Wohn-Trends Herbst und Winter 2023

Die neue Behaglichkeit beim Wohnen

Möbel in Naturtönen, üppig Gepolstertes, glamouröse Akzente – und was noch bei Einrichtungstrends für Herbst und Winter 2023 dominiert.

Die neue Behaglichkeit beim Wohnen

Weich wuchtiges Sofa für gemütliche Stimmung – dazu fröhliche Farben wie der von Designstar Sebastian Herkner gestaltete „Jacaranda“-Ton für Caparol Icons.

Von Nicole Golombek

Der Hochzeitsschrank von der Großmutter steht heute im Wohnzimmer. Der Schrank ist aus Vollholz, schlichtes Ornament, Messingbeschläge. Ein bisschen sind die Füße vom Holzwurm angeknabbert, ansonsten steht er fabelhaft da. Fast 100 Jahre alt ist das Möbel. Es gegen eine Schrankwand einzutauschen, dafür war im Großmutterleben weder das Geld da – noch der Platz.

So war das mal, zur Hochzeit gab es einen Schrank, der musste ein Leben lang halten, weil es keine Möbeldiscounter gab und der Schreiner vor Ort alles herstellte. Das war kein Luxus, aber eben solide. Wer Großmütter hat, die einem so einen Schrank vererben, oder Gestalter wie Stefan Dietz kennt, dessen Großvater solche Schränke hergestellt hat, muss nicht lange überlegen, um zu sagen, was gutes Design ist: ein qualitätsvolles Ding. Ein möglichst funktionales Produkt, vielleicht auch noch innovativ und im besten Fall mit dem gewissen Etwas.

Kaufzurückhaltung bei Möbeln

Seit die Nachhaltigkeitsdebatte die Möbelindustrie erreicht hat, weisen Hersteller auf die Langlebigkeit ihrer Produkte hin. Oder darauf, dass sie wiederverwertbar sind. Doch das ist nicht das Ziel ehrgeiziger Gestalterinnen und Gestalter. Wer möchte schon angehenden Müll produzieren?

Abgesehen vom guten Gewissen, das der Mensch von heute mit einem guten, womöglich daher auch teureren Schrank, Sessel, Tisch nach dem Kauf mit nach Hause nimmt, könnte die Entscheidung, lieber weniger, dafür aber Hochwertiges zu kaufen, auch wieder finanzielle Gründe haben.

Wiewohl die Inflation im Vergleich zu jener der 1920er noch deutlich geringer ausfällt, schauen die Leute mehr darauf, wofür sie ihr Geld ausgeben – wenn überhaupt. Umfrageergebnisse sprechen von einer Konsumzurückhaltung bei den Deutschen, die lange Jahre nicht nur Reise-, sondern auch Möbelkaufweltmeister waren.

„Die deutsche Möbelindustrie bekommt seit Monaten das schwache Konsumklima (Inflation, Heizungsdebatte etc.) zu spüren“, sagt Christine Scharrenbroch, Sprecherin des Verbandes der Deutschen Möbelindustrie. „Die Auftragslage ist verhalten, die Auftragseingänge liegen spürbar unter dem Vorjahr. Der Umsatz der deutschen Möbelindustrie sank von Januar bis August 2023 um 1,3 Prozent auf 12,15 Milliarden Euro (im Inland: -1,8%, im Ausland: -0,1%). Für das Gesamtjahr 2023 rechnen wir angesichts der schwachen Nachfrage mit einem Umsatzminus von fünf bis sieben Prozent.“

Beim hochpreisigen Möbel spielt der Faktor Wertanlage eine Rolle. Ein Sessel von Le Corbusier zwar ganz schön teuer, aber eben auch wertbeständig. So können sich die Erben irgendwann entweder wertschätzend selbst in den Klassiker ins Wohnzimmer stellen – oder sie machen ihn auf dem Design-Vintagemarkt zu Geld. Ein Fiberglas-Eames-Stuhl mit Armlehne kostet oft mehr als ein neues Exemplar aus dem Vitra-Store, der die 1950 entworfenen, überaus bequemen Sitzgelegenheiten noch produziert.

Ursprünglich waren die Kunststoffstühle in drei Farben erhältlich: in einer Kombination aus Grau und Beige, Elefantengrau und in einer Farbe von Pergament, aus Fiberglas mit einem klaren Harz und einem Hauch von Grau oder Schwarz. Und, Überraschung: Die Farben von damals sind die Farben von heute, besser Nichtfarben.

Natürliche Töne und Materialien

Es herrscht ein dezenter Minimalismus – schales Beige, warmes Hellbraun, beherztes Grau, tiefes Schwarz. Natürliche Töne und Materialien – Rattan, Holz, Stein –, kombiniert mit Materialien wie matt glänzendem Messing – oder immer häufiger zu sehen: Chrom, Silberfarben.

