Streikwelle erwartet

Belgien steuert harten Reformkurs

Die neue konservative Regierung will das hoch verschuldete Land sanieren – und löst damit eine Streikwelle aus.

Belgien steuert harten Reformkurs

Belgiens neuer Premierminister Bart de Wever verordnet seinem Land einen harten Reformkurs mit vielen Einsparungen.

Von Knut Krohn

Belgiens Bahnfahrer brauchen gerade sehr starke Nerven. Auch am Dienstag blieben wegen eines landesweiten Streiks erneut zahlreiche Züge in den Depots. Seit Monaten wird vor allem die Geduld der Pendler auf eine harte Probe gestellt, denn seit die neue Regierung im Februar ihre drastischen Reformpläne für den öffentlichen Dienst vorgestellt hat, legen empörte Schaffner, Zugführer und Stellwerkarbeiter immer wieder ihre Arbeit nieder.

Doch nicht nur die mit manchen Privilegien verwöhnten Bahnbeschäftigten sollen in Zukunft auf Vorzüge verzichten. Der neue konservative Regierungschef Bart de Wever und sein Fünf-Parteien-Bündnis wollen generell im öffentlichen Dienst die Kosten senken. Dazu sollen Renten und Pensionen allgemein gekürzt werden und auch das Eintrittsalter in den Ruhestand soll steigen. Zudem sollen Modelle zur Frühverrentung konsequent abgeschafft werden. Im Fall der Bahn können manche Mitarbeiter im Moment bereits mit 55 Jahren in Rente gehen.

Belgien steht vor einem Generalstreik

Da das geplante Reformpaket praktisch alle Arbeitnehmer des Landes betrifft, wollen die Gewerkschaften ihre Empörung am 29. April in einem Generalstreik auf die Straße tragen. Für besonders große Aufregung sorgt der Plan, Arbeitslosen nach zwei Jahren das Arbeitslosengeld zu streichen und nur noch das absolute Minimum an staatlicher Hilfe zukommen zu lassen. Doch soll es Ausnahmen geben: wer eine Ausbildung in einem Mangelberuf oder im Gesundheitsbereich beginnt, erhält weiter Arbeitslosengeld.

Bart de Wever zeigt sich fest entschlossen, dem wachsenden Druck der Gewerkschaften nicht nachzugeben. „Wir haben eine Reihe von Reformen durchgeführt, die man als historisch bezeichnen kann“, betont der Premierminister immer wieder und verteidigt seinen Weg, die Menschen auch mit Druck in ein Arbeitsverhältnis zu bringen. Dabei verweist er auf die schlechten wirtschaftlichen Kennzahlen des Landes. So liege Belgien mit einer Beschäftigungsquote von knapp 72 Prozent im Bereich von Rumänien und Griechenland. In Deutschland und den Niederlanden sei die Beschäftigungsquote rund zehn Prozent höher.

Unternehmer betonen Notwendigkeit der Reformen

Angesichts zahlreicher Verschärfungen wird Kritik laut, die mächtigen Arbeitgebervertretungen hätten eifrig an dem Reformplan mitformuliert. Das aber kontert Pieter Timmermans Geschäftsführer des belgischen Unternehmensverbands (FEB): „Das Reformpaket ist nicht auf die Unternehmer zugeschnitten, sondern auf unser Land.“ Er verweist gegenüber der Tageszeitung „Le soir“ darauf, dass in anderen Staaten ähnliche Regeln für Arbeitslose längst umgesetzt seien. Die Gesellschaft müsse diesen Menschen natürlich helfen, „erwartet aber Anstrengungen von den Leistungsempfängern“. Und er betont, dass die notwendigen Reformen endlich in Angriff genommen werden müssten. „In Belgien haben wir uns immer gegen Maßnahmen gewehrt, die anderswo völlig normal sind“, sagt Pieter Timmermans. „Je länger wir warten, desto drastischer müssen wir vorgehen.“

Belgien will in die Verteidigung investieren

Doch die neue Regierung in Brüssel muss nicht nur sparen. Im Bereich Verteidigung sieht sie sich gezwungen, massiv zu investieren. Belgien gehört zu den Ländern in der Nato, die die Vorgabe weit verfehlen, zwei Prozent des Bruttoinlandproduktes in den Militärhaushalt fließen zu lassen. Angesichts des russischen Angriffskrieges sollen jetzt noch in diesem Jahr vier Milliarden Euro mobilisiert werden. Er könne sich sonst bei seinen Nato-Kollegen nicht mehr sehenlassen, erklärt Bart de Wever. Dafür muss das hoch verschuldete Belgien allerdings weitere Kredite aufnehmen. Eine spezielle EU-Klausel ermöglicht es, dass diese neuen Schulden für die Verteidigung nicht auf den Haushalt angerechnet werden. Die bereits versprochenen Hilfsgelder für die Ukraine sind in diesen vier Milliarden enthalten und werden durch die Körperschaftsteuer auf in Belgien eingefrorene russische Vermögenswerte finanziert.

Die Verschärfung des Asylrechts geplant

Ebenfalls mit dem Blick auf die Entwicklung in den anderen EU-Staaten, will Belgien auch das Asylrecht deutlich verschärfen. So soll etwa die Einkommensgrenzen für den Familiennachzug deutlich angehoben werden. Um Zwangsverheiratungen und Kinderehen vorzubeugen, ist der Nachzug und die Familiengründung mit einem Partner künftig erst ab 21 Jahren möglich. Zudem sollen Asylbewerber, die bereits in einem anderen europäischen Land Schutz genießen, in Belgien keine Aufnahme mehr finden. Und wer in einem anderen EU-Land abgelehnt wurde, wird auch in Belgien keine Chance auf ein Bleiberecht bekommen.