Jo Nemeth hat seit zehn Jahren kein Einkommen mehr, sie gibt aber auch keinen Cent aus. Die 56-jährige verkörpert radikalen Minimalismus und ist dabei ausgesprochen glücklich.
Jo Nemeth baut im Garten alle möglichen Pflanzen an – nicht nur zum Essen, sondern auch für Körperpflegemittel.
Von Barbara Barkhausen
So hat es angefangen: An ihrem 45. Geburtstag lag Jo Nemeth krank im Bett und las ein Buch. Über Leute, die ohne Geld leben. Das rührte etwas in ihr an, erinnert sich Nemeth. Sie habe an all die Menschen in den Entwicklungsländern denken müssen, „die unter entsetzlichen Umständen arbeiten“. Dann überlegte sie, „wie das mit dem Geld zu tun hat, das ich ausgebe“. Danach beschloss sie, ihr Leben radikal zu ändern.
Jo Nemeth kündigte ihren Job, verschenkte ihr gesamtes Geld an ihre damals 18-jährige Tochter und schloss ihr Bankkonto. Ihr letztes Bargeld gab Nemeth für ein Busticket aus. All das ist inzwischen zehn Jahre her. Seitdem lebt sie ohne Geld, ohne eigenes Haus, Grundstück oder Ersparnisse. Sie erhält keine Sozialhilfe und hat auch keinen reichen Unterstützer. Weder verdient sie Geld, noch gibt sie es aus. Seit zehn Jahren hat sie Geld weder für Essen, noch für Kleidung oder Kosmetik verwendet.
Ihre Haare schneidet sie selbst
Am Anfang wohnte Nemeth in einem Zelt, später in einer Hütte auf der Farm von Freunden. Letztendlich zog sie mit in das Haus einer Freundin, deren Mann gestorben war, und übernahm dort den Haushalt. Gemüse und Obst pflanze sie selbst im Garten an, berichtete sie in einem ersten Interview vor fünf Jahren. „Reis und Getreide lasse ich mir von Freunden zum Geburtstag oder zu Weihnachten schenken.“ Ihre Haare schneidet sie selbst, Make-up hat sie noch von früher und braucht es sowieso nur selten. „Als Toilettenpapier nehme ich alte Servietten aus dem Café einer Freundin, die zum Beispiel nur einen Kaffeefleck haben“, erzählte Nemeth.
„Wenn ich irgendwo hin muss, fahre ich entweder per Anhalter oder mit dem Rad.“ Arztbesuche sind in Australien über die gesetzliche medizinische Grundversorgung abgedeckt, andere Dienstleistungen oder Waren tauscht sie dagegen oft ein. Auch ein wenig „Luxus“ sei möglich: Freunde würden sie schon mal ins Café einladen und auch ins Kino gehe sie regelmäßig. Denn dort hilft sie auf Freiwilligenbasis aus.
Seife und Waschpulver stellt sie selber her
Fünf Jahre sind seit diesem ersten Interview ins Land gezogen – inzwischen lebt Nemeth seit zehn Jahren ohne Geld. Heute berichtet sie, wie sehr sie sich in den vergangenen Jahren weiterentwickelt habe, aber auch, wo sie auf „Mauern“ gestoßen sei. „Ich spüre die kulturelle Herausforderung, die Kraft der Konsumkultur“, sagte sie. „Ich habe meine rosa Brille verloren, ich musste geduldiger und weniger revolutionär werden.“ Noch vor fünf Jahren hatte sie den Traum, gemeinsam mit der Freundin, deren Haus sie teilt, völlig ohne fossile Brennstoffe auszukommen. Doch daraus sei nichts geworden.
Dafür habe sie viel dazu gelernt. Hatte sie vor fünf Jahren noch alte Zahnpastatuben von Freunden gesammelt und die Reste ausgekratzt, putzt sie ihre Zähne heute mit selbst angepflanzter Aloe Vera, für die Hautpflege baut sie im Garten die Pflanze Popcorn Cassia (Cassia didymobotrya) an. Seife und Waschpulver stellt sie selbst her, ebenso Tofu und fermentierte Lebensmittel. „Ich überlege ständig, wie ich Dinge selbst herstellen kann“, sagte sie. „Es ist wie ein Spiel.“
Wichtig ist ihr, eine Gemeinschaft aufzubauen
Neben dem Spielerischen hat Nemeth jedoch auch ernstere Gründe für ihre autarke Lebensweise: Sollte eine weitere Pandemie kommen oder ein Zusammenbruch der Wirtschaftssysteme und damit der Zivilisation, so sei es wichtig, über Fähigkeiten zu verfügen, wie Gemüse und Obst selbst anzubauen, eigene Lebensmittel zuzubereiten, Nahrungsmittel in der Natur zu finden und Abfallmaterialien zu recyceln. Zurzeit baut sie ein Spielhaus für Kinder im Garten ihrer Freundin, um dort einen Rückzugsort zu kreieren. „Dadurch wird im Haus dann ein weiteres Schlafzimmer frei“, sagte sie. Denn das Haus der Freundin ist inzwischen zu einem Mehrfamilienhaus geworden, in dem mehrere Generationen wohnen.
Besonders wichtig für ihren Lebensstil sei, eine Gemeinschaft aufzubauen, meinte Nemeth. Indem sie anderen Menschen hilft, sich um kranke Freunde oder deren Kinder kümmert, ihr Wissen teilt oder im Garten mitarbeitet, baut sie eine Art „soziale Währung“ auf. Im Gegenzug erhält sie von anderen Hilfe, wird eingeladen oder bekommt Lebensmittel und Kleidung.
Sie sammelt Geld für eine teure Zahnbehandlung
Nach zehn Jahren ist die Australierin erstmals auf ein größeres Hindernis gestoßen. Sie benötigt eine aufwendige Zahnbehandlung, die die Krankenkasse nicht abdeckt. Deshalb will sie in einer einmaligen Aktion Geld per Crowdfunding sammeln und im Gegenzug dafür Online-Klassen über ihre Art zu leben anbieten.
Schon vor fünf Jahren betonte Nemeth, dass sie mit ihrem Lebensstil „nicht in die Steinzeit zurückgegangen“ sei. Letzteres ist auch heute noch so: Sie hat ein geschenktes Handy ohne Vertrag, das sie im Wlan benutzt, führt einen Blog und ist auf Facebook. In gewisser Weise mache ihr neuer Lebensstil sie deutlich glücklicher. Eine Rückkehr ins alte Leben ist also ausgeschlossen? „Auf jeden Fall“, meinte Nemeth. „Das Leben ist gut und ich bereue nichts.“