Sabine Schneider hat beruflich und privat mit Demenzpatienten zu tun und kennt somit beide Seiten. Foto: Alexander Becher
Von Simone Schneider-Seebeck
Backnang. Thomas M. (Name geändert) steht mitten im Leben. Er ist 45 Jahre alt, kommt aus dem Backnanger Raum, hat Frau und Kinder. Im Beruf läuft es gut. Doch plötzlich ändert sich das. M. verhält sich auf einmal egoistisch und selbstbezogen, auch auf der Arbeit kann man sich nicht mehr auf ihn verlassen, er wird unzuverlässig. Man drängt ihn, einen Arzt aufzusuchen. Die Diagnose: frontotemporale Demenz. Einerseits Erleichterung bei Familie und Kollegen, denn nun weiß man, warum er sich auf einmal so anders verhält. Doch andererseits – was bedeutet diese Diagnose eigentlich? Wie soll man damit umgehen, als Betroffener, als Angehörige, als Bekannte und Kollegen?
Hört oder liest man von Demenz, denkt man zunächst an Gedächtnisprobleme, Vergesslichkeit, Wortfindungsstörungen, Orientierungsprobleme. Doch diese Erkrankung ist wesentlich vielschichtiger. Je nachdem, welcher Teil des Gehirns betroffen ist. Margit Mahler vom Pflegestützpunkt in Backnang erklärt, was bei einer primären Demenzerkrankung passiert: „Die Nervenzellen im Gehirn sterben ab.“ Doch was viele nicht wissen – bei einer Demenzerkrankung können Zellen in jeder Stelle des Gehirns betroffen sein, nicht nur im Gedächtnisbereich. Das Fatale dabei ist, dass abgestorbene Nervenzellen nicht ersetzt werden: „Wenn sie tot sind, sind sie tot“, so Mahler. Was auch bedeutet, dass sich die Erkrankung zwar behandeln, also verzögern, aber nicht heilen lässt. „Familienangehörige und Betroffene haben oft falsche Erwartungen an die Medikamente“, warnt die Expertin.
Zudem kann sich die Demenz zunächst auch auf eine Weise äußern, die man gar nicht mit ihr in Verbindung bringt, beispielsweise durch eine Persönlichkeitsveränderung, wie im Fall von Thomas M. Zwar wurde bei ihm relativ zügig eine Diagnose erstellt, doch wie man damit umgehen konnte, dazu gab es keine Informationen.
Persönlichkeitsveränderung liegt an der Krankheit, nicht am Betroffenen
Die Familie litt sehr unter diesem Zustand, auch beruflich war er irgendwann nicht mehr tragbar. Somit kamen auf die Familie noch finanzielle Sorgen zu. Schließlich fand sich eine geeignete Beratungsmöglichkeit, man erklärte der Familie, was genau mit Thomas M. passiert ist. Ganz wichtig war vor allem die Erkenntnis, dass diese Persönlichkeitsveränderung nicht von ihm selbst ausgegangen ist, sondern dass es an der Krankheit liegt. Ein Tipp, damit umzugehen – konkret auf Freunde und Familienmitgliede zugehen und gezielt um Hilfe zur Entlastung zu bitten.
Neuer Gesprächskreis in Murrhardt
„Es gibt leider zu wenige kompetente Beratungsstellen“, bedauert Monika Amann. Bis vergangenes Jahr war sie Demenzfachberaterin des Rems-Murr-Kreis. Sie gehört dem Vorstand der Alzheimer-Gesellschaft Baden-Württemberg an und hat gemeinsam mit Angelika Burr in Murrhardt in diesem Jahr einen Gesprächskreis für An- und Zugehörige von Personen mit Demenz ins Leben gerufen. „Viele stehen allein da und müssen damit zurechtkommen“, hat sie festgestellt.
„Es hat ganz schleichend begonnen“, berichtet Erwin M. (Namen geändert). Er und seine Frau Martha sind beide über 80, seit vielen Jahren verheiratet. Sie hat immer sehr auf Ordnung geachtet und hat mit Leidenschaft gekocht. Irgendwann fiel ihm auf, dass die Wohnung schlampiger aussah. Das Essen wurde immer ungenießbarer, seine Gattin verbrachte immer mehr Zeit auf dem Sofa. Doch weiterhin ging Martha M. regelmäßig zum Friseur. „Die ist faul geworden“, so Erwin M.s Fazit. Dass etwas nicht stimmt, fiel erst richtig auf, als die Kleidung in den falschen Schränken lag. Die Kinder drängten auf den Arztbesuch, die Diagnose lautete schließlich: Demenz.
