Von Lorena Greppo
SULZBACH AN DER MURR. Kuscheleinheiten mag Kurt nicht. Ab und zu mal am Hals gestreichelt zu werden oder am Rücken, das nimmt er hin. Aber eigentlich gilt seine Hauptaufmerksamkeit eher dem satten grünen Gras, das überall am Wegrand sprießt. Der kleine Lamahengst nutzt jede noch so kurze Gehpause, um sich noch ein paar Büschel abzurupfen. Wegzehrung, schließlich ist so eine Wanderung auch für ihn kräftezehrend. „Lamas sind die richtigen Arbeiter“, erklärt Janina Schrader. Im Gegensatz zu ihren kleineren Verwandten, den Alpakas, wurden sie in Südamerika nicht nur als Woll- und Fleischlieferanten gezüchtet, sondern auch als Lastentiere. Teilweise reiten die Menschen dort sogar auf den sogenannten Andenkamelen. Bei Janina Schrader und Nathalie Woyan müssen die Tiere bei Weitem nicht so schwer arbeiten für ihren Lebensunterhalt. Die größeren Tiere tragen manchmal ein paar Seile, die kleineren laufen frei von Gepäck. Ihre Aufgabe ist es, Wanderer zu begleiten. An einer Leine führt jeder Teilnehmer der etwa vierstündigen Tour sein Tier spazieren.
„Ist das alles?“, fragt ein Kollege. „Da läuft man bloß mit einem Lama an der Leine?“ Ja, tatsächlich ist das im Grunde genommen alles. Wer aber glaubt, das unterscheide sich kaum von einer Wanderung allein, der irrt. Die Tiere strahlen eine Ruhe aus, die sich auf ihre Begleiter überträgt. Die Leine, an der sie gehalten werden, schwingt meistens durch, gesteuert werden muss kaum. „Die Lamas sind nicht aufdringlich, sie sind sanft und wirken entspannend“, weiß Janina Schrader. Die Sulzbacherin erzählt von einem Teilnehmer, der genauso skeptisch war wie der erwähnte Kollege. „Ein resoluter Mann, breit gebaut, tätowiert“, beschreibt sie. Nicht unbedingt jemand, den man beim Lamawandern vermutet hätte. „Im Nachhinein war er begeistert.“
Janina Schrader hat selbst schon früh ihre Begeisterung für die Neuweltkameliden entdeckt – genauer gesagt im Alter von sechs Jahren. Auf dem Hof der Familie Gräsing in Althütte baute sie Kontakt zu den Tieren auf, als Jugendliche verdienten sie und Nathalie Woyan sich ein Taschengeld dazu, indem sie im Stall aushalfen. „Das hat uns nicht mehr losgelassen“, sagt Woyan lachend. Mit 20 Jahren kaufte sich Janina Schrader ihr erstes eigenes Lama, das damals noch bei Gräsings unterkam. „Und dann kamen immer mehr dazu.“ Inzwischen zählt die Herde sieben Lamas sowie Nathalie Woyans Alpaka Charlie. Bald sollen noch drei weitere Jungtiere hinzukommen.
„Anfangs habe ich die Tiere nur für mich gehalten, als Hobby“, erzählt Schrader, die in ihrem Hauptberuf als Kleinmotorenmechanikerin tätig ist. Im vergangenen Jahr musste sie sich einer schweren Herz-OP unterziehen, in deren Nachgang ihr der Umgang mit den Tiere enorm geholfen habe. „Das war für mich der Schlüsselmoment. Die Freude, die mir die Tiere machen, wollte ich an andere weitergeben.“ In Sulzbach-Schleißweiler stehen die Tiere nun im Stall oder auf der Koppel. Seit Anfang des Jahres können Wanderwillige Touren mit den Tieren buchen. Durch die Coronapandemie war der Start schwierig, Termine auf Festen fielen der Reihe nach weg. Janina Schrader nimmt es gelassen: „So konnte ich in Ruhe die Tiere ausbilden.“ Inzwischen sind ihre Wanderungen bis Ende Oktober ausgebucht.
Eine der drängendsten Fragen ist: Spucken mich die Lamas an?
Marvin aus Berglen hat noch Glück gehabt, er hat für sich, Felix, Melina und Cosima die etwa vierstündige „Peterling-Tour“ gebucht. „Eine Freundin war auch mit Lamas wandern und hat das auf Instagram gepostet“, erzählt er. So sei er auf die Idee gekommen – schließlich habe er noch ein Geburtstagsgeschenk für Melina gesucht. Ist es gelungen? „Auf jeden Fall“, sagt die junge Frau. Sie führt den hellbraunen Lamawallach Nebulon, genannt Nobbe, spazieren – mit einem Lächeln auf den Lippen. Wer welches Lama an die Leine bekommt, wird nicht etwa zugeteilt. Bevor es losgeht, lässt Janina Schrader allen ein wenig Zeit zum Kennenlernen – so finden sich schnell Zweierteams aus Tier und Mensch.
