Hier wird Sprache von Beginn an mitgedacht

Ob beim Turmbauen, beim Mensch-ärgere-dich-nicht-Spielen oder beim Mittagessen: Schon Dreijährige kommunizieren quasi ununterbrochen. Die städtische Kita ob der Ekertsklinge ist eine zertifizierte Sprachkita. Dort wird jedes Kind individuell beim Spracherwerb gefördert.

Hier wird Sprache von Beginn an mitgedacht

Während Pädagogin Aikaterini Pinaka mit den Kindern spielt, beobachtet Sarah Ulmer die Gruppe. Später bespricht sie mit Pinaka, wie die Interaktion mit den Kindern gelaufen ist, und gibt Tipps dazu, wie die Kleinen weiterhin unterstützt werden können. Foto: A. Becher

Von Melanie Maier

Backnang. Wer zur Tür der Kita ob der Ekertsklinge hereinkommt und sich ein bisschen umschaut, braucht nicht lange, um herauszufinden, dass es sich bei der Einrichtung um eine Sprachkita handelt. Rechts neben der Tür hängt eine Uhr, auf deren Ziffernblatt „Zeit für Sprache“ steht. Um sie herum kleben Zettel mit den Worten „Herzlich willkommen“ in 14 verschiedenen Sprachen: „Benvenuto“ kann man da etwa lesen, „Welcome“, „Hoşgeldiniz“, „Ayubowan“. Links neben der Tür wird auf buntem Papier ganz deutlich mitgeteilt: „Wir sind eine Sprachkita“.

Das Konzept dahinter kommt im Umgang zwischen Fachkräften und Kindern in jeder Minute zum Tragen. Die sprachliche Bildung ist im Alltag integriert. So richtig greifbar wird das, was sich hinter dem Titel Sprachkita verbirgt, aber erst hinter den Kulissen, im Gespräch zwischen den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Die Kinder spielen und toben miteinander und mit den pädagogischen Fachkräften – für sie gibt es keinen Unterschied zu „normalen“ Kindergärten. Der Spracherwerb und der Umgang mit Sprache wird in der Sprachkita subtil gefördert – etwa indem die Kinder beim gemeinsamen Lesen eines Bilderbuchs dazu animiert werden, in ihren eigenen Worten wiederzugeben, was auf den Seiten passiert, oder indem die Erzieherinnen und Erzieher bestimmte Themen mit ihnen besprechen, die in ihrem Alltag ohnehin gerade eine Rolle spielen. Als das Wildblumenbeet im Garten neu angelegt wurde, interessierten sich die Kinder beispielsweise für Insekten. „Sie wollten wissen, was da so herumfliegt: Hummeln, Bienen, Marienkäfer...“, erzählt Sarah Ulmer. Sie ist seit Januar 2021 Sprachfachkraft in Teilzeit an der Kita ob der Ekertsklinge und ausschließlich dafür zuständig, das Bundesprogramm „Sprach-Kitas: Weil Sprache der Schlüssel zur Welt ist“ (siehe Infokasten) umzusetzen.

Die Kita ob der Ekertsklinge nimmt seit 2018 an dem Förderprogramm teil; genauso wie drei weitere Backnanger Kitas mit besonders hohem Migrantenanteil (Im Biegel, Lindenstraße, Heininger Weg). In der Kita ob der Ekertsklinge werden 50 Kinder in zwei Gruppen betreut, der Anteil der Kinder mit Migrationshintergrund beträgt in der ersten Gruppe 89 Prozent, in der zweiten sogar 96. Deshalb freut sich Kindergartenleiterin Chrissa Pantazaki, dass dreimal pro Woche zusätzlich eine ehrenamtliche Sprachhelferin des Denkendorfer Modells (siehe Infokasten) in die Einrichtung kommt, um die Kinder neben dem Alltag gezielt zu unterstützen. „Sprachkita und Denkendorfer Modell – das sind zwei ganz unterschiedliche Sachen. Es ist optimal, wenn das zusammenfließt“, erklärt Sprachfachkraft Sarah Ulmer. „Ich bin quasi ein Sprachcoach – aber nicht für die Kinder, sondern für das pädagogische Personal.“

Ihr Alltag gliedert sich in Büro- und in Vor-Ort-Tage, die sie in den Gruppen verbringt. Im Büro bereitet Ulmer Themen vor, die für die Kinder und ihre Betreuerinnen interessant sein könnten, oder sie kümmert sich gezielt um Probleme, die an sie herangetragen werden. Eine Mitarbeiterin war sich zum Beispiel unsicher, wie sie auf die Eltern zugehen soll, die gar kein Deutsch sprechen. Ulmer hat ihr geholfen, einen Weg der Kommunikation zu finden. Immer wieder bietet sie auch Sprechstunden an, in denen sie sprachliche Fragen beantwortet.

