg.de beantwortet.