Fein und cosy dürfen die Stoffe sein. „Bei den Bezugsstoffen liegt eine wertige, strukturierte Optik im Trend“, sagt Christine Scharrenbroch, „etwa Bouclé- und Ondégarne; Chenillegarne werden für den weichen Griff eingesetzt.“ Wolle, Cord, Tweed, Teddystoff, Velours, recycelte Garne aus Plastikflaschen seien häufig zu sehen.

Derlei auffällige Stoffe sind auch beliebt, so vermutete jüngst der Designer Sebastian Herkner, da der zunehmend im Digitalen sich bewegende Mensch daheim gern etwas Reales, sich gut Anfühlendes in Händen hält. „Die sinnliche Erfahrung, einen Platz ganz und gar für sich in Beschlag zu nehmen, sich buchstäblich häuslich einzurichten, ist eben doch ein rein analoges Erlebnis. Das Verlangen danach ist entsprechend groß“, sagt auch Ute Laatz, Autorin und Herausgeberin des Bandes zum Innenarchitekturpreis „Interior des Jahres 2023“.

Wenn Möbel und Räume farbig werden, dann klar, kräftig im All-over-Look – der ganze Raum und die Möbel sind in einer Farbfamilie. Yves-Klein-Blau ist etwa bei Ikea zu finden. Die Interior-Designerin Constanze Ladner, die beim „Best of Interior 2023“-Award eine Anerkennung für die Gestaltung eines Hauses in Mainz erhalten hat, wagt sich an eine Küche in Rosafarben, einen Salon in Gelb.

Zeitgemäße Art-déco-Pracht

Doch so wie der Sommer urplötzlich aufhörte dieses Jahr und die Blätter besonders sich schnell von Grün zu Gelb färbten, schaut es in den meisten Räumen aus, die Firmen fürs Herzeigen ihrer neuen Produkte inszenieren. An zurückhaltenden Interieurs sieht man sich nicht so rasch satt.

Selbst der Innenarchitekt Fabian Freytag übt sich in Dezenz, mit einem Hauch zeitgemäßer Art-déco-Pracht. Der „Interior“-Award-Gewinner hat eine Wohnung in einem sanierten Gebäude aus den 1930ern in Berlin gestaltet. Die interessant zirkushaft gestreifte Deckengestaltung ist das Höchste an Extravaganz.

Farben der Steppe, des Waldes oder Sylts Dünenlandschaft sieht auch Christine Scharrenbroch als Trend: „Helle, warme Naturtöne oder zarte Pastelle, erdige Rottöne, Grüntöne, Oliv, frisches Lindgrün oder ein kräftiges Grasgrün.“

Wiederauflage alter Möbelklassiker

Ligne Roset aus Frankreich etwa legt sein ikonisches, knuffiges Sofa „Kashima“ von Michel Ducaroy von 1976 wieder auf, die angesagte kroatische Manufaktur Prostoria hat Sessel und Sofamodelle in Beige im Programm, aber auch in schön gedecktem Rostrot. Der italienische Hersteller Magis bringt ein dunkel moosgrünes Sofa auf Kufen aus weißer Bronze auf den Markt.

Häufig sind die großzügigen Formen, auch der Sofas deutscher Hersteller wie „All Together“ von Kati Meyer-Brühl für die Firma Brühl, üppig gepolstert. Sie sitzen fest auf dem Boden auf, wirken solide, beruhigend. Gerade in unsicheren Zeiten sitzt man wenigstens gern sicher. Und wenn auch nicht gleich ein Leben lang, macht sich so ein Möbel für eine längere Weile doch gut neben Großmutters Hochzeitsschrank.

Die neue Behaglichkeit beim Wohnen

Etwas Glamour ist erlaubt – wie dieser interessant geringelte Armlehnstuhl „Loop“ von Gebrüder Thonet, Wien, beweist.

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Runde Formen, leichte Anspielungen ans Art Déco: Neues von der Manufaktur Wittmann aus Wien.

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Wem der Sinn nach Tapetenwechsel steht, der setzt auf auffällige Muster wie diese „Nuova Pompei“-Kollektion von Vito Nesta für die Firma Misha.

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Der Trend geht zu zeitlosen Möbeln, an denen man sich nicht rasch sattsieht, wer Lust auf immer wieder Neues hat, kann Wände wie hier im Ton „Capri“einfach umgestalten. Designer Sebastian Herkner hat für Caparol Icons mit der Serie „Treasures“ Farben gestaltet, inspiriert von den vielen Reisen, die der aus Baden-Württemberg stammende Designer unternimmt.

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Leicht extravagant, aber doch elegant, das ist ein Trend des Herbstes. Und so hat auch der Gewinner des Innenarchitekturpreises „Best of Interior“, Fabian Freytag, eine Wohnung in Berlin gestaltet.