Wenn sie in den Gruppen ist, beobachtet Ulmer meist nur und gibt den Kolleginnen später Rückmeldung, wie die Interaktion mit den Kindern gelaufen ist. Geplant sind auch Videoaufnahmen. „Sie könnten den Mitarbeiterinnen helfen, ihr Verhalten selbst zu analysieren“, erklärt sie. Während der Pandemie ist Ulmer ab und zu auch als Vertretung eingesprungen – wie in den meisten Kitas fielen viele Betreuerinnen krankheitsbedingt vorübergehend aus. Das soll aber nur eine Ausnahme darstellen.

Alle 14 Tage nehmen Ulmer und auch Kindergartenleiterin Chrissa Pantazaki an einem Verbundtreffen mit den weiteren Sprachkitas im Landkreis, aus Waiblingen und Schwaikheim, an einer externen Fachberatung teil. Das sorgt für neuen Input und stellt sicher, dass die Ziele des Förderprogramms umgesetzt werden – regelmäßig müssen auch Zwischenberichte eingereicht werden. Zudem ist der Austausch hilfreich.

Wie sich der bewusste Umgang mit der Sprache in der Kita auf die Kinder auswirkt, das lässt sich allerdings nur schwer messen und beziffern. „Es ist nicht so, dass immer wieder ein Meilenstein erreicht wird und wir das feiern“, sagt Ulmer. „Wir sehen die kleinen Schritte, über die wir uns freuen.“ Erst vor Kurzem hat sie eine Gruppe in die Stadt begleitet. Als ein Junge, der erst sehr wenig Deutsch spricht, anfing, die Enten auf der Murr auf Deutsch zu zählen, habe sie Gänsehaut bekommen, erzählt sie. „Wenn sich die Kinder wohlfühlen, blühen sie auf. Man muss sie nur mit Zeit und Geduld begleiten.“ Corona bedeutete für die Entwicklung mancher Kinder einen Rückschritt, da sie monatelang nicht in die Kita kamen, weiß Ulmer. Sie wünscht sich, dass sich jetzt wieder ein Alltag einstellt.

Das Förderprogramm wäre eigentlich schon ausgelaufen, wurde aber um zwei weitere Jahre verlängert. Planmäßig endet es am 31. Dezember dieses Jahres. Ulmer hofft, dass es noch einmal verlängert wird. „Zum einen, weil es mir riesigen Spaß macht, und zum anderen, weil der Bedarf einfach da ist“, sagt sie. Das sieht Mario Wolf auch so. Sollte das Bundesprogramm nicht weitergeführt werden, möchte sich der Sachgebietsleiter im Amt für Familie, Jugend und Bildung dafür einsetzen, dass die Sprachkitas in Backnang mit eigenen Mitteln bestehen bleiben. Und vielleicht macht das Programm ja auch irgendwann Schule, wird ausgeweitet. Denn davon könnten eigentlich jede Kita, jede Fachkraft und jedes Kind profitieren, meint Ulmer.

Angebote zur Sprachförderung: Sprachkitas und das Denkendorfer Modell

Sprachkitas Mit dem Bundesprogramm „Sprach-Kitas: Weil Sprache der Schlüssel zur Welt ist“ fördert das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend seit 2016 die sprachliche Bildung in der Kindertagesbetreuung. Das Programm richtet sich vorwiegend an Kitas, die von einem überdurchschnittlich hohen Anteil von Kindern mit sprachlichem Förderbedarf besucht werden. Es hat drei Schwerpunkte: die alltagsintegrierte sprachliche Bildung, die inklusive Pädagogik und die Zusammenarbeit mit den Familien. Für jede Sprachkita stellt das Programm eine zusätzliche Fachkraft zur Verfügung. Sie wird von einer externen Fachberatung begleitet. Bundesweit ist etwa jede zehnte Kita eine Sprachkita. Davon profitieren ungefähr 500000 Kinder und auch
ihre Familien.

Denkendorfer Modell Das Denkendorfer Modell ist ein Konzept zur ganzheitlichen Sprachförderung von Kindern aus Zuwanderer- und Flüchtlingsfamilien sowie deutschen Kindern mit erhöhtem Förderbedarf. Dabei kommen ehrenamtliche Sprachhelferinnen und Sprachhelfer dreimal wöchentlich in die Kita, um Kinder mit sprachlichen Defiziten in Kleingruppen gezielt zu unterstützen. Jedes Kind erhält pro Jahr 120 Stunden Förderung. In Backnang kommt das Denkendorfer Modell aktuell in 14 Einrichtungen zum Einsatz.