Von Hans-Christoph Werner
BACKNANG. Ein 22-jähriger Metallbauer aus Backnang und ein gleichaltriger Dachdecker aus Allmersbach im Tal haben sich vor dem Amtsgericht wegen Körperverletzung und Beleidigung zu verantworten. In einer Januarnacht dieses Jahres sind die beiden langjährigen Freunde in der Wohnung des Metallbauers. Dort sprechen sie reichlich dem Alkohol zu und hören Musik. Gegen vier Uhr morgens ist es, dass sich ein Mitbewohner des Mietshauses gestört fühlt. Er klopft an die Tür, stürmt, als der Dachdecker öffnet, gleich hinein und beschwert sich lautstark. „Scheißlaute Musik“ sei das. Um seine Worte zu unterstreichen, holt er zum Schlag aus, trifft aber nicht. Der Dachdecker drängt den ungebetenen Gast nach draußen. Auf dem Gang halten sich die beiden einander an den Armen fassend auf Distanz. Der Metallbauer kommt hinterher, will die beiden trennen, was ihm auch gelingt. Doch der Beschwerdeführer lässt nicht locker, redet, holt zum Schlag aus, trifft. Jetzt reicht’s dem Dachdecker: Er schlägt zurück. Der Kampf wogt hin und her, wird auch von lauten Worten begleitet.
Andere Hausbewohner kommen aus ihren Wohnungen, versuchen, die Streithähne zu trennen, jemand ruft die Polizei. Als die drei Streifenwagenbesatzungen eintreffen, ist alles ruhig. Die Beamten machen die Kontrahenten ausfindig und teilen sich auf. Die einen kümmern sich um den Beschwerdeführer, die anderen machen sich mit dem Metallbauer und dem Dachdecker bekannt. Durchaus zugänglich, so erzählt einer der beteiligten Polizisten vor Gericht, sei der Metallbauer gewesen. Der Dachdecker dagegen deutlich zurückhaltender.
Die Ordnungshüter stellen fest, dass der Beschwerdeführer einiges abbekommen hat. Er hat Hämatome im Gesicht, seine Brille ist zu Bruch gegangen. Der Dachdecker blieb unverletzt, während der Metallbauer sich nach eigenen Angaben nicht in den Kampf eingemischt hatte. In der Wohnung der beiden treffen die Streifenwagenbesatzungen zusammen. Aufgrund der Verletzungen, die sie beim Nachbarn festgestellt haben, deuten sie an, dass auf die beiden Herren ein Verfahren wegen Körperverletzung zukommen könnte.
Geschädigter zweifelt die Souveränität des Gerichts an
Da schlägt die Stimmung um. Nun ergreift der Metallbauer die Initiative. „Halt die Fresse“, herrscht er die Beamten an. „Ich f... dich, ich f... deine Mutter“, „Du Wichser“ sind die unschönen Worte. Als er unter den Polizeibeamten eine frühere Schulkameradin erblickt, fährt er auch die mit den Worten an: „Hey A., ich f... dich.“ Dann spuckt er einem Beamten vor die Schuhe. Der Dachdecker lässt sich anstecken, ist in seinen Ausdrücken allerdings etwas gemäßigter. Polizeibeamtinnen sind für ihn „Tante“ oder „Schatzi“, die männlichen Kollegen „Hiwis“.
Das mit den Beleidigungen will die Richterin genauer wissen. Es sei doch für die Angeklagten gut und hilfreich gewesen, dass die Polizei gekommen ist. Warum sie denn die Beamten so plötzlich beleidigt hätten? Die Angeklagten geben an, dass sie sich aufgrund ihrer Alkoholisierung von den Beamten nicht ernst genommen und sich vor allem zu Unrecht beschuldigt gefühlt hatten.
Umso wichtiger also, den Geschädigten, einen gewissen Herrn S., zu hören. Der, aufgerufen, bleibt aber gleich an der Tür des Gerichtssaals stehen. Einen Heftordner hält er in der Hand, hat seine Worte vorbereitet und fängt gleich an, vorzulesen. Die Aufforderung der Richterin, Platz zu nehmen, überhört er. Herr S. lässt sich in seinem Redefluss nicht bremsen, läuft bis zum Zeugenplatz, bleibt aber stehen. Jetzt fragt er die Richterin nach ihrem vollständigen Namen und in welcher Funktion sie da sei. „Können Sie über Mitmenschen verhandeln? Handeln Sie nach den gültigen Gesetzen? Handeln Sie souverän?“, sind seine Fragen. Weil Herr S. keine Antworten auf seine Fragen erhält, sagt er, sei die Verhandlung ein „illegales Standgericht“. Mittlerweile hat die Protokollantin zwei Justizbeamte geholt. Bei deren Erscheinen beschließt Herr S., doch nicht auszusagen. Die Beamten geleiten ihn mit hinaus, die Richterin folgt, die Gerichtsverhandlung ist unterbrochen. Schmunzeln und Grinsen auf den Gesichtern der Verteidiger der beiden Angeklagten. Offenbar habe man eben den Auftritt eines sogenannten „Reichsbürgers“ erlebt.
Um sich rückzuversichern, telefoniert die Richterin mit der Staatsanwaltschaft. Das Verfahren wegen gemeinschaftlicher Körperverletzung gegen die beiden Angeklagten wird eingestellt. Weitere Zeugen werden gehört. Drei Polizeibeamte werden insbesondere zu den ausgesprochenen Beleidigungen gehört.
Die beiden Angeklagten haben – so die Einträge im Bundeszentralregister – mit dem, was ihnen gegenwärtig zur Last gelegt wird, Erfahrungen gesammelt. Beim Metallbauer sind es sechs Einträge, beim Dachdecker vier. Darunter Körperverletzung, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und Beleidigung. Der Staatsanwalt legt vor. Bei dem Metallbauer sei die Beleidigung, beim Dachdecker die einfache Körperverletzung und die Beleidigung zu ahnden. Drei Monate sollen es beim ersten, beim zweiten sechs Monate, beides Mal ohne Bewährung, sein. Der Verteidiger des Metallbauers sieht die Sache weniger gewichtig. Schließlich habe sein Mandant seine bösen Worte eingestanden, sich bei der Polizeibeamtin entschuldigt. Für den Verteidiger des Dachdeckers waren die Schläge seines Mandanten angesichts fortgesetzter Provokationen durch Herrn S. nur Notwehr. Dafür sei er freizusprechen. Und die Schimpfworte gegenüber den Polizisten seien weniger verletzend gewesen, sodass eine Geldstrafe ausreichen würde.
Nach Beratung fällt die Richterin das Urteil: Der Dachdecker erhält wegen Körperverletzung und Beleidigung drei Monate auf Bewährung. Herr S. sei schwächer als die Angeklagten. Ferner seien sie zu zweit gewesen. Mindestens ein Faustschlag sei dem 22-Jährigen anzulasten. Der Metallbauer erhält nur drei Monate, allerdings ohne Bewährung. Von zwei Verurteilungen im Jahr 2017, so die Richterin, sei der Metallbauer noch unter Bewährung gestanden. Ein drittes Mal könne sie keine Bewährung aussprechen.