Jan Münderle erlebt „zwei nicht so lustige Tage“ auf der Straße und verbringt die Quarantänezeit zum Glück in Althütte. Foto: A. Becher
Von Florian Muhl
Althütte. Wenn einer eine Reise tut, dann kann er was erzählen. Meist ist es etwas Gutes, etwas Schönes, worüber man berichten kann. Im Fall von Jan Münderle war das ganz anders. Da war das Positive negativ. Der Versuchsmechaniker aus Althütte bricht auf zu einer zehntägigen Geschäftsreise nach Finnland. Allein die Fahrt im Transporter zum knapp 2800 Kilometer entfernten Zielort im Land der 1000 Seen dauert vier Tage. Doch der Familienvater steht bereits am Tag nach seiner Abreise wieder vor seiner Haustür. Der siebenjährige Sohn strahlt: „Papa, bist du wieder aus Finnland zurück?“ – „Nein“, sagt da Münderle, „ich bin noch nicht mal aus Deutschland herausgekommen.“
Der Reihe nach: Jan Münderle arbeitet bei der Daimler Truck AG im Bereich Entwicklung Antriebsstrang. Jedes Jahr werden Lkw-Prototypen auch außerhalb der deutschen Grenzen getestet, im Sommer in Spanien und im Winter in Rovaniemi, in Finnisch-Lappland, direkt am Polarkreis. Wegen Corona waren diese Tests zwei Jahre lang nicht möglich. Jetzt aber sollte es wieder nach Finnland gehen. Drei Lkw gingen an den Start und der gelernte Kfz-Mechaniker im Transporter als Vorausfahrzeug, um auf dem Weg zu Eis und Schnee, zu Minusgraden und vereisten Straßen letzte organisatorische Fragen zu klären.
Jan Münderle bricht am Montagmorgen, 31. Januar, auf. Das erste Etappenziel ist Flensburg. Am Abend wollte er sich mit seinen Kollegen dort am Hotel treffen. Dänemark hatte zuvor angekündigt, dass zum 1. Februar alle Coronaregeln fallen sollten. Das sollte die Durchreise doch noch vereinfachen. Aber jeder von der Daimler-Crew, so auch Münderle, ist sowieso geimpft und geboostert und mehrmals getestet. Zusätzlich war noch am Sonntag, einen Tag vor der Abreise, ein PCR-Test im Testzentrum der Rems-Murr-Kliniken Winnenden angesagt. Am Nachmittag war das Ergebnis da. Münderle schaute per E-Mail nach: negativ. Nichts anderes hatte er erwartet, jede andere Nachricht hätte ihn überrascht.
Von Hamburg aus mailt Münderle sein Testergebnis ans Rathaus in Althütte
Ohne schlimme Vorahnung verabschiedet sich Münderle von seiner Familie, setzt sich in den Firmentransporter und peilt die Autobahn an. Von da an zeigt die virtuelle Kompassnadel nur noch nach Norden. Seine Fahrt ist ereignislos, wie der Mechaniker sagt. „Bis kurz vor Hamburg. Da habe ich einen Anruf einer Mitarbeiterin aus dem Rathaus erhalten. Ich tät bestimmt wissen, warum sie anruft, hat sie gesagt“, erinnert sich der 43-Jährige. Der hat natürlich keine Ahnung und gibt das auch kund. „Na wegen dem positiven Test, hat die Mitarbeiterin gesagt“, schildert Münderle, der entgegnet, dass der Test negativ ausgefallen ist. Er habe die Info schwarz auf weiß. Von Hamburg aus mailt er sein Testergebnis ans Rathaus in Althütte. Die Mitarbeiterin meint, da sei vielleicht etwas schiefgelaufen, sie schicke jetzt eine E-Mail ans Gesundheitsamt und melde sich dann wieder. Münderle fährt weiter. Die Kompassnadel zeigt noch immer nach Norden.