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„All-Over-Look“ ist ein weiterer Trend - hier zu sehen bei einem Wohnbeispiel, das ebenfalls in dem Buch zum „Interior“-Preis erschienen ist . . .

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. . . und das auch auf den Wohnbeispielbildern vom schwedischen Möbelhersteller Ikea zu sehen ist.

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Sofa-Landschaften bestehen häufig aus bodentiefen Sofakissen wie hier die Luva Sofa Gruppe von dem aus Singapur stammenden und in Portugal ansässigen Designer Gabriel Tan für den US-Hersteller Herman Miller. Inspiration waren die weichen Griffflächen und die Polsterung von Boxhandschuhen, aber auch die zierlich zusammengerollten Oberteile von japanischen Futons.

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Bodentiefes wie „All Together“, entworfen von Kati Meyer-Brühl und flexibel veränderbr, weil die Module sich umstellen und erweitern lassen, gibt es beim deutschen Möbelhersteller Brühl . . .

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. . . und auch bei dem Hersteller Prostoria aus Kroatien.

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Angesagt sind aber auch üppig gepolsterte Möbel auf Kufen wie dieses von Magis, das Sofa Riace mit Kufen aus weißer Bronze wurde von den Brüdern Ronan und Erwan Bouroullec entworfen.

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Sanfte Naturtöne, haptisch angenehme Stoffe wie hier der Eames Lounge Chair von 1956 in einer neuen dunkelgrünen Sonderedition und Velours-Cord-Stoff. „Der Einzelsessel als Ruhepol und Insel steht täglich im Gebrauch. Hier ist der individuelle Komfort wie auch die Funktion neben dem Design besonders wichtig“, sagt Christine Scharrenbroch, Sprecherin des Verbandes der Deutschen Möbelindustrie. „Die verstellbare Rückenposition ist obligatorisch, die Drehbarkeit ein Pluspunkt und der Hocker ein Muss.“

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Soft Minimal heißt der beruhigend wirkende Stil, der farblich aus Beige, Weiß, Braun, Grau und Schwarz besteht und bei dem vor allem natürliche Materialien zum Zuge kommen. Auch Ikea hat solche Wohnbeispiele als Herbst-Winter-Trends ausgerufen.

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Schlicht und gemütlich – Esstischstühle wie diese von Magis sind heutzutage gern gepolstert, weil man mit seinen lieben Gästen gern längere Zeit beim Essen beisammen sitzt.

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Rot haben die Trendforscher als beliebte Farbe ausgemacht. Außerdem gefragt bei Menschen, die nicht viel Platz haben, sind klappbare Möbel wie die Stühle und Tische, deren Platte sich auch als Tablett benüzen lassen wie diese von Ikea . . .

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. . . und rötliche Paravents wie der von Gebrüder Thonet Vienna, die sich auch in Einzimmerwohnungen als Trennmöbel für Schlaf- und Wohnbereich eignen.

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Designklassiker sind schon seit längerer Zeit gefragt, weil man sie auf jeden Fall behält und sogar weitervererben oder ohne Wertverlust verkaufen kann. Hier im Bild – wieder ins Programm aufgenommene Leuchten „Halley“ von Gestalter Richard Sapper für Stilnovo.

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Die Kundschaft wünscht sich Flexibilität, Tische wie der „Zehdenicker“ von Magazin bieten sie: Die stählernen Zargen des Tischgestells sind mit einem Lochraster versehen und erlauben es, das Gestell zwischen einer Breite von 135 bis 210 Zentimetern in festen Abständen zu variieren. Der Tisch funktioniert auch fürs Homeoffice, ...

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.. . denn auch darauf reagieren Hersteller, Bürosessel, die sich auch als Esstischstühle gut machen würde und Tische, die nicht nach ödem Büro ausschauen wie dieses Beispiel von Muuto zeigt.

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Puristen – und viele Architekten – schätzen den „Eiermann“-Schreibtisch, entworfen von Architekt Egon Eiermann. Der Stuttgarter Hersteller Richard Lampert hat den Klassiker, das Original Eiermann 1 Tischgestell, mit einer „Limited Edition“ geehrt – zum 70-Jahr-Jubiläum 2023. Der junge deutsche Gestalter Tim Schütze hat die Tischikone mit einer mechanischen) sowie elektrischen Höhenverstellung an zeitgenössische Ansprüche eines Arbeitstisches angepasst. Ein neuer Bronzeton, der anlässlich der „Limited Edition“ neu im Portfolio ist, wurde auf weitere Produkte der Kollektion übertragen. Künftig sind der „Hirche Barwagen“ (Design: Herbert Hirche) sowie die Standgarderobe „Bazar“ (Design: Steffen Kehrle) ebenfalls in dem edlen Farbton erhältlich.