„Die Innenstadt wirkt nicht besonders voll“

Im Kreis Schwäbisch Hall sind Infektionen und Inzidenz enorm angestiegen. Nutzen die Nachbarn die Gelegenheit, um in Murrhardt einzukaufen? Im Zentrum ist dies weniger der Fall, in den Murrarkaden registrieren Händler schon deutlich mehr Kunden von dort.

„Die Innenstadt wirkt nicht besonders voll“

Einige Einzelhändler berichten, dass sie Stammkunden haben, die aus den angrenzenden Gemeinden wie Fichtenberg oder Oberrot kommen, aber schon immer bei ihnen einkaufen. Somit tauchen auch Autokennzeichen aus Schwäbisch Hall in der Stadt, wie hier im Klosterhof, auf. Manche haben die Möglichkeit wohl aber gezielter genutzt, so wie es aussieht eher bei den Händlern in den Murrarkaden. Foto: J. Fiedler

Von Christine Schick

MURRHARDT. Der Kreis Schwäbisch Hall kämpft seit einiger Zeit mit drastisch zunehmenden Infektionszahlen, in der Vorwoche stieg die Inzidenz beispielsweise in Crailsheim auf rund 500, die für den gesamten Nachbarkreis lag gestern bei rund 292 (zum Vergleich: In Baden-Württemberg betrug sie gestern 89). Dabei sieht es so aus, als sei auch der Anteil der britischen Virusvariante vergleichsweise hoch. Gerald Diem, Sozialdezernent im Landkreis Schwäbisch Hall, sagte dem SWR vor rund einer Woche, dass dieser bei schätzungsweise 70 Prozent liege. Zwar gab es einzelne Betriebe und Einrichtungen, in denen Coronaausbrüche zu verzeichnen waren, aber das Infektionsgeschehen wird trotzdem insgesamt als diffus eingeordnet. Grundschulen sind nicht in den Regelbetrieb gegangen. Vorsichtige Ladenöffnungen mit den entsprechenden Schutzmaßnahmen wie im Rems-Murr-Kreis mit einer Inzidenz unter 50 – die allerdings seit Dienstagabend auch wieder diese Marke überschritten hat – waren nicht möglich.

Da Murrhardt am nordöstlichen Rand in unmittelbarer Nachbarschaft zum Kreis Schwäbisch Hall liegt, könnte es sein, dass vermehrt Menschen von dort in die Stadt kommen, um hier einzukaufen. Bei einer nicht repräsentativen, kleinen Umfrage in einzelnen Geschäften zeichnete sich ab, dass dies in der Innenstadt nur sehr begrenzt ein Thema ist, sehr viel deutlicher bei den Händlern der Murrarkaden wahrgenommen werden kann.

Helga Götz vom Modehaus Bachmann in der Murrhardter Fußgängerzone bestätigt, dass ihr in den vergangenen Tagen der eine oder andere Kunde aus dem Kreis Schwäbisch Hall begegnet sei, wie sie im Gespräch festgestellt habe. Auffällig viele seien dies aber nicht gewesen. Sie setzt im Alltag auf die Regeln und Vorsichtsmaßnahmen, die überall in den Läden gelten, wie Maskenpflicht, Abstand und eine begrenzte und von der Quadratmeteranzahl abhängige Anzahl an Kunden im Geschäft. Auch tut sie persönlich alles, was ihr möglich ist, um sich sowie die Kunden entsprechend zu schützen. Gleichzeitig registriert sie, dass sich die Kunden freuen, wieder in den Laden kommen zu können.

Martina Reißhauer von Mode am Markt hat bisher keinerlei neue Kundschaft aus dem Nachbarkreis wahrgenommen. Seit der Wiedereröffnung seien es vor allem ihre treuen Stammkunden gewesen, die vorbeigeschaut hätten, vereinzelt auch aus der Backnanger Ecke. Auch ihr Eindruck ist, dass die Menschen, die ihr Angebot nutzen, es sehr schätzen, und gute Laune in den Laden getragen hätten. „Ich erlebe die Kunden als rücksichtsvoll und umsichtig in Bezug auf die Schutzmaßnahmen“, sagt sie.

Christiane Langfellner befindet sich mit ihrem Geschäft Schreibwaren Keller wie Martina Reißhauer direkt am Murrhardter Marktplatz. Sie hat zwar das eine oder andere Schwäbisch Haller Autokennzeichen ausgemacht, gibt aber zu bedenken, dass dies allein auch noch kein zwingender Hinweis auf den Wohnort sei. Ein Bekannter aus Murrhardt habe beispielsweise seinen Wagen in Schwäbisch Hall angemeldet. Unter ihren Kunden seien ebenso Fichtenberger, aber die kämen auch sonst, um Schreibwaren bei ihr zu kaufen. Sie lässt am Dienstagspätnachmittag den Blick über Marktplatz und Fußgängerzone schweifen und sagt: „Die Innenstadt wirkt auf mich nicht besonders voll.“ Es sind nur wenige Passanten unterwegs. Sie geht nicht davon aus, dass die Nachbarn gezielt nach Murrhardt zum Einkaufen kommen, wenn, könne sie sich vorstellen, fahren Kunden aus dem Kreis Hall dann in eine größere Stadt wie Backnang.