Einige Zeit später ruft Münderle wieder beim Rathaus an. Nein, sagt die Mitarbeiterin, es gebe noch keine definitive Aussage, sie habe noch keine Antwort vom Gesundheitsamt erhalten, sie wolle jetzt dort anrufen. Der Mechaniker fährt weiter. Etwa eine halbe Stunde später wieder ein Anruf, wieder die Mitarbeiterin aus dem Rathaus. Sie habe jetzt jemanden im Gesundheitsamt erreicht, derjenige habe in einer Datenbank nachgeschaut, das Testergebnis sei in der Tat negativ. Sie gehe jetzt davon aus, dass alles in Ordnung sei. Münderle fährt weiter, die dänische Grenze ist keine zwei Stunden mehr entfernt.
„Kurz vor Flensburg hat’s Telefon wieder geklingelt. Ich hab gedacht: Was ist jetzt?“, sagt Münderle. Am anderen Ende ist wieder die Mitarbeiterin vom Rathaus. Was sie sagt, verschlägt ihm den Atem. „Das Ergebnis ist doch positiv, Sie müssen in Quarantäne!“ Der Entwicklungsmechaniker dreht um, telefoniert mit seinen Chefs. Mittlerweile ists 18 Uhr. Weiterfahren bis nach Hause geht nicht. „Ich brauche ja meine elf Stunden Ruhezeit“, erklärt er. Aber welches Hotel nimmt ihn? Irgendwo muss er übernachten. Im Transporter geht nicht. Er probierts doch bei einem Hotel in Hamburg. Mittlerweile ists 21 Uhr. Der Rezeptionist ist sehr nett, muss aber erst mal mit seinem Chef telefonieren. Der sagt, er dürfe dem Gast mit positivem Test kein Zimmer geben. Der Rezeptionist hat ein Einsehen und ruft bei der Polizei an. „Wenn die gesagt hätten, er könne ins Hotel, hätte ich sogar ein Zimmer bekommen“, meint Münderle. Aber die Polizei gibt kein grünes Licht.
Der Coronapositive ohne Symptome aus Althütte ruft nun selbst bei der Hamburger Polizei an. Was soll er machen? Die Beamten erinnern sich wohl an den alten Slogan: „Die Polizei, dein Freund und Helfer!“, fragen beim Gesundheitsamt nach: Ja, es gibt eine Notunterkunft, die ist 23 Kilometer weit entfernt. Dort werde man eine Übernachtung organisieren. Es würde sich jemand telefonisch bei ihm melden, er solle schon mal langsam losfahren, in die Holsteiner Chaussee. Der Anruf kam, in freundlichen Worten wurden ihm der Weg und eine Parkmöglichkeit erklärt.
In Notunterbringung von Verdachtsfällen unter Quarantäne gelandet
Münderle kommt an, mehrere nette kleine zweistöckige Häuschen, alles eingezäunt, die Zufahrt mit Schranke und Security. Er steht auf einer Liste, darf einfahren und wird von Securitymitarbeitern in ein Zimmer geführt. „Drinnen wars dann nicht mehr so gemütlich“, sagt Münderle. Aber er bekommt frische Bettwäsche, alles ist sauber und geputzt, er ist nur noch müde und will duschen und schlafen.
Erst am nächsten Tag sieht er am Standard der Einrichtung und auch am Notfall- und Fluchtwegeplan, der auf Arabisch verfasst ist, dass es sich keinesfalls um eine normale Herberge handeln könne. Beim Verlassen der Unterkunft wieder vor der Schranke kurz warten, er steht wieder auf der Liste, darf die Security und die Umzäunung passieren und kommt nun auf den Gedanken: „Ich habe wohl heute Nacht in einem Flüchtlingsheim genächtigt.“ Erst später erfährt er, dass es sich um einen „Notunterbringungsstandort von mit Covid-19 infizierten obdach- beziehungsweise wohnungslosen Menschen, Geflüchteten sowie bei Bedarf Notunterbringung von Verdachtsfällen unter Quarantäne“ der Hamburger Sozialbehörde gehandelt hat.
Egal, jetzt nur noch nach Hause. Kilometer für Kilometer abspulen. Althütte kommt immer näher. An der Haustür erwartet ihn sein großer Bub: „Papa, bist du wieder aus Finnland zurück?“ Münderle muss schmunzeln. Und zieht jetzt sein Fazit: „Im Nachhinein kann man wirklich drüber lachen.“
Notunterkunft für eine Nacht im Hamburger Stadtteil Schnelsen.
Notfall- und Fluchtwegeplan, der auf Arabisch verfasst ist. Fotos: J. Münderle