Sonnenstrahlen fallen durchs Außenfenster der Sakristei und setzen den altehrwürdigen Raum in Szene. „Schon allein diese Stimmung mit dem Morgenlicht ist doch großartig“, sagt Fotografin Stefanie de Buhr. Sie begleitet am Vormittag den Workshop des Kirchbauvereins Stiftskirche Backnang, bei dem es darum geht, das Gotteshaus dokumentarisch, aber auch ganz individuell in den Blick zu nehmen.
Stefanie de Buhr sagt, Architektur besteht aus Linien – manchmal sind sie auch geschwungen.
Von Christine Schick
BACKNANG. Als die Teilnehmer sich nach und nach in der Stiftskirche einfinden, wird schon mal diskutiert, welche Bereiche für die zehnköpfige Gruppe alle zugänglich gemacht werden können. Der Tenor: Alles soll aufgeschlossen werden, außer vielleicht der Opferstock.
„Wir haben jetzt zwei Stunden Zeit, um die Stiftskirche mit dem Foto selbst zu erkunden und Neues zu entdecken“, sagt Eberhard Krumm vom Kirchbauverein Stiftskirche. „Stefanie de Buhr ist für Sie da und gibt Tipps.“ Die Idee entstand vor dem Hintergrund der anstehenden Renovierung des Gotteshauses. „Die Fotos dienen zum einen der Dokumentation, wir möchten den Stand noch einmal festhalten, zum anderen soll aus ausgewählten Bildern der Teilnehmer ein Kalender entstehen, den wir zugunsten des Renovierungsprojekts verkaufen wollen“, ergänzt Dr. Sebastian Zeller, stellvertretender Vorsitzender des Kirchbauvereins, später. Stefanie de Buhr gibt den Teilnehmern, die alle Erfahrung im Fotografieren haben, noch mit auf den Weg: „Architektur besteht im Grunde aus Linien, die man wunderbar nutzen kann, um sich an der Symmetrie zu orientieren oder mit ihnen zu spielen.“ Zudem regt sie dazu an, sich in Details zu vertiefen und ungewöhnliche Perspektiven auszuprobieren. „Also setzen Sie die Kamera auch ruhig mal auf den Boden.“
Dann wird zu Fotoapparat und Stativ gegriffen und ausgeschwärmt. Nicht wenige der Teilnehmer haben eine enge Beziehung zu ihrem Objekt. „Die Stiftskirche gehört einfach zu meinem Leben“, stellt Eberhard Krumm fest und erinnert sich an seine Konfirmation und den damaligen Gottesdienst inklusive Rockgruppe. Das Gotteshaus ist mit vielen prägenden Erlebnissen verbunden – für ihn genauso wie für seine Eltern und seine Kinder. Das war auch der Grund, sich später im Kirchbauverein für den Erhalt der Kirche zu engagieren. „Mich interessieren heute vor allem die Fenster des Chors. Sonst habe ich nicht die Gelegenheit, sie so früh am Morgen im Sonnenlicht zu sehen. Das ist schon ein ganz besonderer Ort“, sagt er.
Das sieht Eric Biller, der sich bereits in früheren Jahren als Hausfotograf verdient gemacht hat, genauso und positioniert sich ebenfalls vor den Fenstern. Mit Stefanie de Buhr testet er ein paar Einstellungen aus.
Jeder sieht anders, und darin liegt auch eine besondere Chance
Danach heißt es, sich mit feinsten Änderungen bei Brennweite und Blende an die gewünschte Bildstimmung heranzutasten. „Jeder sieht anders“ und darin liegt auch eine besondere Chance, sagt die Workshopleiterin. Genau das sei ihr neulich wieder bewusst geworden, als sie mit zwei Freundinnen im Stuttgarter Europaviertel eine Fotosession absolviert hat. Obwohl die drei am selben Ort waren, hätten sich völlig andere Blickwinkel und Szenerien ergeben.
