Ein Übergabeprozess braucht Zeit

„Lebenswerk erhalten – Nachfolge gestalten“: Thema des Nachfolgenetzwerk Rems-Murr bei Infoveranstaltung im Universum-Kino

Die Informationsveranstaltung „Lebenswerk erhalten – Nachfolge gestalten“ des Nachfolgenetzwerks Rems-Murr hat das Interesse vieler geweckt. Experten von Banken, der Industrie- und Handelskammer sowie der Handwerkskammer gaben praktische Tipps, damit eine Betriebsübergabe für beide Seiten, den Übergeber und den Übernehmer, ein Erfolg wird.

Ein Übergabeprozess braucht Zeit

In einer Art Rollenspiel nahm Gabriele Hanisch von der Handwerkskammer die Sicht des Übergebers ein und Oliver Kettner von der IHK-Bezirkskammer Rems-Murr die des Übernehmers. Foto: A. Becher

Von Andreas Ziegele

BACKNANG. „Ein emotionales Thema ist die Unternehmensnachfolge“, das sagt Jürgen Schwab, Vorstandsmitglied der Volksbank Backnang, gleich zu Beginn der Veranstaltung im gut besetzten Saal des Universum-Kinos.

In einer Art Rollenspiel nimmt dann Gabriele Hanisch von der Handwerkskammer die Sicht des Übergebers ein und Oliver Kettner von der IHK-Bezirkskammer Rems-Murr die des Übernehmers. „Ich vergleiche die Unternehmensübergabe mit einem Staffellauf“, sagt Hanisch und meint damit, dass es nicht nur einen Moment der Stabübergabe gibt, sondern einen Prozess, bis man dann an dem Punkt ist, an dem man das Unternehmen übergibt. Es geht nach ihrer Aussage um viele sachliche Themen, aber auch „ganz, ganz viele Emotionen“. Das Unternehmen ist das Lebenswerk und ein wichtiger Lebensinhalt von dem, der es übergibt. „Aber denken sie daran, sie kaufen kein Lebenswerk, sondern ein Unternehmen“, mahnt später Oliver Kettner aus der Sicht des Übernehmers.

Sehr häufig scheitern Übergaben am Bauchgefühl

„Die Betriebsübergabe hat ganz viel mit Loslassen zu tun“, appelliert die Expertin, „und das muss mit Herz und Verstand passieren.“ Sehr häufig scheitern Übergaben nach ihrer Erfahrung nicht am Verstand, sondern am Bauchgefühl.

Einer der wichtigsten Punkte bei einer Unternehmensübernahme ist der Zeitplan. Ein Endpunkt muss festgelegt werden, an dem der Betrieb übergeben werden soll. Nicht zu vernachlässigen ist an dieser Stelle auch eine Vermögensübersicht. „Wem gehört denn nun eigentlich die Werkstatt? Die Wohnung darüber gehört, glaube ich, meiner Frau und mir. Aber wie sieht es sonst mit den Eigentumsverhältnissen aus?“ Fragen, die sich laut Hanisch viele erst sehr spät stellen.

Oliver Kettner zeigt, was es bedeutet, ein Unternehmen zu übernehmen und welche Fragen man sich hierbei stellen sollte. „Wer glaubt, dass er nach einer Übernahme mehr Zeit für Familie und Hobbies hat, der liegt mit Sicherheit falsch“, gibt er gleich mal mit auf den Weg. Die Familie ist es auch, die das Ganze mittragen muss, denn sie wird – zumindest in der Anfangszeit nach einer Übernahme – am stärksten durch die neue Situation betroffen sein. Doch wer soll überhaupt eine Firma übernehmen? „Man braucht eine fundierte Ausbildung“, sieht der IHK-Experte als eine Grundlage, um sich selbstständig zu machen. Darüber hinaus sollte man kaufmännische Kenntnisse und zumindest ein Basiswissen in rechtlichen Fragen haben. Und da ist sie wieder: die Familie! Ohne deren Einverständnis und Unterstützung sollte sich niemand in das Abenteuer Unternehmensübernahme stürzen.

Im weiteren Verlauf geben die beiden Experten dann praxisorientierte und teilweise detaillierte Tipps, wie eine Unternehmensnachfolge für beide Seiten ein Erfolg werden kann. Nicht ohne darauf hinzuweisen, dass es in der Regel notwendig ist, auch den Rat von externen Experten einzuholen. Spätestens jetzt ist auch dem letzten Zuhörer klar, dass es sich um eine Informationsveranstaltung handelt. Denn nach den 90 Minuten wird keiner einen Betrieb übergeben oder übernehmen können.

Im Rahmen der Übergabe sind es oft die Banken, die eine wichtige Rolle in diesem Prozess spielen. „Die einzige Konstante im Universum ist die Veränderung.“ Mit diesem Zitat von Heraklit und der Anspielung auf den Veranstaltungsort beginnt Dierk Mühlbacher, Bereichsleiter Firmenkunden der Volksbank Backnang, seinen Vortrag. „150000 Unternehmen werden von heute an bis zum Jahr 2022 übergeben werden“, sagt er und macht auf die Dimension noch zusätzlich aufmerksam indem er ergänzt, dass davon rund 2,4 Millionen Arbeitsplätze betroffen sein werden. Mühlbacher schätzt für den Vorbereitungsprozess für eine geregelte Unternehmensübernahme einen Zeitraum von fünf bis zehn Jahren.

Nur noch 53 Prozent der Nachfolger sind familienintern

Mit einer weiteren Zahl überrascht der Bankexperte die Zuhörer: „Nur noch 53 Prozent der Unternehmensnachfolger sind familienintern.“ Das heißt im Umkehrschluss, dass aus seiner Sicht der Bedarf an familienexternen Nachfolgelösungen weiter ansteigen wird. Als Hindernisse, aber nicht als automatischen Ausschluss einer Unternehmensnachfolge sieht Mühlbacher einen geringen Eigenkapitaleinsatz und/oder fehlende Kreditsicherheiten. Lösungen gibt es hier durch Bürgschaftsbanken oder die Mittelständische Beteiligungsgesellschaft Baden-Württemberg und damit nicht nur allein durch die eigene Hausbank. Überhaupt: „Der Erfolgsfaktor im Nachfolgeprozess ist ein Expertennetzwerk.“ Gemeint sind hier erneut nicht nur die Banken, sondern Fachverbände, Steuerberater, Rechtsberater und Notare.

„Wichtig ist, dieses Netzwerk auch aktiv zu spielen“, wie Mühlbacher sagt. Zum Abschluss seines Vortrags zitiert der Bankexperte dann – wenn auch in adaptierter Form – Franz Kafka: „Wege entstehen dadurch, dass man sie geht. Oder auch nicht.“

Info
Weitere Termine

Das Nachfolgenetzwerk Rems-Murr wurde 2015 gegründet und unterstützt Übergebende und Übernehmer auf ihrem individuellen Weg bei der Unternehmensnachfolge.

Partner im Netzwerk sind die IHK Region Stuttgart, der Rems-Murr-Kreis, die Handwerkskammer Region Stuttgart, die Kreishandwerkerschaft Rems-Murr sowie die Kreissparkasse Waiblingen und die Volksbanken Raiffeisenbanken Rems-Murr-Kreis.

Weitere Termine dieser Veranstaltungsreihe: 3. Juli in Welzheim, 24. September in Murrhardt, 6. November in Schorndorf.

Weitere Informationen unter www.nachfolge-rems-murr.de.