„Die Nominierung ist eine riesige Sache“

Stuttgarts Stadtlexikon ist ein Anwärter auf den Grimme Online Award – das freut die Leitung des Stadtarchivs

Von Torsten Schöll

Das digitale Stadtlexikon des Stadtarchivs Stuttgart ist für den renommierten Grimme Online Award nominiert. Roland Müller und Katharina Ernst, Archivleiter und Vizeleiterin, erläutern im Interview, warum das so ist.

Stuttgart

Frage: Rechnen Sie sich Siegchancen aus?

Antwort: Ernst: Es werden bis zu acht Preise beim Grimme Online Award vergeben. Aber es muss nicht in jeder Kategorie einen Sieger geben, es könnte am Ende auch mehrere Gewinner in einer oder auch überhaupt keinen in einer Kategorie geben. Das ist anders als bei der Oscar-Verleihung. Und dann gibt es noch den wichtigen Publikumspreis, für den jeder im Internet seine Stimme abgeben kann.

Antwort: Müller: Was aber gleich ist wie bei den Oscars: Schon die Nominierung ist eine wirklich großartige Auszeichnung für das Projekt. Hinzu kommt, dass unser Projekt nicht eingereicht wurde oder wir es gar selbst vorgeschlagen hätten. Nein, es scheint so, als ob die Nominierungskommission uns selbst entdeckt hat.

Antwort: Ernst: Man muss sich vor Augen führen, dass aus 1200 Vorschlägen nur 28 nominiert wurden. Das ist schon ein toller Erfolg. Und ja, wir rechnen uns Chancen aus.

Frage: Was gibt es zu gewinnen?

Antwort: Müller: Die Ehre. Und natürlich haben wir jetzt die Hoffnung, dass die Nominierung dem Projekt noch mal richtig Rückenwind gibt.

Frage: Sie haben offenbar einen Nerv getroffen. Brauchen geschichtliche Inhalte heute eine adäquate digitale Vermittlung?

Antwort: Müller: Es ist wichtig, zeitgemäße, niederschwellige Angebote zu machen. Solche, die auch mobil nutzbar sind. Und gleichzeitig stehen wir als Stadtarchiv für inhaltliche Qualität. Das ist etwas, was in Zeiten von Fake-News gerade für die Internet-Community immer wichtiger wird. Und natürlich erreichen wir online andere Zielgruppen als bei klassischen Vorträgen im Stadtarchiv.

Frage: Wer hatte die Idee zum digitalen Stadtlexikon?

Antwort: Ernst: Stuttgart hatte, anders als manche anderen Städte, kein gedrucktes Stadtlexikon. Und eigentlich wollten wir auch keinen klassischen Wälzer von A bis Z. Also haben wir uns überlegt: Was kann man sonst machen? Ein digitales Lexikon? Ja, sicher, aber wie? Es gab dafür nirgendwo Vorbilder. Und dann eröffnete sich die Möglichkeit, mit dem Stadtmessungsamt zu kooperieren, das über umfassende Erfahrungen mit Geoinformationstechnologie verfügt. Da hat es bei uns klick gemacht. Da wussten wir gedanklich, es muss eine Verbindung zwischen lexikalischen Inhalten und aktuellen und historischen Stadtplänen hergestellt werden.

Frage: Smartphone, Tablet oder PC? Wo macht das Stadtlexikon am meisten Spaß?

Antwort: Müller: Nutzt man das Lexikon wissenschaftlich, wird man wohl am PC arbeiten. Aber unterwegs ist das Tablet ideal. Darauf erschließen sich die Raumdimensionen und Geoinformationen am besten. Auf dem Smartphone ist das ein bisschen schwierig, funktioniert aber auch. Dort haben wir der Übersichtlichkeit wegen aber bestimmte Funktionen ausgeschlossen.

Antwort: Ernst: Es ist keine klassische App, die man erst herunterladen muss. Man kann sofort über die Internetseite loslegen, wenn man in der Stadt unterwegs ist. Dann stehen Sie zum Beispiel mit dem Tablet vor der Oper am Eckensee und sehen auf dem Bildschirm Ihren Ortsmarker auf einem aktuellen Stadtplan und was um Sie herum an historischen Informationen verortet ist. Sie klicken auf einen der sichtbaren Punkte, und es öffnet sich ein Artikel mit Bild zum Opernhaus, zur Stuttgart-Rede des US-Außenministers Byrnes oder zum herzoglichen Baumeister. Dann laden Sie sich zum Beispiel noch eine der rund 40 historischen Karten dazu und stellen fest: 1832 stünde ich hier mit den Füßen im Wasser, weil der See früher ganz anders aussah. Sie können über einen Regler historische Karten ein- und ausblenden, so dass Sie sofort sehen: Wie sah hier Stadt eigentlich früher aus?

Frage: Wie entstehen die einzelnen geschichtlichen Beiträge zum Lexikon?

Antwort: Müller: Wir haben momentan rund 150 Einträge, weitere 50 bis 60 sind bei historisch versierten Autoren beauftragt, die anschließend eine Redaktion im Haus überprüft. Es sind derzeit Beiträge zu den Kategorien Ort, Person und Ereignis. Das ist noch ein kleiner Fundus. Aber wir bauen das Lexikon ja jetzt erst auf. Da wird uns die Nominierung zum Grimme Online Award sicher helfen. Das Bildmaterial, mit dem die Beiträge verbunden werden, stammt überwiegend aus dem Stadtarchiv und kann ganz überwiegend über das Lexikon frei weiterverwendet werden. Wir wollen ja die Weiternutzung der Inhalte ganz bewusst ermöglichen.

Frage: Bevor am 19. Juni der Grimme Online Award in Köln vergeben wird, ist vorher noch nicht klar, wer gewonnen hat. Werden Sie an der Verleihung teilnehmen und nach Köln fahren?

Antwort: Ernst: Wir wären das erste Archiv überhaupt, das den Grimme Online Award gewinnt. Da müssen wir unbedingt dabei sein.

Antwort: Müller: Und feiern werden wir auf alle Fälle. Ob wir gewinnen oder nicht. Schon jetzt ist die Nominierung eine riesige Sache für uns.