Der Klangder Kirche

„Wir benutzen den Raum wie ein Instrument.“ Das ist eine der Kernaussagen, die im Gespräch mit dem Klangkünstler Sam Auinger und dem Bassisten und Komponisten Hannes Strobl in der Backnanger St.-Johannes-Kirche fallen. Zusammen mit Mitarbeitern der auf hochwertige Lautsprechersysteme spezialisierten Backnanger Firma d&b audiotechnik bereiten die beiden den Backnanger Beitrag zum Kulturregion-Projekt „Drehmoment“ vor.

Der Klang
der Kirche

Sie bewegen sich mit ihrer Arbeit im Spannungsfeld zwischen Klang und Architektur: Sam Auinger (links) und Hannes Strobl bei der Arbeit an ihrem „Drehmoment“-Beitrag. Fotos: A. Becher

Von Ingrid Knack

BACKNANG. Künstler und Unternehmen machen gemeinsame Sache. Benjamin Heidersberger, der künstlerische Leiter des Projekts „Drehmoment“, möchte mit dem Festival 2018 der Kulturregion Stuttgart zum positiven Wandel der Region beitragen, indem das Zielgerichtete, Planbare der Industrie und die kreative Kraft der Kunst zueinanderfinden. In Backnang scheint dies prima zu klappen.

Der aus Oberösterreich stammende und in Berlin lebende Sonic Thinker, Komponist und Sound Artist Sam Auinger und der ebenfalls in Berlin lebende Bassist, Komponist und Klangkünstler Hannes Strobl hätten für ihre Klanginstallation in der St.-Johannes-Kirche keinen besseren Partner als d&b audiotechnik finden können. Das Backnanger Unternehmen hat sich nicht nur auf die Fahnen geschrieben, mit seinen professionellen Lautsprechern und Audiosystemen den bestmöglichen Sound unter den jeweils unterschiedlichen Gegebenheiten in- und outdoor entstehen zu lassen (mit einer eigens entwickelten Simulationssoftware kann die optimale Beschallung berechnet werden), sondern ist auch offen für Experimente. In diesem Fall für die Klanginstallation mit dem Titel „Raumfarben 07“ für den Kircheninnenraum von St. Johannes in Backnang.

Sam Auinger, Hannes Strobl und d&b-Mitarbeiter loten bei einem Vor-Ort-Termin den Klangraum aus, den sie erlebbar machen wollen. Lautsprecher sind im Gotteshaus verteilt, ein Mischpult steht zwischen den Kirchenbänken. „Hier haben wir eine wunderbare Holztafeldecke“, sagt Auinger. Weiter spricht er über Hallzeit, Ausmaße der Kirche, einen nicht mit katholischen Insignien überladenen Raum und die „prominente Orgel, die fast ein bissle groß ist für den Raum“. Am Ende wird sich im Hörbaren die sichtbare Gliederung der Kirchenarchitektur spiegeln.

Die Klanginstallation „Raumfarben 07“ macht bewusst, dass die Kirche eine spezifische Soundscape, eine Klanglandschaft erzeugt. Wobei der Klang beispielsweise im Chor ein ganz anderer ist als auf der Empore. Um die verschiedenen räumlichen Qualitäten erfass- und erlebbar zu machen, werden Lautsprecher so positioniert, dass die Architektur indirekt über die Wände sozusagen zum Sprechen gebracht wird. Und der alltagslärmgeplagte Mensch, mittlerweile eher ein Meister des Weghörens, soll wieder zum Hinhören animiert werden.

„Raumfarben 07“ funktioniert nur in

der St.-Johannes-Kirche in Backnang

Warum aber der Fokus auf dieses auditive Wahrnehmen einer Lebensumgebung? Hier geht es neben dem Raum- und Zeitempfinden der Besucher um die emotionale Wahrnehmbarkeit von Räumen. Zum Hörsinn kommt der „Raumsinn“, so die Künstler. Die emotionale Bindung an unsere Lebensumgebung hängt mit von dem ab, was in unsere Gehörgänge dringt. Anders gesagt: Wie wir uns fühlen und handeln, liegt vielleicht mehr als wir glauben an den Räumen oder (Stadt-)Landschaften, in denen wir uns bewegen.

Der Titel „Raumfarben 07“ deutet auf eine Werkreihe hin. Unter anderem erarbeiteten Auinger und Strobl in Kirchen in Braunschweig und Berlin Klanginstallationen. Ausgangspunkt war – wie jetzt auch in Backnang – der Kircheninnenraum in seiner Funktion als Klangkörper sowie die von außen in den Kirchenraum dringenden Umgebungsgeräusche. Letztere haben, wie etwa der Regen, einen bestimmten Rhythmus. Oder jemand betritt den Kirchenraum, die Tür öffnet sich, Schritte sind zu vernehmen. „Die Art des ,Sprechens‘ dieser Raumarchitektur und das innen hörbare Außen bilden die Basis für die Kompositionsstrategie und deren Klangsprache“, so Auinger. Klar ist dabei: Die Installation ist immer nur für einen ganz bestimmten Raum konzipiert, woanders würde sie nicht funktionieren. Aus Erfahrung weiß Auinger, dass sich 40 Minuten wie 15 Minuten anfühlen, wenn man sich bei einer dieser Klanginstallationen beim Hören selbst erlebt. Das hat Folgen. „Nach einer solchen Klanginstallation klingt die Welt anders.“

Besonders freut sich Auinger, dass er und Strobl dank d&b „mit dem besten Werkzeug arbeiten dürfen, das wir uns vorstellen können“. Für die Boxen, die sich diskret in den Kirchenraum einfügen, entwickelt er in Kooperation mit Hannes Strobl eine einstündige Komposition. Es geht also darum, eine auditive Raumfarbe zu komponieren. Im Studio werden Sounds vorproduziert, die mit den vor Ort aufgenommen Geräuschen abgestimmt werden. Während der Klanginstallation wird der eigens für die Kirche kreierte Sound in Loops laufen – das heißt, die Komposition läuft in einer Endlosschleife. Teil der „Architekturmusik“ sind auch die mit dem E-Kontrabass und der E-Bassgitarre Strobls erzeugten Töne. Es ist ein Eintauchen in Obertöne, Spektralklänge, mikrotonale Klangschichten und Frequenzen. Sam Auinger und Hannes Strobl gründeten übrigens 2001 das Projekt tamtam. Von 1. Juni bis 1. Juli machten sie etwa in „A100. Der Klang der Berliner Stadtautobahn“ die auditive Dimension der Straße erlebbar.

Man muss kein Musiker oder Musikwissenschaftler sein, um sich von ihren experimentellen Klanginstallationen faszinieren zu lassen. Auinger und Strobl fordern die Besucher auf, nachzuspüren, wie akustische Eindrücke unser Raum- und Zeitempfinden und unsere Emotionen berühren. Die Dominanz des Visuellen in unserer Kultur wird dabei infrage gestellt. Es ist auch ein Aufruf zum Diskurs über das Hören. Bis Ende Oktober wird die Backnanger Installation zu erleben sein. „Manche werden öfter kommen. Zu verschiedenen Tageszeiten“, glauben die Künstler. Sie sind sich sicher, dass man sich danach ein wenig mehr mit der Welt verbunden fühlt.

Auch Regionalkantor Reiner Schulte wirkt bei dem Projekt mit. Er lässt beim Eröffnungskonzert am 5. Oktober um 20 Uhr die Mühleisen-Orgel erklingen.

Der Klang
der Kirche

Lautsprecher auf der Empore.