„Es soll jetzt endlich wieder losgehen“

Dem Friseurhandwerk geht es bedenklich schlecht. War der erste Lockdown aufgrund ihrer Rücklagen für viele Saloninhaber noch zu verkraften, zehrt der zweite wohl bei allen gehörig an der Substanz. Die Aktion „Licht an“ machte jetzt auf die dramatische Situation aufmerksam.

„Es soll jetzt endlich wieder losgehen“

In ihrem Friseursalon in Weissach im Tal setzen Sylvia Siess (links) und Andrea Kaiser-Pfeil ein Zeichen und lassen das Licht an. Foto: J. Fiedler

Von Carmen Warstat

BACKNANG. Am Telefon macht Sylvia Siess, die Mitinhaberin des Weissacher Salons Kasies und Obermeisterin der Friseur- und Kosmetik-Innung Rems-Murr, ihrem Unmut Luft: „Die sehen alle top aus im Fernsehen!“ Gemeint sind Politiker, Stars und Sternchen und Sportler, beispielsweise Fußballer. Angeblich können deren Frauen und Freundinnen durchweg hervorragend Haare schneiden und frisieren, bemerkt die Frau vom Fach ironisch und fügt hinzu, dass die Schwarzarbeit zugenommen habe, die Situation jetzt aber den oft inhabergeführten Salons an die Existenz geht. Die Liquidität sinkt, Reserven sind aufgebraucht und Angestellte müssen um ihre Jobs bangen. Den personalintensiven Handwerksbetrieben reicht das Kurzarbeitergeld für die Mitarbeiter oft nicht und die Chefs gehen den aktuellen Regelungen zufolge noch ganz leer aus. Zum Teil gebe es nicht einmal Formulare für die Beantragung zugesagter und längst überfälliger Hilfen des Bundes.

Das Innungswesen des Friseurhandwerks hat mit seiner Kampagne „Friseure gegen Corona“ deutlich gemacht, dass Kunden sowohl in fachlicher als auch in hygienischer Hinsicht beim Experten am besten aufgehoben sind. Und es hat „genügend Appelle, Hinweise und Forderungen“ an die Politik gerichtet, wie der Landesvorsitzende Herbert Gassert aus Mosbach enttäuscht wissen lässt. Spätestens zur bisher angesetzten Frist am 15. Februar müsse dieser zweite Lockdown beendet werden, damit die Friseurbetriebe wieder ihrer Arbeit nachgehen können. Denn „diese allein sichert ihnen und den zirka 15600 sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Baden-Württemberg ihr Auskommen“.

Die Aktion des Zentralverbands des Friseurhandwerks „Licht an, bevor es ganz ausgeht“ fand deshalb, übrigens bundesweit, in der vergangenen Nacht statt. Das Licht in den Salons blieb angeschaltet und sollte signalisieren: Wir sind noch da! Das Friseurhandwerk bleibt sichtbar. Freilich – in Baden-Württemberg gibt es derzeit eine Sperrstunde „und nachts läuft ja keiner durch die Ortschaften“, wie Sylvia Siess bemerkt. Sie hoffte trotzdem, dass sich viele beteiligen würden, und appellierte an die Solidarität innerhalb der Branche. Dazu gehöre auch die Mitgliedschaft in den Innungsverbänden, die bekanntlich alle Betriebe vertreten und auf das Engagement vieler angewiesen sind.

Eigentlich seien Friseure fröhliche Menschen, „aber momentan herrscht eine sehr bedrückte Stimmung“, bestätigt Sylvia Siess’ Geschäftspartnerin Andrea Kaiser-Pfeil und weist darauf hin, dass auch kleine Betriebe Steuerzahler sind und zusammen einen großen Beitrag leisten. Viele Kunden wüssten gar nicht, dass etwa das Kurzarbeitergeld für die Mitarbeiter vorgestreckt werden müsse und der Unternehmer „doppelt gestraft“ sei, weil er selbst nix bekomme. Auch sie mahnt an, dass die Innungsverbände für alle kämpfen und „ganz andere Kontakte und Positionen“ hätten, um „Politiker zu erreichen.“ Die Verlängerung des zweiten Lockdowns bis mindestens 15. Februar sieht Andrea Kaiser-Pfeil „als Strafe“ und spricht von einer sehr beängstigenden Situation.

Und auch die Friseurmeisterin Olga Dreher aus Auenwald-Lippoldsweiler findet: „Was Friseure können, können nur Friseure.“ Und auch sie sieht „überall Menschen mit schönen Frisuren“ und in Fernsehen und Internet „1000 Tutorials“, um selbst die Schere anzulegen. In der Branche gehe die Angst um, dass viele Kunden auch nach der Pandemie nicht wiederkommen. Dabei findet Olga Dreher es unter anderem auch aus hygienischer Sicht „sinnvoller, die Salons öffnen zu lassen, als Schwarzarbeit zu dulden“. Ihre persönliche Situation sei aktuell zwar noch nicht so dramatisch, aber die allgemeine Atmosphäre werde trauriger. Sie selbst lässt sich nicht unterkriegen. Täglich geht sie in ihr Geschäft und „wurstelt ein bisschen rum“, sie hat sich Neues einfallen lassen. Das macht Spaß und ist zugleich frustrierend, findet sie, und dass „es jetzt endlich wieder losgehen“ soll. Also hat auch sie in der vergangenen Nacht das Licht angelassen. „Das sieht zwar keiner in Baden-Württemberg, aber ich kann zum Beispiel Fotos machen, kann sie öffentlich posten und mein Schaufenster gestalten, um zu zeigen: Ich bin noch da.“

Die Ausbildungsbedingungen haben sich verschlechtert.

Ebenfalls überwiegend positiv fällt die Perspektive von Sandra Pfleiderer aus. Ihr Salon befindet sich in Winnenden-Schelmenholz. Als Vorsitzender des Gesellenprüfungsausschusses liegt ihr besonders der Nachwuchs am Herzen. Die Ausbildungsbedingungen haben sich im Zuge der Krise natürlich verschlechtert, aber immerhin können die schriftlichen Zwischenprüfungen „nach jetzigem Stand planmäßig“ stattfinden. Klar, dass der Unterricht und die Infoveranstaltungen vorab in diesem Jahr digital gestaltet werden. Sandra Pfleiderer versichert, dass die Prüflinge trotzdem jederzeit kommen können, wenn sie Fragen oder Probleme haben. Sie steht in engem Kontakt zu Kreishandwerkerschaft und Schule, „damit alle Vorgaben abgestimmt und eingehalten werden“.

Es tue gut, sich mit Kollegen auszutauschen, findet sie, weil nicht mehr „jeder sein eigenes Süppchen kocht“. Man müsse „positiv im Kopf bleiben, mental fit, sich nicht zu sehr runterziehen lassen“, auch wenn es „solche und solche Tage“ gibt. Die letzte Nacht war hell, denn auch Sandra Pfleiderers Salon hatte das Licht an.