Das ist auch die Vermutung von Christian Lätzig vom BücherABC. Neue Kunden aus dem Nachbarkreis hat der Buchhändler jedenfalls in den vergangenen Tagen nicht registriert. Zu seiner Stammkundschaft gehören auch Buchliebhaber, die an der Kreisgrenze wohnen, beispielsweise in Oberrot. Er merkt allerdings an, dass Buchhandlungen mittlerweile eine Ausnahme bilden und auch im Kreis Schwäbisch Hall geöffnet haben dürfen, ähnlich wie andere Geschäfte, die zur Grundversorgung zählen. Insofern sei es eher unwahrscheinlich, dass sich Kunden von dort bei ihm einfinden.

Ulrike Lang von der gleichnamigen Parfümerie zeichnet ein ähnliches Bild. Zu ihrer Stammkundschaft gehören Oberroter und Fichtenberger, die auch sonst in den Laden kommen, vermehrt neue Kunden haben sie und ihr Team aber nicht ausgemacht. Sie glaubt, dass jemand von außerhalb, der quasi an Murrhardt nur vorbeifährt, das Angebot in der Walterichstadt eher unterschätzt, und dann möglicherweise gleich Kurs auf Backnang nimmt, wo in Bezug auf größere Filialen und Ketten ähnliche Möglichkeiten wie in Hall bestünden. Wenn Kunden von außerhalb ins Geschäft kämen, seien das noch eher Tagestouristen.

Die Einschätzung von Elke Kleinknecht, die das Stadtmarketing, den lokalen Online-Marktplatz und damit auch den Einzelhandel in Murrhardt für die Stadtverwaltung unterstützt, bestätigt diese Eindrücke. Sie geht davon aus, dass die Kundschaft eine gewachsene ist, die sich nicht allein an den Kreisgrenzen orientiert, sprich Kunden beispielsweise aus Oberrot, Fichtenberg und der Umgebung immer schon die Einkaufsmöglichkeiten in Murrhardt genutzt haben und weiter nutzen. Dass nun verstärkt neue Kunden in den Läden aufgetaucht seien, habe sie nicht vernommen. Auch sie setzt auf die klaren Schutzmaßnahmen im Einzelhandel.

In den Murrarkaden, das Einkaufszentrum, das einige 100 Meter von der Innenstadt entfernt liegt, ist das Bild ein anderes: Ein Mitarbeiter der Deichmann-Filiale berichtet, dass er viele Kunden aus dem Kreis Hall wahrgenommen habe, insbesondere vor einer Woche, die aktuelle sei etwas entspannter.

Über ein Nummernsystem mit Bügeln wird die Kundenzahl kontrolliert.

Auch Silke Hillebrecht, Filialleiterin bei AWG, erzählt, dass viele Kunden aus dem Nachbarkreis im Kleidergeschäft einkaufen gewesen seien. Um den Überblick zu behalten, hat der Laden ein System entwickelt: Jeder Kunde muss am Eingang einen nummerierten Bügel mitnehmen, maximal dürfen 94 Personen ins Geschäft. „Das wurde aber nie ausgereizt.“ Da sich im Internet recherchieren lässt, welche Filialen geöffnet haben, findet sie es logisch, dass die Kunden gezielt kommen.

Bürgermeister Armin Mößner berichtet von der aktuellen Vorstandssitzung des Stadtmarketingvereins am Dienstagabend, in der einige Mitglieder bestätigt hätten, dass zu ihrer Stammkundschaft auch Bewohner des Kreises Schwäbisch Hall beziehungsweise aus den angrenzenden Nachbargemeinden gehören. Gemessen an der Frequenz in der Stadt sei aber „nicht von einem großen „Shoppingtourismus auszugehen“, so Mößner. Die Hygienekonzepte der Einzelhändler mit den entsprechenden Regeln zu Maske, Abstand und der begrenzten Anzahl an Kunden im Laden beurteilt er als gut. „Meiner Beobachtung nach sind die allermeisten Kunden und Einzelhändler beziehungsweise Dienstleister in der Innenstadt sehr diszipliniert und leisten ihren Beitrag zum Hygienekonzept. Das Risiko ist im Fachhandel der Innenstadt meiner Einschätzung nach nicht größer wie beispielsweise in den Supermärkten. Letztlich können wir aber eine Einreise in den Kreis beziehungsweise die Stadt auch nicht versagen. Es war klar, dass es möglich ist, dass Personen vom einen Landkreis in den anderen gehen, wenn es dort mehr Lockerungen gibt. Allerdings finden im Randbereich zwischen Landkreisen ohnehin Verflechtungen statt.“

Letztlich bleibt für ihn wichtig, sich und andere so weit wie möglich zu schützen, indem man die Hygieneregeln beachtet und so die Infektionszahlen auf möglichst niedrigem Niveau hält.

Da die Inzidenz im Rems-Murr-Kreis allerdings während der vergangenen drei Tage über 50 lag, hat sich das Thema mittlerweile erledigt, da viele der Geschäfte, die jüngst öffnen konnten, wieder schließen müssen. Wie das Landratsamt gestern Abend mitteilte, müssen die Lockerungen ab Montag zurückgenommen werden.

Elke Kleinknecht hat dieser Tage eine Reihe von Händlern dabei unterstützt, über den Murrhardter Online-Marktplatz die Möglichkeit einzurichten, Termine in ihren Geschäften zu buchen. So können diese unter dem Stichwort „click and meet“ sich für einen Besuch anmelden, der dann als eingeschränkte Variante unter bestimmten Rahmenbedingungen (wir berichteten) möglich ist. Sie hofft, dass dies eine kleine Hilfe sein kann.