Kommt der Brexit oder nicht? Die Entwicklung der Beziehungen zwischen Großbritannien und dem Rest der EU sind derzeit vor allem durch Unsicherheit geprägt. Für die Ehrenamtlichen des Partnerschaftsvereins Backnang/ Chelmsford ist das aber kein Grund, den Kopf in den Sand zu stecken. Vielmehr zeigen sie mehr Elan denn je.
Vor 29 Jahren wurde die Partnerschaft zwischen Backnang und Chelmsford geschlossen und mit einer Urkunde besiegelt. Dorothee Ziesik, Christl Wilburn und David Whitehead (von links) wollen die Freundschaft beider Städte lebendig gestalten. Foto: A. Becher
Von Lorena Greppo
BACKNANG. „Die Städtepartnerschaft war nicht tot, sie hat nur geschlummert“, sagt David Whitehead. Er selbst stammt aus Chelmsford, habe aber lange nicht wahrgenommen, dass es einen entsprechenden Verein gibt, der die Freundschaft beider Städte fördert. Aktionen, mit denen dieser sichtbar wurde, gab es wenige. Das wollte Whitehead ändern und brachte sich aktiv ein. Inzwischen ist er der erste Vorsitzende des Partnerschaftsvereins Backnang/Chelmsford. Dass die Partnerschaft in den vergangen zwei Jahren aus ihrem Dornröschenschlaf erwacht ist, ist auch sein Verdienst. „Man brauchte einen Motor“, erklärt seine Stellvertreterin Dorothee Ziesik, Lehrerin am Max-Born-Gymnasium (MBG). Den habe man in ihm gefunden. Christl Wilburn, Ausschussmitglied und im Verein für die Logistik zuständig, fügt an: „Dave kommt aus Chelmsford, er ist dort vernetzt. Er weiß immer, wo man sich hinwenden muss.“ Whitehead selbst will gar nicht so sehr in den Mittelpunkt gerückt werden: „Der Verein ist kein Einmannbetrieb. Ja, ich mache viel, aber ich verlasse mich auch auf unser Team.“ Eben jenes Team habe in jüngster Vergangenheit besonders viel Engagement und Kreativität bewiesen.
Das Interesse an der englischen Partnerstadt wächst
Während die Beziehungen zwischen Deutschland und Großbritannien schon bessere Zeiten hatten, wird die Vernetzung zwischen Backnang und Chelmsford nur immer enger und stärker. Zuerst haben Whitehead, Ziesik und Wilburn am Murrspektakel 2017 bewusst wahrgenommen, wie das Interesse an der englischen Partnerstadt wuchs. „Viele Leute sind auf uns zugekommen und haben nachgefragt“, berichtet Whitehead. Das habe sich mit jeder Veranstaltung, bei der der Verein mitgewirkt und für sich geworben hat, verstärkt. Das Radioprogramm am Max-Born-Gymnasium, ein Besuch der Chelmsforder Bürgermeisterin beim Gänsemarkt und eine Präsentation der Städtepartnerschaft im Kreistag haben Bürger wie auch Kommunalpolitiker und Verwaltungsbeamte vermehrt auf die Arbeit der Ehrenamtlichen aufmerksam gemacht. Hinzu kommt, wie die drei Vereinsmitglieder bestätigen, der Wille, trotz politischer Unsicherheiten zusammenzustehen. Dorothee Zeisik erinnert sich an Worte, die John Spence, Ehemann der Chelmsforder Bürgermeisterin gesprochen hatte: „Politik ist die eine Sache, aber wir Menschen dürfen uns nicht trennen lassen.“ Das bringe die Situation auf den Punkt.
