Michael Alberty, Malte Rückert und Ulrike Rückert am Menschenrechtspfad in Backnang Foto: J. Fiedler
Von Melanie Maier
BACKNANG. Die aktuelle Mitgliederzahl der Ortsgruppe Amnesty International Backnang 1245 ist überschaubar: Ulrike Rückert, ihr Sohn Malte Rückert sowie Michael Alberty bilden den harten Kern der Gruppe. Dazu kommen laut Malte Rückert „zwei in Reserve, zwei bis drei, die Interesse zeigen, und zwischen 15 und 20 Förderer und Spendengeber, die zum Teil nicht in Backnang wohnen.“
Es ist ein kleiner Kreis derjenigen, die sich in der ehemaligen Gerberstadt dazu entschieden haben, sich regelmäßig für die Einhaltung der Menschenrechte weltweit und für die Freilassung politischer Gefangener zu engagieren. Vor Corona trafen sie sich einmal pro Monat in der Weinstube „Zur Uhr“. Dort diskutierte man stundenlang, zum Teil auch mit den Einkehrenden an den Nachbartischen. Seit der Pandemie treffen sich Ulrike und Malte Rückert und Michael Alberty nur noch privat, doch das soll sich so bald wie möglich ändern – obwohl der Inhalt der Treffen sich vermutlich nicht grundlegend unterscheiden würde. „Manchmal schreiben wir Briefe, manchmal sind unsere Runden in der ‚Uhr‘ eher ein Altherrentreffen“, sagt Malte Rückert.
Die letzte größere Aktion war 2018 eine Lichterkette am Murrufer.
Die aktuellen Aufgaben seiner Gruppe sieht er vor allem darin, weiterzugeben, was in den Nachbargruppen – etwa in Murrhardt – passiert, und Anlaufstelle zu sein für Interessierte. „Wir haben derzeit wenig Gruppenarbeit zu organisieren“, gibt der 47-jährige Architekt zu. „Manchmal schreiben wir Briefe gegen das Vergessen (siehe Infokasten).“ Die letzte größere Aktion war 2018 eine Lichterkette am Ufer der Murr zum 70. Jahrestag der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte.
Das war in den Anfangsjahren der Gruppe anders. Gegründet wurde die Backnanger Gruppe 1245 von Amnesty International 1970 – nur neun Jahre nach der internationalen Organisation. „Die Gründungsmitglieder kennen wir alle nicht mehr“, sagt Michael Alberty am Menschenrechtspfad am Murrufer in Backnang und lacht. Dabei ist der 68-jährige Rentner aus Backnang schon seit den 80er-Jahren Teil der Gruppe. Ulrike Rückert kam 1983 dazu. Die 77-jährige ehemalige Studiendirektorin am Max-Born-Gymnasium und am Weissacher Bildungszentrum half mit ihren Schülern regelmäßig bei den Flohmärkten aus, welche die Gruppe früher zweimal pro Jahr organisierte. Anfangs als freiwillige Helferin, später trat sie in die Gruppe ein. Auch ihr Sohn Malte, die beiden Töchter und ihr Mann waren oft dabei.
In den 80er- und 90er-Jahren hatte die Gruppe meistens zwischen zehn und 15 Mitglieder. Sie trafen sich zweimal pro Monat und betreuten in der Anfangszeit – zusammen mit jeweils zwei weiteren Amnesty-Gruppen in anderen Ländern – bis zu drei politische Gefangene gleichzeitig, weiß Michael Alberty.
Von 1989 bis 1993 betreute die Gruppe etwa den südkoreanischen Künstler Hong Song-Dam. Er wurde inhaftiert und wegen Terrorismus angeklagt, weil er Fotos von einem Wandgemälde, das er gemeinsam mit 200 anderen Künstlern erstellt hatte, nach Nordkorea geschickt hatte. Über Jahre forderte die Gruppe in Briefen und mit Petitionslisten von den zuständigen Behörden in Südkorea seine Freilassung. Sogar der Backnanger Gemeinderat schickte eine Resolution an die südkoreanischen Behörden. Eine Ausstellung mit Holzschnitten des Künstlers in Backnang wurde organisiert (siehe Foto). Nicht zuletzt setzte sich auf Bitten der Backnanger der damalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker bei einem Staatsbesuch in Südkorea für Hong Song-Dam ein. Mit Erfolg: 1992 kam die offizielle Mitteilung, dass der Künstler aus der Haft entlassen wurde.
