Der Rems-Murr-Kreis wurde 2019 für ein Azubi-Projekt zur Papiereinsparung ausgezeichnet. Die Digitalisierungsstrategie des Kreises wurde durch Corona zusätzlich befeuert. Archivfoto: LRA
Von Bernhard Romanowski
WAIBLINGEN. Man könnte von einem weiteren Schritt bei der Eroberung des virtuellen Raums sprechen, der dem Landratsamt Rems-Murr bevorsteht. Weil das aber doch arg nach einer Episode aus dem Kinoklassiker Krieg der Sterne klingt, belässt man es besser beim Begriff E-Government. Dieser Ausdruck bezeichnet die elektronische Abwicklung von Geschäftsprozessen der öffentlichen Verwaltung und lässt weniger an Weltraumabenteuer, sondern mehr an verstaubte Akten denken. Und um Letztere ging es auch, als gestern der Verwaltungsausschuss des Rems-Murr-Kreises tagte. Im Ausschuss stand ein Sachstandsbericht zur Digitalisierungsstrategie des Landratsamts auf der Tagesordnung. Anschließend sprach sich der Ausschuss einstimmig dafür aus, die Bestandsakten der Kreisverwaltung scannen, also digital erfassen zu lassen. Wenn später noch der Kreistag zustimmt, soll diese Scandienstleistung europaweit ausgeschrieben werden.
Landrat Richard Sigel und sein Verwaltungsteam berichten den Kreispolitikern regelmäßig über die Umsetzung der Digitalisierungsstrategie und den Fortschritt bei der digitalen Archivierung und beim Ausbau des E-Governments.
Die öffentliche Verwaltung habe bei der Digitalisierung Nachholbedarf, allerdings habe die Coronakrise für einen zusätzlichen Digitalisierungsschub auch in der Landkreisverwaltung gesorgt, so der Landrat: „Die Coronapandemie zeigt, dass die konsequente Umsetzung der bereits vom Landkreis verfolgten Digitalisierungsstrategie richtig und wichtig war.“ Aktuell sei der Landkreis auch vom Normenkontrollrat des Landes Baden-Württemberg angefragt, ob man sich an einem Modellprojekt zur Digitalisierung als Musterlandkreis beteiligen möchte. „Offensichtlich haben sich die Offenheit des Landkreises und seine Bemühungen in Sachen Digitalisierung herumgesprochen“, kommentiert Sigel diese Anfrage. Im kommenden Jahr werde ein Schwerpunkt auf der weiteren Einführung der E-Akte liegen. „Die elektronische Akte ist immer Voraussetzung für den Sprung von einer Papierverwaltung hin zu einer digitalen Verwaltung“, erklärt der Kreischef. Dazu soll ein Rahmenvertrag für das Einscannen von notwendigen Bestandsakten abgeschlossen und ein kontinuierlicher Projektfortschritt gesichert werden. „Dieses Einscannen von Bestandsakten ist ein Kraftakt, denn im Landratsamt sind tausende laufende Meter Akten zu scannen und zu digitalisieren“, heißt es aus dem Kreishaus.
Die Kosten für die Digitalisierung der Bestandsakten im Landratsamt liegen bei rund 1165000 Euro.
Ganz billig wird das indessen nicht. Für die Digitalisierung laufender Bestandsakten wurden im Haushalt 2020 insgesamt 420000 Euro veranschlagt. Für die kommenden vier Jahre wird inklusive der Mittel für das Jahr 2021 ein Rahmenvertrag für das Einscannen der Bestandsakten geschlossen werden. Das Volumen beträgt voraussichtlich rund 1165000 Euro. Was vor der Pandemie eine Ausnahme war, ist mittlerweile in vielen Bereichen der Landkreisverwaltung „normaler digitaler Arbeitsalltag“ geworden, so Sigel. Viele Mitarbeitende des Landratsamtes Rems-Murr-Kreis befinden sich im Zuge der Coronapandemie im Homeoffice. „Insoweit war es eine große Erleichterung, dass wir uns schon lange vor Corona der Frage des mobilen Arbeitens in der Verwaltung geöffnet haben“, meint Landrat Sigel. Schon seit 2018 gebe es eine mit dem Personalrat abgestimmte Dienstvereinbarung, die alle wesentlichen Punkte regelt und weitergehende Möglichkeiten für Homeoffice eröffnet hat. Das sei wegen der sicherheitstechnischen Besonderheiten im Verwaltungswesen und auch schlicht wegen Lieferengpässen und Kapazitätsschwierigkeiten nicht immer einfach gewesen.
Doch dies ermögliche nun über 800 Mitarbeitenden des Landratsamts vollen Zugriff auf das System und alle Anwendungsprogramme. Sigel: „Diese Zahl wird kontinuierlich ausgebaut.“ Grundlage für die Digitalisierung aller Verfahren sei aber immer die Einführung der vollständigen elektronischen Aktenführung und das damit verbundene Einscannen von notwendigen Bestandsakten. Die Einführung der elektronischen Aktenführung ist durch Corona freilich noch mehr in den Fokus gerückt. „Dies ist ein essenzieller Bestandteil, damit mobiles Arbeiten vollumfänglich möglich ist. Im letzten Jahr kamen 135 E-Akte-Nutzende im Landratsamt neu dazu“, erläutert Sigel. Im Ausländeramt beispielsweise, das nun komplett auf die E-Akte umgestellt ist, wurden 1500000 Blatt Papier von Bestandsakten gescannt. Dies entspricht laut Kreisverwaltung rund 330 laufenden Metern. Dieses Volumen an Akten wurde in mehreren Chargen mit einem Lastwagen abgeholt.
Im Mai 2020 fand die erste Ausschreibung für die Scandienstleistungen für Leistungs- und Ausländerakten statt. Der Auftrag wurde einmalig vergeben. Aufgrund der großen Menge an zu scannenden Bestandsakten in den kommenden Jahren und wegen des großen Aufwands, der für die Ausschreibungen geleistet wird, soll ein Rahmenvertrag geschlossen werden. Dieser soll eine schnellere Umsetzung möglich machen und Planungssicherheit garantieren.
Die Scandienstleistungen sollen im April 2021 ausgeschrieben vergeben werden. Für das Jahr 2021 sind bisher 260000 Euro für die digitale Erfassung im Ordnungsamt, im Gesundheitsamt, im Sozialdezernat sowie der E-Personalakte geplant und im Haushalt veranschlagt.
Digitalisierung hat sich Sigel zufolge als ein wichtiges Instrument bei der Bekämpfung der Coronapandemie erwiesen. Oftmals seien es beispielsweise unvollständige, nicht lesbare oder falsch übermittelte Daten gewesen, die eine Kontaktpersonennachverfolgung in der Anfangsphase erschwerten. Die rückläufigen Fallzahlen im letzten Sommer wurden demnach genutzt, um das Gesundheitsamt vollständig und außerplanmäßig auf eine digitale Akte umzustellen. Es half dabei, die enormen Anfragen zu strukturieren und revisionssicher zu gestalten. Entsprechende digitale Prozesse ermöglichten in diesem Bereich eine ortsunabhängige Aufgabenteilung.
In einem nächsten Schritt wird derzeit die Einführung einer Software vorbereitet, die bundesweit eingeführt werden soll. Die Installation ist laut Kreisverwaltung bereits abgeschlossen, es gebe allerdings noch erhebliche praktische Hürden (etwa Schnittstellenprobleme), die vorab vom Hersteller der Software zu lösen sind.