Von Hans-Christoph Werner
BACKNANG. Verwendung von Kennzeichen verfassungsfeindlicher Organisationen und Körperverletzung werden dem 28-jährigen Angeklagten vorgeworfen. Der gebürtige Backnanger bejaht den Inhalt der Anklageschrift. In Steinheim, dem Wohnort des Angeklagten im Juni 2018, hätten sie vorgeglüht. Ein Kasten Bier. Für den Angeklagten und seinen Freund kein Problem. In guter Stimmung seien sie dann nach Backnang gefahren, auf das Straßenfest. Die Fußball-WM war zu jener Zeit in vollem Gange. Von den Einzelheiten des Abends weiß der Beschuldigte nicht mehr viel. Nur, dass sie weiter getrunken hätten. Dann habe er noch etwas Kokain geschnupft und Amphetamine genommen. Längst war der Sonntag angebrochen. In der Backnanger Innenstadt waren zu dieser Stunde noch andere Fußballfans unterwegs. Eine Gruppe sprach über den portugiesischen Spieler Ronaldo. Der bejuble seine Tore immer mit einem Zischlaut, auch nach einem „Siii“ klingend. Einer der Fußballfans machte das zur Erheiterung der anderen nach. Das wiederum muss dem Angeklagten zu Ohren gekommen sein. Er nimmt die Anregung auf und brüllt „Heil!“ in das nächtliche Dunkel. Und weil damit noch nicht genug, reckt er den rechten Arm nach oben und wiederholt „Sieg Heil!“. Die Ronaldo-Fans stellen ihn zur Rede. Nein, gibt der Angeredete an, er sei kein Nazi. Aber wenn er davon höre, wie in der Silvesternacht in Köln Flüchtlinge sich an Frauen heranmachen, werde er zum Nazi. Das muss die Ronaldo-Fans wohl amüsiert haben. Sie treiben das Spiel weiter. Einer der Beteiligten, mit dunklem Teint und schwarzen Haaren, behauptet, er sei auch Flüchtling. Und, so fährt er fort, er sei mit dem Boot gekommen. Wegen des Geldes und der Frauen in Deutschland. Das bringt den nun Angeklagten aus der Fassung. Er will auf den anderen losgehen. Einer der Fußballfans geht dazwischen – und muss seine gute Absicht bitter büßen. Der 28-Jährige versetzt ihm einen heftigen Schlag ins Gesicht und macht sich davon. Freunde des Geschlagenen helfen diesem, ins Krankenhaus zu kommen. Dort wird ein doppelter Kieferbruch diagnostiziert. Die Freunde helfen aber auch, den Täter zu ermitteln. Irgendwie haben sie in der eskalierenden Konversation mitbekommen, dass der Schläger aus Steinheim kommt. Dank Facebook finden sie dessen Profil in dem sozialen Netzwerk. Auf einem Foto erkennen sie den Angeklagten wieder.
Dass er in Steinheim über einer Kneipe gewohnt habe, hätte einen schlechten Einfluss auf ihn gehabt, so der Angeklagte. Nahezu täglich habe er mit einem Freund einen Kasten Bier geleert. Und Marihuana sei bei ihm schon seit dem 15. Lebensjahr dran gewesen. Immer, wenn er getrunken habe, gebe er Sachen von sich, die nüchtern nicht über seine Lippen kämen. Aber das sei jetzt anders. Seit zwei Monaten wohne er in Kernen-Rommelshausen. Sein Alkoholkonsum sei merklich zurückgegangen. Nach wie vor brauche er aber ungefähr fünf Joints am Tag. Marihuana helfe ihm, ruhiger zu werden. Sein bisheriger Lebensweg – kein Honigschlecken. Mit drei Jahren kam er ins Heim, weil die Mutter alkohol- und drogenabhängig, der Vater alkoholkrank ist. Vom Heim geht es zu Pflegeeltern, mit 14 Jahren erneut ins Heim. Die Hauptschule hat er wohl abgeschlossen, aber keine Berufsausbildung gemacht. Immer wieder hat er auch gearbeitet. Gegenwärtig lebe er von Hartz IV.
Die Staatsanwältin ist gnädig mit dem Angeklagten. Sie wertet den Umzug an den neuen Wohnort als Lebenswandel, stellt ihm eine positive Sozialprognose aus. Auch das Geständnis und die Entschuldigung gegenüber dem Geschädigten sprächen zu seinen Gunsten. Bei 22 Monaten Gefängnis auf Bewährung will sie’s belassen. Der Verteidiger nennt kein Strafmaß, wünscht sich nur, dass auf seinen Mandanten einwirke, dass etwa eine Drogentherapie zur verbindlichen Auflage gemacht werde.
Nach kurzer Beratungszeit das Urteil: 16 Monate Freiheitsstrafe. Der Richter hebt die Verletzungsfolgen des Geschädigten hervor. Und das Vorstrafenregister mit insgesamt 13 Eintragungen. Unmittelbar vor der Straßenfest-Tat habe der Angeklagte seine Bewährungszeit zweimal gebrochen. Um eine Freiheitsstrafe über einem Jahr zur Bewährung auszusetzen, müssten besondere Umstände vorliegen. Die könne er dem Angeklagten nicht attestieren. Wohl trinke er weniger, aber irgendwelche Bemühungen Richtung Drogentherapie seien nicht weiter gediehen, Gesprächstermine mit seinem Bewährungshelfer nicht wahrgenommen worden. Arbeitsauflagen von einer früheren Verurteilung seien nicht erfüllt. Nach wie vor nehme er Marihuana. Dies sei bitter für den Angeklagten. Aber, so der Richter, er könne nicht anders. Die rechtlichen Vorgaben müssten erfüllt sein.
Der Angeklagte nimmt’s gelassen. Scherzend steht er mit Freunden vor dem Amtsgericht. Das Stichwort, in Berufung zu gehen, fällt.