Daneben versuchte die Gruppe, mit Aktionen die öffentliche Aufmerksamkeit auf das Thema Menschenrechte zu lenken. Beispielsweise mit einer Infothek in der Stadtbücherei und verschiedenen Schulen (1995), einer Podiumsdiskussion mit dem damaligen Außenminister Klaus Kinkel (1997) oder Unterrichtseinheiten für Grundschüler zum Thema Kindersoldaten (1999). Außerdem organisierten die Mitglieder immer wieder Infostände und die traditionellen Flohmärkte, sammelten Spenden und Unterschriften ein.
Die Gruppe war ein großer Kreis von Freunden, berichtet Ulrike Rückert. „Bei den Flohmärkten kamen alle zusammen, alle Generationen haben mitgeholfen, Kisten zu schleppen, Bänke aufzustellen und die Sachen zu verkaufen.“ Und hinterher, daran erinnert sich ihr Sohn noch gut, haben oft alle zusammen Spaghetti gegessen. „Das war schon nett“, sagt er.
Der Zusammenhalt, die Freundschaft in der Gruppe, habe viel ausgemacht, sagt Ulrike Rückert. Man habe sich gern und oft getroffen, in dem Gefühl, gemeinsam der Ungerechtigkeit auf der Welt etwas entgegenzusetzen. „Das Thema war uns wichtig“, betont die ehemalige Lehrerin. Sie erinnert an die Höhepunkte der Gruppe. An den Menschenrechtspfad am Ufer der Murr, der in Zusammenarbeit mit der Stadt 2001 entstand. Und daran, als der Gemeinderat über die Belange der Gruppe diskutierte. „Das war schon phänomenal“, sagt Rückert.
Doch die Zeiten sind nun lang vorbei. „Seit ungefähr zehn Jahren hat unsere Aktivität ziemlich abgenommen, weil ein paar ältere Mitglieder weggezogen sind und weil der Nachwuchs ausbleibt “, sagt Alberty. Der Flohmarkt habe sich irgendwann finanziell nicht mehr gerechnet.
Erst 2018 kam wieder Bewegung in die Backnanger Amnesty-Gruppe. Malte Rückert führte nach seinem Umzug nach Auenwald die Treffen wieder ein. Er hofft darauf, dass sich in der „Uhr“ – sobald es wieder geht – noch mehr Interessierte einfinden werden, die sich für politische Gefangene einsetzen möchten. Nur dann wären größere Aktionen wieder möglich.
Wer selbst etwas für politische Gefangene tun möchte, kann an den Treffen der Ortsgruppe Amnesty International Backnang teilnehmen. Die Gruppe trifft sich – sobald es wieder möglich ist – jeden ersten Dienstag im Monat um 19 Uhr in der Weinstube „Zur Uhr“ in Backnang. Eine vorherige Anmeldung ist nicht notwendig. Für Informationen ist Malte Rückert unter der Telefonnummer 07191/9798165 erreichbar.
Auch online kann man sich engagieren. Auf der Webseite von Amnesty International ist es möglich, sogenannte „Briefe gegen das Vergessen“ zu unterschreiben. Sie sollen den Gefangenen Hoffnung geben und den Verantwortlichen zeigen, dass die Inhaftierten nicht in Vergessenheit geraten sind.
Aktuell steht unter anderem der Fall der iranischen Eheleute Golrokh Ebrahimi Iraee und Arash Sadeghi auf der Webseite. Sie setzten sich vor ihrer Festnahme 2014 für die Menschenrechte ein. Im Gefängnis wurden sie gefoltert und misshandelt.
Der Fall von Golrokh Ebrahimi Iraee und Arash Sadeghi ist kein Einzelfall. Täglich werden Menschen weltweit festgenommen, bedroht, gefoltert, getötet, schreibt Amnesty International auf der Webseite: „Weil sie ihre Meinung sagen, sich für die Menschenrechte in ihrem Land einsetzen oder mit friedlichen Mitteln ihre Regierung kritisieren. Gewaltlose politische Gefangene verschwinden oft für Jahre hinter Gittern – ohne faires Gerichtsverfahren und unter unterschiedlich schwierigen Haftbedingungen“. Die „Briefe gegen das Vergessen“ findet man unter www.amnesty.de/mitmachen/briefe-gegen-das-vergessen.