Haftstrafe für Pfleger der Diakonie Stetten

Schwerer sexueller Missbrauch: 34-jährige Zeitarbeitskraft verging sich an 12-jährigem Jungen und an geistig behinderter Frau

Vier Jahre und drei Monate. Das ist das Strafmaß für den 34 Jahre alten Pfleger, der als Zeitarbeitskraft zwei Bewohner der Diakonie Stetten während des Nachtdienstes sexuell missbraucht hatte. Die Richterin der Jugendstrafkammer machte ihm deutlich, dass er sich unbedingt einer Therapie im Strafvollzug unterziehen muss. Sonst hat er die volle Zeit abzusitzen.

Von Jörg Nolle

KERNEN IM REMSTAL/STUTTGART. Zwischen Dezember 2015 und September 2016 war der ausgebildete Heilerziehungspfleger als Nachtwache bei der Diakonie Stetten eingesetzt. Es gilt jetzt als erwiesen, dass er einen damals 12 und dann 13 Jahre alten Jungen mehrmals schwer missbraucht hat. Ferner soll es zu sexuellen Übergriffen gegen eine junge geistig behinderte Frau gekommen sein. Außerdem stellte die Polizei große Mengen von kinder- und jugendpornografischem Material auf seinem Handy, auf einem Laptop und auf einer externen Festplatte sicher.

Der Angeklagte hat diese Taten gleich zu Beginn des Verfahrens gestanden. Dies hat ihn vor einer höheren Strafe bewahrt. Immerhin ein für die vorsitzende Richterin Cornelie Eßlinger-Graf „respektables Geständnis“, das davon getragen sei, „Verantwortung zu übernehmen“.

Am letzten Tag vor der Urteilsverkündigung kam der psychiatrische Gutachter Peter Winkler zu Wort. Auch er erlebte bei seiner eingehenden Befragung einen Täter, der sich über seine eigene Tat erschrocken zeigte. Freilich stimmten die Einlassungen des Angeklagten den Gutachter auch misstrauisch. Zu oft gebrauchte dieser psychologisierende „Phrasendrescherei“. Und die sei schwer abzugrenzen gegen „echtes psychisches Erleben“. Da zeige sich bereits seine Therapieerfahrenheit.

Keine mildernden

Umstände

Für Winkler kommen keine entlastenden Faktoren infrage. Der Mann sei voll orientiert. Habe keinen Wahn, den vollen Realitätsbezug, keine kognitiven Defizite. Er sei bei seinen Taten nicht von krankhaften Affekten getrieben worden und könne noch nicht einmal behaupten, sozial ausgegrenzt gewesen zu sein. Therapeutischen Behandlungsbedarf sieht der Gutachter gleichwohl, unbedingt. Er müsse lernen, seine „dunkle Seite der Persönlichkeit“ in den Griff zu bekommen. Ihm, Winkler, komme das Verhalten „passiv aggressiv“ vor, und dazu gehöre eindeutig ein „aggressives Sexualleben“. Wie der Angeklagte selbst geschildert hat, hat der zwölfjährige Junge sehr wohl das Signal ausgesendet, es tut ihm weh, wenn der Täter versucht, ihm den Anus zu penetrieren. Und auch die junge Frau gab deutlich zu verstehen, er soll sich nicht neben sie legen und sie streicheln.

Der Täter suche sich schwache Opfer. Nutze dabei seine körperliche Überlegenheit und arbeite mit Mitteln der Verführung. Ein „delinquentes Fehlverhalten“, das es zu ahnden gelte, ohne ihm etwas zugutehalten zu können.

Auch schwere depressive Verstimmungen, die jetzt zu beobachten sind, gab es zum Zeitpunkt der Taten nicht. Der Angeklagte hatte einen Berufsabschluss, eine Wohnung, eine Arbeit und auch eine Partnerin. Die selbst körperbehindert ist. Sie machte sofort Schluss und warf ihn aus der Wohnung, als die Polizei sie mit dem Untersuchungsbefund konfrontierte – jede Menge als kriminell zu bewertendes pornografisches Material. Auch wenn er wohl selbst nicht damit gehandelt hat und schon gar nicht welches selbst erstellte.

Winkler spricht von einem „Empathiedefizit“ zu den Opfern, mindestens. Der Täter wisse selbst auch nicht genau, welchem Geschlecht er sich hingezogen fühlt. Beim Zugang zur eigenen Gefühlswelt tue er sich sehr schwer. Und trotzdem handele es sich nicht um einen schwer persönlichkeitsgestörten Menschen. Eher gehe es um eine „auffällige Persönlichkeitsakzentuierung“. Fraglos habe er große sexuelle Probleme und eine „pädophile Nebenströmung“. Gibt es ihm einen speziellen Kick, wenn er sich behinderten Menschen nähert?

Da ist sich Winkler unsicher. Auf jeden Fall handele sich um einen Mann, „der als Mensch so schwach ist, dass er sich schwache Opfer sucht“. Und nochmals: Entlastende Momente sieht der Gutachter nicht, außer dass er sich auch gegenüber dem Psychiater sehr kooperationswillig zeigte: „Er war kein Getriebener, der völlig außer sich war.“

Gerade dieses Agieren im geschützten Raum. Zu wissen, dass er nachts nicht gestört werden kann durch andere Pfleger, das mache die Schwere aus. Dieser Täter müsse unbedingt die Tat therapeutisch aufarbeiten können. Da helfe es nicht, einfach nur zu bestrafen und ihn wegzusperren, sondern die jetzt sich zeigende Erschütterung therapeutisch weiter zu nutzen. „Er soll an sich arbeiten.“

Die Staatsanwältin hatte

fünf Jahre gefordert

So sieht es auch die Richterin in der Begründung nach dem Urteil. Die Staatsanwältin hatte fünf Jahre gefordert. Das Gericht ging auf das Strafmaß von vier Jahren und drei Monaten zurück, weil der Angeklagte sich noch am ersten Tag geständig zeigte. Damit habe er den Opfern weiteres Leid erspart. Um Vorsatz handele es sich aber allemal. Um vorsätzliche Körperverletzung und schweren sexuellen Missbrauch. Die Richterin zum Angeklagten: „Sie wussten, dass es nicht richtig ist, was sie da tun. Aber Sie haben es trotzdem getan.“

Der Täter könne froh sein, dass Gutachter und Gericht nicht zur Auffassung kamen, es handele sich um einen psychisch schwer gestörten Delinquenten. Denn sonst wäre die Unterbringung in der Psychiatrie infrage gekommen. Und dort kommen Sexualstraftäter gewöhnlich erst nach 10 oder 15 Jahren wieder frei. So aber bekomme der Angeklagte „die Chance zur Nachreifung“.