Psychologie - Die weiße Weihnacht ist auch dieses Mal ausgefallen. Dafür schneit es jetzt heftig. Aber wie war es eigentlich in den Jahren davor? Höchstwahrscheinlich nicht so, wie wir glauben, sagen Experten.
StuttgartEs gibt ihn also doch noch, den Winter. Massive Schneefälle im Alpengebiet halten Räumdienste, Einsatzkräfte und Urlauber in Atem. Jüngere Zeitgenossen können sich vielleicht nicht an derart viel Schnee erinnern. Doch was jetzt manche als Schneechaos oder Schneekatastrophe bezeichnen, liegt im langjährigen Vergleich immer noch in der normalen Schwankungsbreite. Und der viele Schnee ist auf der anderen Seite auch kein Beleg dafür, dass die Sache mit dem Klimawandel nur halb so wild ist. Wetter und Klima sind zwei Paar Stiefel.
Der Schnee, der jetzt so reichlich gefallen ist, hat Ende Dezember gefehlt – und für viele ein weiteres Mal den Traum von einer weißen Weihnacht zerstört. Ein Blick in die Wetterstatistik zeigt aber, dass es sich dabei ohnehin nur um eine Fiktion handelt. Denn in unseren Breiten lag um das Christfest herum auch in früheren Jahren sehr oft kaum oder gar kein Schnee – zumindest im Flachland.
<img alt="" src="/media.media.bca2300b-514f-402b-8f2b-026c9ef81417.original.png" style="width:100%" />
Warum haben viele von uns trotzdem das Bild einer weißen Weihnacht im Kopf? Psychologen sprechen in diesem Zusammenhang von einer positiven Gedächtnisverzerrung. Auch jenseits der Fachwelt ist es ein bekanntes Phänomen, dass wir dazu neigen, die Vergangenheit zu verklären und Negatives ausblenden – nicht nur beim Wetter. So erinnerte sich die US-Psychologin Carol Tavris immer wieder gerne daran, wie ihr Vater ihr aus dem Märchenbuch „Das wundervolle O“ vorgelesen hat. Doch irgendwann stellte sie fest, dass das Buch erst ein Jahr nach dem Tod ihres Vaters erschienen war – und er ihr deshalb gar nicht daraus vorgelesen haben konnte. Unsere Erinnerungen sind keine objektiven Aufzeichnungen, sondern werden von unserem Gehirn auf der Basis tatsächlicher Erlebnisse und vieler weiterer Einflussfaktoren zusammengesetzt. Vor allem wenn es um die eigene Biografie geht, wird dabei vieles so hingedreht, dass daraus eine stimmige Geschichte wird.
Erinnerungen bilden die Grundlage unseres Lebens und unserer Identität, wie die Rechtspsychologin Julia Shaw betont. „Sie formen das, was wir erlebt zu haben glauben und wozu wir uns daher auch in Zukunft befähigt glauben“, schreibt die Autorin des Buchs „Das trügerische Gedächtnis“. Erinnerungsfehler seien nicht die Ausnahme, sondern die Norm. Shaw brachte Versuchspersonen etwa dazu, dass sie sich an Straftaten „erinnerten“, die sie nie begangen hatten. „Die Grenze zwischen Einbildung und Erinnerung ist also fließend. Das menschliche Gehirn vertauscht beides immer wieder“, schreibt Shaw auf „Spiegel Online“.
Das gilt auch für unser Wettergedächtnis. „Beim Wetter ist es leicht, Opfer der subjektiven Wahrnehmung zu werden. Wenn man sich an die vergangenen Jahre erinnert, dann erinnert man sich hauptsächlich an das, was schön und beeindruckend war“, schreibt Florian Freistetter vom Wissenschaftskabarett Science Busters in einem Blog-Beitrag. „Die netten Sommerabende, die man mit Freunden im Garten verbracht hat. Die heißen Tage mit den Kindern im Schwimmbad. Aber sicher nicht an die kühlen, verregneten Tage, an denen man vor dem Fernseher gesessen ist und nichts Besonderes gemacht hat.“ Ist das Wetter im Sommer mal etwas durchwachsener, kommen wir leicht zu dem falschen Schluss, dass es früher viel schöner war.
Ähnlich verhält es sich mit der weißen Weihnacht. Diese objektiv falsche Vorstellung könne „von einzelnen Erinnerungen an frühere Schneetage stammen, aber auch aus Erzählungen und Ähnlichem“, so der Psychologe Jan Hummel von der Universität Heidelberg in einem Interview. Generell erinnerten wir uns besser an positive Dinge, aber auch an einzelne, sehr negative Ereignisse. Mit dem Alter nähmen die positiven Gedächtnisverzerrungen zu.https://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.winterstuerme-sturm-im-norden-neuer-schnee-im-sueden.70748896-f6c1-4dac-99fb-606600b2a809.html