Die Wiesenkinder von Backnang

Kürzlich ist die Kita Etzwiese auf dem ehemaligen Aktivspielplatz in Backnang an den Start gegangen. Die Stadt schafft damit 40 weitere Plätze, um der wachsenden Nachfrage bei der Betreuung gerecht zu werden. In der Naturkita spielen die Kleinen besonders viel an der frischen Luft.

Die Wiesenkinder von Backnang

Der Erzieher Jona Hofer zeigt den Kindern die vielen Pflanzen und Tiere, wie hier die faszinierende Pusteblume. Fotos: Alexander Becher

Von Anja La Roche

Backnang. Läuft man unter dem monströsen Murrtalviadukt hindurch, gelangt man zur Kita Etzwiese, etwas abseits gelegen am Rande von Backnang. Es handelt sich um eine Naturkindertagesstätte mit verlängerten Öffnungszeiten von 7.30 bis 13.30 Uhr. Ein Schild mit bunt bemalten Buchstaben lädt auf das etwa 1000 Quadratmeter große Gelände ein. Zwischen Löwenzahn und Gänseblümchen spielen dort zehn Kinder in Matschhosen, Regenjacken und Gummistiefeln. Für Besucher gibt es wenig Aufmerksamkeit, denn die kleinen Rabauken zwischen drei und sechs Jahren sind vertieft in ihr Spiel auf der großen umzäunten Wiese oder im Sandkasten. Zwischen den wuselnden Matschhosen steht der Erzieher Jona Hofer. „Jetzt ist gerade Freispiel“, sagt er. Die Kinder toben sich auf dem Gelände ordentlich aus, und die Sträucher, Büsche und Wiese bieten eine naturnahe Umgebung. So lautet auch das Ziel der neuen Tagesstätte: Die Kleinen sollen ihre Zeit möglichst viel draußen in der Natur verbringen.

Im kommenden Herbst soll die zweite Gruppe auf dem Gelände Platz finden

Seit drei Monaten ist die Kita Etzwiese in Betrieb. Eigentlich sollte sie schon im vergangenen Herbst öffnen, aber ausreichend Fachpersonal konnte erst zum 1. Februar gefunden werden. Jona Hofer und Elke Bläske kümmern sich nun um die ersten zehn Kinder, die bereits betreut werden. Wenn der Bauwagen mit weiteren Toiletten bereitsteht, kann die Gruppe mit zehn weiteren Kinder gefüllt werden; das soll Anfang Juni geschehen. „Man muss mindestens eine Toilette für zehn Kinder haben“, erklärt Jona Hofer die Auflagen. Die zweite Gruppe ist erst Anfang September geplant. Die Stadt Backnang möchte für diese weiteren 20 Kinder einen Bauwagen als Unterschlupf organisieren und es gilt, noch entsprechendes Personal zu finden. Dann wird das große Gelände des ehemaligen Aktivspielplatzes in den Etzwiesen recht voll sein. Die Kita kostet die Stadt insgesamt 80000 Euro.

Dabei ist fest eingeplant, dass die Erzieher mit den Kindern die Umgebung erkunden. „Wir machen jeden Tag einen Spaziergang“, erzählt Jona Hofer. Die Zöglinge können zwischen den Wiesen und Bäumen in der Umgebung umherhüpfen. Wenn das Wetter mal nicht mitspielt, können die Wiesenkinder sich in die Holzhütte auf dem Grundstück der Kita zurückziehen. Ein Raum mit Tischen und Stühlen, Regale mit Spielen, eine kleine Küche und die Toiletten – viel ist es nicht, aber mehr ist auch nicht notwendig. Die Hütte wird kaum beansprucht. „Auch bei Regen spielen die Kinder gerne draußen“, sagt Jona Hofer. „Denen macht das nichts aus.“ Auch die Spiele im Regal seien kaum in Gebrauch – immerhin bietet die Natur beste Voraussetzungen für kreatives Spielen.