„Das Gehirn ist die Steuerung für alles“, erklärt Amann. Vergesslichkeit, Wortfindungsstörungen, Orientierungslosigkeit, Wahrnehmungsstörungen, der Verlust folgerichtigen Denkens und Handelns, all das kann durch das Absterben der Nervenzellen im Gehirn ausgelöst werden. Möglicherweise weiß man auf einmal nicht mehr, was eine Dusche ist und fürchtet sich davor, sie zu betreten. „Man muss die Biografie des Betroffenen miteinbeziehen“, rät Amann. Aus welcher Zeit kommt der Mensch, was hat er für Erfahrungen in jungen Jahren gemacht? Das kann auch erklären, warum manche Dinge, die für wertvoll erachtet werden, beispielsweise Geldbörse oder Schlüssel, auf einmal gut versteckt im Schrank liegen.
Abwehrreaktionen werden oft falsch interpretiert
Wichtig sei es daher, auf diese Ängste einzugehen und sie nicht einfach fortzuwischen, so Monika Amann. Auch sei die Wahrnehmung oft verändert, beispielsweise beim Geschmacksempfinden. Dem erkrankten Menschen klarmachen zu wollen, dass seine Befürchtungen und Empfindungen nicht real sind, setze ihn unter Druck. Und das könne zu Abwehrreaktionen führen, die fälschlicherweise als Aggression wahrgenommen werden. Dabei steht hinter dem Verhalten keine böse Absicht, sondern schlicht Angst.
Sabine Schneider kennt beide Seiten. Einerseits arbeitet sie seit Beginn ihrer Ausbildung in der Pflege und hatte so schon früh Kontakt mit an Demenz erkrankten Personen. Andererseits ist die Leiterin des Bereichs Pflege im Altenheim Staigacker selbst Angehörige und hat mit ihrem Schwiegervater einiges erlebt. Selbst ihr, die doch jahrelange Erfahrung in dem Bereich hat, ist nicht gleich aufgefallen, dass etwas nicht stimmt. „Die Betroffenen merken, dass etwas kommt. Sie entwickeln dann Strategien, das vor der Umgebung zu verbergen“, so ihre Erfahrung. Das Thema sei stark mit Scham und Angst behaftet. So habe es im Haus des Schwiegervaters immer tipptopp ausgesehen. Dass etwas nicht stimmt, habe sich nach einem Fest gezeigt. Man wollte gemeinsam abspülen und laut Schwiegervater seien die Geschirrtücher nicht am üblichen Ort. Überall hatte man gesucht – und sie später doch in dem Schrank gefunden, in dem sie immer aufgeräumt sind.
Rat der Expertin: Rechtzeitig Hilfe engagieren
„Wenn die Demenz fortschreitet, wird es schwierig in der eigenen Wohnung“, weiß Sabine Schneider. Sie rät dazu, rechtzeitig eine Hilfe zu engagieren, damit sich der oder die Betroffene auch an die Anwesenheit dieser Person gewöhnen kann. Sonst kann es schnell passieren, dass sie irgendwann nicht mehr eingelassen wird.
Ihrer Erfahrung nach entwickeln Angehörige oft Schuldgefühle, wenn sie mit der erkrankten Person nicht mehr zurechtkommen. „Man kann das allein nicht stemmen, das kann eine Familie kaputtmachen“, sagt sie. Irgendwann sei man schlicht überfordert und das könne in Wut auf den Erkrankten umschlagen. Auch wenn einem natürlich bewusst ist, dass niemand etwas für die Situation kann.
„Oft fällt es Menschen mit Demenz schwer, zum Ausdruck zu bringen, was sie wollen“, so Schneider. Es helfe, mit ihnen zu sprechen und zu versuchen, auf sie und ihre Bedürfnisse auf würdevolle Weise einzugehen. „Der Mensch möchte sich erinnern“, weiß sie und rät daher, ein Fotoalbum mit den wichtigsten Personen anzulegen, das man immer wieder anschauen kann. Am besten mit Namen unter dem Bild: „Wiederholungen sind wichtig.“
Delir oder Demenz? Wenn bei älteren Personen ein Zustand der Verwirrtheit auftritt, kann, aber muss das nicht ein Anzeichen für eine Demenzerkrankung sein. Es kann sich ebenso um ein Delir handeln. Der Unterschied: bei einem Delir sterben keine Nervenzellen ab und ist somit reversibel, sofern es erkannt und seine Ursache behandelt wird. Zudem tritt es plötzlich auf. Die Verwirrtheit stellt sich nicht kontinuierlich dar, sondern kann im Tagesverlauf schwanken. Ein Delir kann beispielsweise durch zu wenig Flüssigkeitsaufnahme, eine Medikamentenumstellung oder einen Infekt entstehen.
Gesprächskreis An jedem vierten Montag im Monat findet der Gesprächskreis für Angehörige (kostenlos) im Jugendraum der Friedenskirche Murrhardt statt. Ansprechpartner sind Monika Amann unter den Telefonnummern 07192/ 9389821 und Angelika Burr 07192/900548.