Die Nutzung der Sonnenenergie ist Gernot Gruber ein persönliches Anliegen. Er selbst hat schon seit mehr als 20 Jahren eine Fotovoltaikanlage auf dem Dach und seit zwei Jahren noch eine weitere auf seinem Balkon. Foto: Alexander Becher
Von Kornelius Fritz
Backnang. Gernot Gruber erinnert sich noch gut an seinen ersten SPD-Landesparteitag in den 90er-Jahren. Dort sollte er als Delegierter über die Kandidaten für die nächste Bundestagswahl mitentscheiden. Doch als über die sogenannte Landesliste abgestimmt wurde, stellte Gruber fest, dass das Ergebnis bereits vorher feststand. Einflussreiche Gruppierungen wie der „Seeheimer Kreis“ oder die „Parlamentarische Linke“ hatten die aussichtsreichen Listenplätze bereits im Vorfeld unter sich aufgeteilt und ihren Delegierten Listen in die Hand gedrückt, auf denen die Namen der Kandidatinnen und Kandidaten standen, die sie wählen sollten. „90 Prozent der Stimmen waren schon vergeben“, erinnert sich Gruber, der bis dahin geglaubt hatte, jeder Delegierte wähle die Kandidaten, die er für am geeignetsten hält.
So funktioniert nun mal Politik, könnte man entgegnen, und viele, die das Postengeschacher anfangs noch befremdlich fanden, haben sich mit der Zeit daran gewöhnt oder vielleicht sogar selbst davon profitiert. Gernot Gruber mag sich hingegen nicht damit abfinden. „So etwas trägt zur Politikverdrossenheit bei“, findet er und kämpft für eine glaubwürdige Politik.
Dafür gehört für den Backnanger auch, dass er die Parteidisziplin niemals über seine persönliche Überzeugung stellt. In seinen zwölf Jahren als Landtagsabgeordneter hat er deshalb schon mehrfach gegen die eigene Fraktion abgestimmt, etwa beim Thema Stuttgart 21. Gruber votierte entgegen der SPD-Linie für einen Ausstieg aus dem Projekt, weil er überzeugt ist, dass der neue Bahnhof Verschlechterungen im Nahverkehr mit sich bringt. „Unterordnung ist nicht so meine Stärke“, sagt der gebürtige Murrhardter, der morgen seinen 60. Geburtstag feiert.
In der SPD hat er sich damit natürlich keine Freunde gemacht und wohl auch die Chancen auf eine parteiinterne Karriere verspielt. Seine Wählerinnen und Wähler wissen allerdings Gernot Grubers Geradlinigkeit und auch seine hohe Präsenz im Wahlkreis zu schätzen. Dreimal haben sie ihm im traditionell eher konservativen Wahlkreis Backnang mit überdurchschnittlichen Stimmergebnissen zu einem Zweitmandat verholfen. Immer wieder hört er hier den Satz: „Ich wähle sonst nie SPD, aber Ihnen gebe ich meine Stimme.“
Der Mathematiker hinterfragtedie Zahlen zum Krankenhaus
Politik hat im Leben von Gernot Gruber, der im kleinen Murrhardter Teilort Steinberg aufgewachsen ist, schon immer eine wichtige Rolle gespielt. Bereits als Neunjähriger trug das zweite von vier Kindern Wahlprospekte für seinen Vater Giselher aus, der von 1972 bis 1976 ebenfalls für die SPD im Landtag saß. Später schrieb er als Chefredakteur der Schülerzeitung „Heumade“ am Murrhardter Gymnasium politische Artikel und war Sprecher der örtlichen Jusos.
