Tatjana Raichle und ihre Tochter im Wahllokal in der Schlachthofstraße in Backnang. Fast alles war wie immer bei Wahlen, nur auf die Hygienemaßnahmen wurde sehr genau geachtet. Fotos: J. Fiedler
Von Renate Schweizer
BACKNANG. Die Stimmung ist gut, jedenfalls im Wahllokal bei den Stadtwerken in der Schlachthofstraße in Backnang, fröhlich, fast ein bisschen aufgekratzt, Scherze fliegen hin und her zwischen Wahlhelferinnen und Wählern – alles wie immer, so fühlt es sich an: Wählen als kleiner Festtag der Demokratie. Tatsächlich? Gilt das auch in Pandemiezeiten? Kommt überhaupt noch jemand ins Wahllokal – oder machen vielleicht alle doch lieber Briefwahl?
„Erstaunlich wenige haben sich für Briefwahl entschieden“, erzählt der Erste Bürgermeister Siegfried Janocha, „Stand 11 Uhr 25 Prozent Briefwähler zur OB-Wahl und nur ein bisschen mehr bei der Landtagswahl“ – aber das könnte sich noch ändern – bis 15 Uhr kann man Briefwahl beantragen. Dass für die beiden Wahlen unterschiedliche Briefwahlprozentsätze entstehen können, liegt daran, dass es eben auch unterschiedliche Wähler sind: Den OB dürfen auch Backnanger ab dem 16. Geburtstag wählen und EU-Bürger – für den Landtag gilt das nicht: Um bei der Landtagswahl abzustimmen, muss man 18 sein und die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen.
„Ein 16-Jähriger war schon da“, freuen sich die Wahlhelfer, „wir hoffen, es kommen noch mehr.“ Fürs Erste jedenfalls gibt es, Pandemie hin oder her, genau die gleichen „Zwischenfälle“ wie immer: Wahlschein vergessen, falsches Wahllokal aufgesucht, Briefwahl beantragt aber nun doch persönlich ins Wahllokal gekommen – Peanuts, das lässt sich alles leicht lösen.
Hier in der Schlachthofstraße sind Ralph-Peter Bartsch, Claudia Frey und Tobias Lintz als Wahlhelfer im Einsatz. Die ersten beiden sind altgediente „Dauerwahlhelfer“, Tobias Lintz ist neu im Team. Vor drei Wochen hat der junge Gärtner in Ausbildung angefragt, ob noch Helfer gebraucht werden, und jetzt sitzt er gleich hinter dem Eingang zum Wahllokal hinter einer Plexiglasscheibe und ist die erste Anlaufstation für alle: Bei ihm werden die Wahlbenachrichtigungen vorgelegt und er gleicht sie mit seiner Liste ab. Um die 1400 Wahlhelfer werden im Rems-Murr-Kreis pro Wahl gebraucht – schöne Idee, da einfach mal anzufragen und dann ganz praktisch mitzuhelfen, dass Demokratie funktionieren kann.
Schon vor der Tür wird auf das Hygienekonzept für alle hingewiesen, die es genau wissen wollen: Es gilt Mundschutzpflicht, Desinfektionsmittel stehen bereit, OP-Masken für alle, die’s doch vergessen haben, Telefonnummern zur eventuellen Rückverfolgung werden erfragt, die Wahlhelfer sitzen hinter Plexiglasscheiben, es wird häufig gelüftet, und die Wahlkabine wird nach jedem Gebrauch desinfiziert. Das dauert natürlich alles ein bisschen, und in der Alten Ölmühle, wo es besonders winklig und eng zugeht, steht eine lange Schlange vorm Wahllokal trotz Graupelschauer und überhaupt eher miesem Wetter. Alle haben Verständnis, dass hier der Nächste erst reindarf, wenn der Vorgänger wieder draußen ist, um Begegnungsverkehr im engen Flur zu vermeiden, hier wählen auch Paare und Haushaltsgemeinschaften getrennt. So ist das halt jetzt, es regt niemanden auf, zumindest nicht, während die BKZ dort ist zum Wahlatmosphäreschnuppern.
Eine Frau pressiert und will gleich zur Arbeit – kein Problem, sie darf an der Warteschlange vorbei. Beim Bäcker muss man ja auch anstehen. Alles wie immer also? „Naja, die Verpflegung ist schlechter“, grinst einer der Helfer im Wahllokal in der Eduard-Breuninger-Straße und zeigt auf ein paar Bananen, „aber das stecken wir weg.“ Alle Wahlhelfer dürfen sich testen lassen – unmittelbar vor der Wahl und ein paar Tage danach. „Uns geht es gut“, sagen sie alle, wenn man sie fragt.
Die Backnanger OB-Wahl wird als besonders spannend empfunden – in der Schlange vorm Wahllokal (und tatsächlich auch vor dem Bäcker) hat man Zeit, Einschätzungen, Prognosen und letzte Empfehlungen auszutauschen. Nur Wählerinnen und Wähler dürfen das, die Wahlhelfer halten sich selbstverständlich zurück. Wählen gehen als kleiner Festtag der Demokratie – daran ändert Corona nichts, nicht das Wetter und schon gar nicht die Verpflegung. Alle rechnen mit einer Stichwahl in 14 Tagen. Wahlschein gut aufheben.
Wahlhelfer Ralph-Peter Bartsch in der Schlachthofstraße in Backnang. Er wie auch die anderen Wahlhelfer sitzen hinter einer Plexiglasscheibe und tragen zusätzlich Mundschutz.