Im Jahr 2000 wird Uli Häufele, Sozialpädagoge mit Zusatzausbildung, Geschäftsführer des katholischen Dekanats Rems-Murr. Seitdem hat er viel bewegt und so manche Grenze der Kirche ausgelotet. Jetzt geht er in Ruhestand und lässt sein berufliches Leben Revue passieren.
Uli Häufele im Besprechungszimmer des katholischen Dekanats – im Hintergrund hängt, wie könnte es anders sein, ein Bild des schwäbischen Malerpfarrers Sieger Köder. Foto: A. Palmizi
Von Peter Schwarz
WAIBLINGEN. Hätte nicht damals schon der Priestermangel grassiert, vielleicht wäre „irgendein Kaplan“ Geschäftsführer geworden. So aber trat im Jahr 2000 Uli Häufele sein Amt im Rems-Murr-Kreis an. Dass ein Sozialpädagoge mit Zusatzausbildung als Supervisor den Posten bekam, mag sich deuten lassen als Symptom der Auszehrung – dass die Personalie sich als Glücksfall entpuppte, gibt einen Fingerzeig auf mögliche Zukunftschancen dieses erneuerungsbedürftigen Apparats.
Hierarchie, Autorität – im Kern folgt die katholische Kirche bis heute einer vordemokratischen, aus Mittel- und Feudalzeitalter stammenden Logik: Der Geweihte sagt, wo es lang geht, der Laie hilft. Laie: schon das Wort! Im allgemeinen Sprachgebrauch beschreibt es bestenfalls einen Amateur und schlimmstenfalls einen Dilettanten. Was aber ein Laie bewegen kann, hat Häufele 19 Jahre lang ausgelotet.
So eine Kirchengemeinde ist „ein mittelständischer Betrieb“
Drei von vielen Beispielen: Er gründete den runden Tisch Kirche und Politik, an dem jährlich Abgeordnete und christliche Funktionäre über Fragen der Zeit diskutieren. Er baute eine Familienpflege auf – sie springt helfend ein, wenn Krankheit, Tod oder Trennung eine Familie zu überlasten droht. Er hob die Kinderstiftung Funke aus der Taufe, als Antwort auf den Skandal der Kinderarmut in einem reichen Land. Kirche, findet Häufele, darf sich nicht mit sich selbst begnügen, Kirche sollte sich nützlich machen, den Menschen beistehen.
Ein Team, nicht Herr und Knecht: Uli Häufele und Manfred Unsin. Er hat „Glück gehabt“, er weiß das. „Die Rolle durfte ich mir nehmen.“ Er hatte im Schorndorfer Pfarrer Manfred Unsin einen für Macht-Eitelkeit unanfälligen Dekan, der den Schwung, mit dem hier ein Laie seine Aufgabe interpretierte, nicht nur duldete, sondern bestärkte.
Manchmal in den frühen Jahren kam aus Rottenburg ein Anruf: Mensch, Unsin, du bist der Chef, weis den Häufele in die Schranken! Unsin hielt zu Häufele – und das Dekanat Rems-Murr wurde zum Entwicklungslabor einer weltoffenen, nicht in hierarchischen Verkrustungen gefangenen Kirche. Hier der hochbeschlagene Theologe Unsin, da der praktische Macher Häufele. Ein Team, nicht geistlicher Herr und weltlicher Knecht – die Arbeitsteilung könnte zum Vorbild werden. Läge es nicht nahe, jeder größeren Kirchengemeinde einen Laien als Geschäftsführer zuzuordnen?
So eine Kirchengemeinde ist „ein mittelständischer Betrieb“, sagt Häufele. Beispiel Fellbach: 120 Beschäftigte, zehn Kindergärten, Sozialstation. Personal-, Gremien-, Finanz-, Immobilienmanagement: Ein Geschäftsführer wäre „damit gut ausgelastet. Und der Pfarrer wäre frei für die Seelsorge.“ In Zeiten desaströsen Priestermangels ist die strikt auf den Geistlichen ausgerichtete Verfasstheit der katholischen Kirche „ein Auslaufmodell“. Die Beharrungskräfte indes, hat Häufele beobachtet, sind stark. Im Pfarrerstand „müssen Sie erst mal jemand finden, der entlastet werden möchte. Was ich hergebe, habe ich nicht mehr: Geld. Schlüssel. Das sind Machtsymbole.“ Was „klerikale Macht“ betrifft, „bin ich inzwischen sehr hellhörig.“ Zu oft hat er Anrufe von Kirchengemeinderäten erhalten: „Wir haben Ideen, aber der Pfarrer will’s nicht.“ Und einmal einen Pfarrer erlebt, der auf den Einwand, dass es für dieses oder jenes doch vereinbarte Regeln gebe, antwortete: „Aber nicht für mich.“
1990 gab es mehr als 28 Millionen Katholiken in Deutschland, 2018 waren es 23 Millionen, 2060 könnten es laut einer Kirchensteuervorausberechnung der Uni Freiburg zwölf Millionen sein. Und wo sind diejenigen, die sich noch Katholiken nennen? In manchen Rems-Murr-Gemeinden lässt sich am Sonntag durchschnittlich etwa einer von zehn blicken, in anderen einer von 30. Gemeinden „altern vor sich hin“. Bei der Kirchengemeinderatswahl im Frühjahr 2020 wird die Kirchenleitung zu jedem, der antritt, sagen müssen: „Au, Klasse, danke!“ Zitat aus der Wahlordnung der Diözese Rottenburg/Stuttgart: Auf dem Stimmzettel sollten „mindestens so viele Kandidierende“ stehen, „wie Mitglieder zu wählen sind“. Bescheidener geht’s nicht? Doch: In kleinen Gemeinden tun es zur Not ausnahmsweise auch „mindestens drei Kandidierende“.
„Ich bin dafür, dass Frauen geweiht werden“
Zeichen der Krise: Häufele nimmt eine „abnehmende Solidarität“ wahr zwischen den Pfarrern im Landkreis. „Man zieht sich zurück auf seine Gemeinde, seine Aufgaben: Ich muss erst mal bei mir daheim rundkommen.“ Die Missbrauchsskandale haben das „Vertrauen in die Institution“ zersetzt. Und manche Engagierte an der Basis haben den Glauben an die Selbstheilungskräfte ihrer Kirche verloren. Sicher, es gab den Aufbruchsprozess „Kirche am Ort“, angestoßen von der Kirchenleitung, gedacht als Erneuerungsbewegung von unten. Gut, findet Häufele. Aber Schlüsselfragen wie „Zölibat, klerikale Macht, Leitungsfragen“ blieben ausgespart. „Ich bin dafür, dass Frauen geweiht werden, ich bin dafür, dass der Zölibat abgeschafft wird, das muss kommen“ – aber das allein, glaubt Häufele, „reicht nicht“ mehr.
Ein Patentrezept gegen die Schwindsucht hat der scheidende Geschäftsführer auch nicht. Dennoch hat Uli Häufele in all den 19 Jahren bei Zeitungsgesprächen nie erschöpft, resigniert, ausgebrannt gewirkt, sondern immer voller Pläne, Tatendrang und auch Zukunftsmut. Warum? Wohl, weil Uli Häufele an einer Gewissheit in all den Jahren nie gezweifelt hat: Eine Kirche, die den Menschen hilft, ist – ganz gleich, ob sie wächst oder schrumpft – jedenfalls zu etwas gut.