In Backnang und Umgebung gibtes bereits einige Waldkindergärten

Der Naturkindergarten folgt dem aktuellen Trend. In Deutschland wie auch rund um Backnang sprießen die Natur- und Waldkitas wie Pilze aus dem Boden: das „Meisennest“ in Backnang, die „Wurzelzwerge“ in Oppenweiler, die „Kleinen Füchse“ in Spiegelberg, die „Kleinen Waldforscher“ in Murrhardt. In Althütte gibt es bereits seit 1996 einen Waldkindergarten. Und weitere sind in Burgstetten und Allmersbach im Tal geplant. Die Kosten sind dabei vergleichsweise gering, weil keine voll ausgestattete Unterkunft gebaut werden muss; die Natur ist das Spielzimmer. Während bei einem Waldkindergarten meist nur ein Tipizelt oder eine kleine Hütte Schutz gewährt, ist der Naturkindergarten wie die Kita Etzwiese eine Mischform mit dem kleinen Haus und dem umzäunten Spielplatzgelände. „Wir haben hier eine ideale Mischung aus guter Infrastruktur und Natur“, sagt Mario Wolf, der städtische Sachgebietsleiter im Amt für Familie, Jugend und Bildung. Und mit dem Auto sei die Kita gut zu erreichen.

Das könnte mit dem anstehenden Ausbau des Murrtalviadukts allerdings erschwert werden. Doch direkt neben der Murr ist der Standort durchaus idyllisch. Jona Hofer zeigt seinen neuen Arbeitsplatz. Im Holzhaus findet man gegenüber dem Spieleregal einen Tisch, auf dem gesammelte Äste, Muscheln und Schafswolle liegen. Die Wolle riecht intensiv. „So was zu haben ist toll“, sagt der Erzieher und meint damit den Kontakt zur Natur statt zum Plastikspielzeug. Die kleine Küche im Haus sei kaum in Benutzung, denn jedes Kind bringe sein eigenes Vesper mit.

Draußen ist es spannender. Dort gibt es neben dem Sandkasten, den Schaukeln und einem Pavillon zum Beispiel auch eine Feuerstelle. Jona Hofer und seine Kollegin – die heute krankgeschrieben ist – sitzen hier auch gerne mal mit den Kindern am Lagerfeuer; wie passend, dass Jona Hofer Gitarre spielen kann. In den Hochbeeten und Blumentöpfen ziehen die Kindergärtner zudem Gemüse. „Wir wollen mit den Kindern irgendwann die Kartoffeln ernten und kochen“, erzählt Jona Hofer mit spürbarer Begeisterung.

Für den 25-Jährigen ist die Stelle bei einer Naturkita ideal. Er hat schon einmal in einer Stadtkita gearbeitet, aber das war nichts für ihn. „Da gibt es so viele Regeln. Die Kinder wollen klettern, aber auf die Tische klettern ist verboten“, sagt er. In der Natur hingegen seien dem kindlichen Bewegungsdrang keine Grenzen gesetzt. „Da kann halt auch mal was passieren“, fügt Jona Hofer an. Wer sein Kind hier in Obhut gebe, dürfe nicht erschrecken, wenn es matschig heimkomme oder mal ein kleines Wehwehchen habe. Demnächst will er Safarigläser aus Pappbechern mit den Wiesenkindern basteln, mit denen sie die faszinierende Natur erkunden können. Beide Erzieher der Kita Etzwiese haben entsprechende Aus- und Fortbildungen, Jona Hofer beispielsweise für Psychomotorik in der Natur, Elke Bläske ist Waldpädagogin.

Die Zeit an der frischen Luft kann einen positiven Effekt auf die Kinder haben

Jona Hofer sieht viele Vorteile für die Schützlinge in der natürlichen Umgebung. „Allein schon die Farbe Grün hat eine beruhigende Wirkung“, sagt er. Durch die Bewegung an der frischen Luft seien die Zöglinge viel erschöpfter und ausgeglichener als wenn sie ihre Zeit in vier Wänden verbringen. Er wünscht sich daher auch weiterhin Eltern sowie Kollegen, die das Konzept der Naturkita wirklich schätzen. Denn nicht für jeden biete sie das geeignete Konzept, zumal die Kinder auch mit entsprechender Kleidung ausgestattet sein müssen.

Dennoch ist die Kita Etzwiese gefragt. 18 Kinder stehen auf der Warteliste. Ob es an den knapp kalkulierten Kitaplätzen oder am hohen Interesse seitens der Eltern liegt – das Konzept geht jedenfalls auf. Dass es im Winter zu kalt sei für die Kinder, streitet Jona Hofer ab: „Die bewegen sich ja.“ Aber vor der Hitze im Hochsommer hat der Kindergärtner schon etwas Respekt.