Mit seinem besonderen Interesse für Umwelt- und Friedenspolitik hätte der junge Gernot Anfang der 80er-Jahre sicher auch gut zu den neu gegründeten Grünen gepasst, aber die SPD hat für ihn einen entscheidenden Vorteil: „Wir sind eine Volkspartei.“ Das bezieht er nicht auf die Prozentzahlen bei den Wahlen, die zumindest in Baden-Württemberg zuletzt weit hinter denen der Grünen zurückblieben, sondern auf die Wählerschaft. Die SPD erreiche nicht nur eine bestimmte Klientel, sondern alle Bevölkerungsgruppen, und das sei wichtig für eine Politik, die alle mitnimmt. „Klimaschutz ist ja zum Beispiel für einen, der Geld hat, viel leichter als für jemanden, der sich nur einen alten Diesel leisten kann.“
Eigentlich wollte Gruber Lehrer werden
Eine Karriere als Vollzeitpolitiker hatte Gernot Gruber aber nicht im Sinn. Eigentlich wollte er wie seine Eltern Lehrer werden, mit den Fächern Mathematik und Gemeinschaftskunde. Doch die Berufsaussichten nach dem Studium waren damals düster. So entschied er sich, dem Staatsexamen noch ein Diplom in Mathematik folgen zu lassen, und begann als Versicherungsmathematiker bei der Allianz. Dort stieg er zum Referatsleiter auf – ein gut bezahlter, aber auch sehr zeitaufwendiger Job, der dem zweifachen Vater nur wenig Zeit für ein politisches Engagement ließ.
Trotzdem übernahm Gernot Gruber 2000 den Vorsitz des Backnanger SPD-Ortsvereins und wurde 2004 in den Kreistag gewählt. Vor allem die Diskussion um das Backnanger Krankenhaus ist ihm aus dieser Zeit noch in Erinnerung. Der SPD-Kreisrat gehörte zu jenen, die die Zahlen, die Landrat Johannes Fuchs vorlegte, nicht einfach hinnahmen, sondern hinterfragten. Dabei fiel ihm auf, dass die Wirtschaftlichkeitsberechnungen für den geplanten Neubau in Winnenden von extrem optimistischen Annahmen ausgingen, während Schulden in Millionenhöhe verschwiegen wurden.
Mit seinen kritischen Nachfragen brachte Gruber zwar selbst die Experten ins Schwitzen, das Aus für das Backnanger Krankenhaus konnte er aber trotzdem nicht verhindern. „In der Politik reicht es eben nicht, recht zu haben. Man muss auch die Mehrheit auf seiner Seite haben“, sagt Gernot Gruber und es klingt ein wenig resigniert.
Das Alter zeigt sich nur bei den Laufzeiten
Auch im Landtag, dem Gernot Gruber seit 2011 angehört, erlebt der Backnanger Abgeordnete immer wieder Dinge, die ihm gegen den Strich gehen. So kann er zum Beispiel nicht verstehen, warum die Mehrheit gute Vorschläge ablehnt, nur weil sie von der Opposition kommen. Gruber hat selbst schon erlebt, dass ihn Kollegen von anderen Fraktionen auf den Landtagsfluren für eine Initiative lobten, am Ende aber dagegenstimmten. Trotzdem ist er davon überzeugt, dass man mit Ausdauer und Hartnäckigkeit auch in der Opposition etwas erreichen kann. So war er es etwa, der die Landesregierung mit der Tatsache konfrontierte, dass von 8000 Gebäuden des Landes nur 170 eine Solaranlage auf dem Dach haben. Inzwischen hat Ministerpräsident Winfried Kretschmann hier Besserung gelobt.
Seinen 60. Geburtstag empfindet Gernot Gruber nicht als großen Einschnitt: Dass er älter werde, merke er bisher eigentlich nur an seinen Zeiten beim Laufen, erzählt der passionierte Leichtathlet. Seine Bestzeit über zehn Kilometer liegt bei 33:07 Minuten, momentan braucht er für dieselbe Distanz – auch infolge von Verletzungen – etwa 50 Minuten. Trotzdem spielt der Sport im Leben des SPD-Politikers noch immer eine wichtige Rolle. Zum einen als Ausgleich zu den langen Sitzungen und Besprechungen, zum anderen auch wegen der Geselligkeit: „Ich habe mehr Freunde im Sport als in der Politik.“
Ob er bei der nächsten Landtagswahl im Jahr 2026 noch einmal antreten wird, hat Gernot Gruber noch nicht entschieden. Das neue Wahlrecht macht es für ihn jedenfalls nicht einfacher, denn auch bei Landtagswahlen wird es künftig Listen geben, auf denen die Parteien ihre Wunschkandidaten absichern können. Gernot Gruber hat gegen diese Reform gestimmt und darf schon aus diesem Grund kaum auf einen aussichtsreichen Listenplatz hoffen. Für unmöglich hält er eine Wiederwahl aber trotzdem nicht: „Ich würde mir mittlerweile auch zutrauen, das Direktmandat zu holen.“