Steffen Wihofszki stellt sein Stativ neben das von Steffen Kirschke. Die beiden Steinbacher haben sich einen Tag zuvor spontan zum Workshop angemeldet. Auch sonst sind sie in ihrer Freizeit äußerst gerne mit der Kamera unterwegs. „Nachher möchte ich noch runter in die Krypta zu den Gräbern der Markgrafen“, sagt Wihofszki, der letzte Besuch sei vermutlich rund 20 Jahre her.
Ulrike Wilborn steht in der Mitte des Chors und fragt: „Bin ich im Bild?“. „Machen Sie ruhig“, meint Wihofszki und winkt ihr. In einem zweiten Schritt rückt sie noch näher an Chorfenster und Altar heran, setzt sich auf den Boden und macht Bilder. Auch sie ist eng mit der Stiftskirche verbandelt. Die Kirchengemeinderätin hat schon als Kirchenhüterin und -führerin hier Dienst getan. „Ich liebe die Stiftskirche, beim Gottesdienst muss ich so sitzen, dass ich das Christusfenster sehe“, erzählt sie. „Ich hab schon viele Bilder gemacht, auch beim Straßenfest hab ich mich, obwohl ich nicht schwindelfrei bin, ins Riesenrad gesetzt, um sie von ganz oben in den Blick nehmen zu können.“ Heute will sie sich neben den Fenstern noch im speziellen die Türen als Symbole des Eintritts in einen anderen, neuen Raum vornehmen.
Christian Schleicher, Mesner der Stiftskirche, ist ebenso unter den Teilnehmern und kümmert sich darum, dass sämtliche Erkundungswünsche erfüllt werden können. Sebastian Zeller nimmt die steile Treppe in Richtung Empore in den Fokus. Die Kamera – seine erste bekam er zur Konfirmation – ist für ihn ein wertvoller Begleiter geworden, mit der er Ausschnitte des Lebens und nun eben auch der Stiftskirche dokumentiert – bewusst und mit Muse.
Im Turm führt der Weg über Stein- und dann Holztreppen, die immer schmaler werden, nach oben zum Dachstuhl. Staubige Holzdielen, ein Seitenraum mit Regal und vergessenen Büchern und schließlich der Blick über die Stadt. „Das ist absolut spannend hier oben“, sagt Bernd Jost aus Waldrems. „Ich hab in der Stiftskirche geheiratet, auch mein Sohn.“ Die Kirche jetzt in aller Gelassenheit zu erkunden, sei schon etwas Besonderes.
Ernst-Gerhard Höhn hat sogar schon die zurückliegende Renovierungsphase in den 1950er-Jahren miterlebt. Er macht sich zur Empore auf, wo er nach einem Raum schauen will, der früher einmal eine Art kleine Bibliothek war, sich heute aber als Stauraum und Rumpelkammer entpuppt. Eberhard Krumm nutzt die Gelegenheit, sich die Kirche von der Kanzel aus anzuschauen, andere rücken den verschiedenen Figuren zu Leibe. Auch die Sakristei mit dem großen, alten, ornamentverzierten Holzschrank, dem historischen Beichtstuhl und der Opfertruhe laden zu weiteren Betrachtungen ein.
Nach zwei Stunden findet sich die Gruppe zum Abschluss dort ein. Sebastian Zeller bittet die Mitstreiter nicht ganz so rigoros beim Aussortieren zu sein: „Bevor Sie Bilder wegschmeißen, würden wir sie gerne nehmen. So wie wir die Kirche heute festgehalten haben, werden wir sie bald nicht mehr vorfinden.“
Man darf also gespannt sein auf den Fundus an Zeitdokumenten und Bildern für den geplanten Kalender, der, wenn alles glatt läuft, beim Weihnachtsmarkt verkauft wird.
Weitere Infos zum Kirchbauverein Stiftskirche Backnang im Internet unter der Homepage www.kirchbauvereinstiftskirchebacknang.de.
Sonst unzugängliche Räume lassen sich erkunden – hier ein Zimmer unterhalb des Dachstuhls.
Alle Teilnehmer sind fotografieerfahren, rücken teils mit beachtlicher Ausrüstung an.
Die Workshopteilnehmer sind ausgeschwärmt und nähern sich der Stiftskirche aus ganz unterschiedlichen Perspektiven. Fotos: A. Becher