Dass ein frischer Wind Einzug in den Partnerschaftsverein gehalten hat, hänge auch stark damit zusammen, dass in Chelmsford die deutsche Partnerstadt vermehrt wahrgenommen wird. Die Stimmung in der Stadt in der Grafschaft Essex sei gegen den Brexit, da sind sich Ziesik und Whitehead einig. „Die Menschen dort gewinnen zunehmend ein Bewusstsein für Europa“, sagt Ziesik. Vielleicht auch deshalb sind inzwischen auch in Chelmsford Engagierte verstärkt in Sachen Partnerschaft im Einsatz. „Es ist schön, dass sich auch dort etwas tut“, findet Dorothee Ziesik. Das sei neu, bisher habe man in Backnang kaum mitbekommen, was in der englischen Partnerstadt los ist, und umgekehrt. Nun sei für das Straßenfest im Juni sogar der Besuch des Chelmsforder Kulturbeauftragten angekündigt, der sich genauer über Backnang informieren möchte. Treibende Kraft einer engeren Vernetzung seien in der englischen Stadt vor allem das Rathaus und die Kirche, so Whitehead.
Die Aufbruch- und Umbruchstimmung im Partnerschaftsverein Backnang/Chelmsford zeigt sich auch in der Zusammensetzung der Mitglieder. Vermehrt kämen jüngere Ehrenamtliche nach, die neue Ideen einbringen. „Dass man als passives Mitglied im Verein ist, aber nicht zu Treffen kommt und sich einbringt, das gibt es kaum noch“, erklärt Christl Wilburn. Den neuen Mitgliedern merke man an: Sie wollen etwas bewegen. Beim letzten Treffen seien die Ideen nur so durchs Zimmer geflogen, erzählt Whitehead. „Da kommt frischer Wind rein“, freut sich Wilburn. Sie selbst sei über ihren Mann, der Brite ist, zum Verein gekommen. Inzwischen sei auch ihr 20-jähriger Sohn beigetreten.
Schüleraustausch wird künftig auch am MBG angeboten
Gerade an die jüngeren Leute will man vermehrt herantreten, sagt Dorothee Ziesik. Das Radioprojekt, bei dem Schüler zusammen mit dem Chelmsford Community Radio eine Radiosendung produziert haben, sei sehr gut angekommen, berichtet die Abteilungsleiterin für moderne Fremdsprachen am MBG. Ab dem kommenden Jahr soll ein Schüleraustausch zwischen dem Max-Born-Gymnasium und der Boswells School stattfinden. „Die Idee ist, auch die anderen Schulen der beiden Städte ins Boot zu holen“, erklärt Ziesik. So sollen Kinder und Jugendliche motiviert werden, sich für die Partnerschaftsarbeit einzusetzen.
Denn es steht auch einiges an. Die Planungen für das 30-jährige Bestehen der Städtepartnerschaft, das im kommenden Jahr begangen wird, sei im Partnerschaftsverein schon in Gange. Wie die anderen Backnanger Partnerstädte, Annonay und Bácsalmás, soll auch Chelmsford mit eigenem Stand vertreten sein, an dem Spezialitäten der Stadt verkauft und über die Partnerschaft informiert werden soll. Eine Brauerei aus der englischen Stadt hat ihr Kommen bereits zugesagt. Eine Gelegenheit, das Chelmsforder Bier zu testen, bietet sich schon beim Tulpenfrühling im April. Christl Wilburns Mann Phil hat in Chelmsford einen Oldtimer gekauft und während seines Besuchs dort Bier und Chips besorgt. Auch das gehöre zum Verständnis der Partnerstädte dazu. „Partnerschaft besteht nicht nur auf dem Papier, sondern ist lebendig“, sagt Whitehead.
Noch ist der Transport der Waren ohne größere Probleme möglich. Der drohende Brexit und seine Folgen beschäftigen aber auch die Mitglieder des Partnerschaftsvereins. Da spielen Gedanken um eventuelle Zölle eine Rolle. Christl Wilburn hebt vor allem mögliche Hindernisse beim Reisen hervor. Ihr Mann hat einen britischen Pass, sie selbst nicht. Wie es sich mit der Einreise nach Großbritannien für die Familie künftig gestaltet, wisse sie nicht. Davon will sie sich aber in der Vereinsarbeit nicht entmutigen lassen. „Kontakt werden wir trotzdem haben“, ist sie überzeugt. Und auch David Whitehead will nicht den Teufel an die Wand malen: „Wenn wir uns die Mühe machen und im Verein weiter an der Freundschaft beider Städte arbeiten, dann werden die Leute das begrüßen. Ich höre jedenfalls nicht auf.“