Ein paar einleitende Worte sind dennoch vonnöten. Eine der drängendsten Fragen aller Teilnehmer: Spucken die mich an? „Grundsätzlich sei gesagt: Spucken tun sie alle – Lamas, Alpakas, Kamele“, führt Schrader aus. Allerdings geschehe das für gewöhnlich innerhalb der Herde. „Da geht es um Futterneid, auch die Rangfolge in der Herde ist ein Thema“, weiß sie. Nur ein Mensch werde regelmäßig von den Tieren angespuckt: der Tierarzt. „Der ist hier nicht sehr beliebt.“ Die Sulzbacherin beruhigt aber: „Das Spuckgesicht erkennt ihr.“ Die Ohren der Lamas sind dann eng an den Kopf gelegt, der Kopf weist nach oben. Im Allgemeinen sind die Tiere jedoch sehr gutmütig, wenn man die Spielregeln beachtet. Im Gesicht möchten sie nicht so gern angefasst werden, am Hals haben sie damit aber keine Probleme. Je ruhiger man selbst ist, erklärt Schrader, desto ruhiger tritt auch das Lama im Umgang auf. Wichtig ist auch, die Tiere nicht mit Obst und Gemüse zu füttern. Was vielleicht nett gemeint ist, kann für die Wiederkäuer richtig gefährlich werden. Das hält sie aber nicht davon ab, ungeeignetes Futter zu essen. Hannibal hat seinen Namen nach dem gleichnamigen Kannibalen aus dem Film „Das Schweigen der Lämmer“ bekommen, nachdem er Janina Schrader ein Wurstbrot aus der Hand geschnappt hat – wo Lamas doch Vegetarier sind.
Als dann jedes Lamas angeleint und einem Teilnehmer an die Hand gegeben wurde, geht es auch schon los in Richtung Eschelhof. Bald zeigen sich die unterschiedlichen Persönlichkeiten der Männerherde. Der dunkle Valbaron – liebevoll Walle genannt – ist ein kraftvoller Läufer, der sich sogleich an die Spitze der Wandergruppe setzt. Der schüchterne Bud und Nesthäkchen Kurt gehen es gemütlich an und bilden den Schluss. Jungspund Rolf hat seinen eigenen Kopf und bleibt zwischendurch einfach stehen. Herdenchef Cañas behält alle im Blick und lässt sich durch nichts aus der Ruhe bringen. Als am Eschelbach eine kurze Rast eingelegt wird, ist es Alpaka Charlie, der sich sogleich ins Wasser stürzt und ein Bad nimmt. Für die Teilnehmer dreht sich das Gespräch überwiegend um die Tiere und ihre Eigenarten. „Deiner sieht noch so richtig flauschig aus“, hört man da. Oder: „Wie süß das aussieht, wenn der schneller läuft!“ Zwischendurch verstummt die Unterhaltung auch ganz und jeder ist mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt. Durch die Lamas kommen die Teilnehmer auch mit anderen Spaziergängern ins Gespräch, denn der Anblick der Andenkamele sorgt bei den meisten für Erstaunen.
Während der Pause am Wanderheim Eschelhof dürfen die Tiere grasen – sehr zur Freude der anderen Gäste. Manche Leute würden die Tiere gern füttern, das untersagen Janina Schrader und Nathalie Woyan aber. Ansonsten lassen sie die Neugierigen ihre eigenen Erfahrungen mit den Tieren sammeln. „Die Leute haben teilweise falsche Erwartungen“, weiß Schrader. Sie habe schon so manche Anfrage von Familien bekommen, die ihre Kinder vorbeibringen und sie dann ein paar Stunden später wieder abholen wollen. „Lamas sind keine Kuscheltiere und auch keine typische Kinderattraktion“, stellt sie klar. Wenn allerdings Erwachsene mit dabei sind, steht auch einem Familienausflug nichts im Wege. Um möglichst allen Interessierten eine Lamawanderung zu ermöglichen, bietet Janina Schrader verschiedene Touren an – je nach Leistungsvermögen. Auch ein barrierefreier Ausflug für Menschen mit Handicap ist möglich.
Am Ende der Tour haben Janina Schrader und Nathalie Woyan sich noch ein kleines Highlight einfallen lassen: Die letzten Meter bis zum Stall dürfen die Teilnehmer richtig Tempo machen. Gelächter begleitet die Aktion. Es zeigt sich: Die Lamas können nicht nur gemütlich, sondern sind ziemlich schnell, wenn sie wollen. Dem ungestümen Rolf kann es gar nicht schnell genug gehen, er reißt sich los und rennt allein weiter. „Deswegen machen wir das kurz vor Schluss, im Zweifelsfall finden die Lamas wieder allein zurück“, sagt Schrader achselzuckend. Und tatsächlich: Kurz darauf biegt Rolf um die Ecke und gesellt sich zur Gruppe, als sei nichts gewesen. Dann dürfen die Teilnehmer „ihr“ Lama abhalftern und mit Pellets füttern. Und als Nathalie Woyan die Tröge mit Futter füllt und jedes Tier als Erstes an die leckeren Pellets will, wird tatsächlich gespuckt. Die Wanderer befinden sich zu diesem Zeitpunkt aber schon wieder in Sicherheit hinter dem Zaun.
Aufmerksam schaut Rolf sich seine Umgebung an. Im Gegensatz zu Alpakas hat das Lama keine spitzen, sondern gebogene Ohren. Die Haare verdecken ihm auch nicht die Sicht.
Neben den Wanderungen bietet Janina Schrader auch Besuche auf der Hochzeitsfeier, bei einem Junggesellenabschied oder zum Fotoshooting an. Zudem kommen sie und ihre Lamas in Einrichtungen wie Seniorenheime, Schulen oder Hospize. Hintergrundwissen zu den Tieren und das Anfassen der Wolle sind hierbei feste Bestandteile des individuellen Programms.
Mehr Informationen zu den Lamawanderungen gibt es online auf www.murrtal-andenkamele.de.