Das evangelische Kirchenparlament kippt das Verbot, gleichgeschlechtliche Paare in einem Gottesdienst öffentlich zu segnen. Die Erleichterung ist groß, aber der Frust auch.
Stuttgart Vor der Entscheidung wirft sich der Landesbischof noch einmal für die historische Reform in die Bresche. Eigentlich ist für die zweite Lesung eines Gesetzes gar keine Aussprache vorgesehen. Doch Frank Otfried July ergreift am Samstagmorgen trotzdem das Wort. Zu gut ist dem Theologen noch in Erinnerung, wie vor fast anderthalb Jahren ein ähnlicherGesetzentwurfin der Synode hauchdünn gescheitert war, weil die nötige Zweidrittelmehrheit nicht erreicht wurde. Nun kommt es auf jede Stimme an. Das weiß July, und er zieht alle Register. Er bittet, etwas für die gleichgeschlechtlich Liebenden zu tun, von denen sich viele bisher ausgegrenzt fühlten. Er mahnt, das Thema nicht zum Streit um das Bekenntnis ausarten zu lassen. Und er macht deutlich, dass die geplante Neuerung keineswegs auf eine völlige Gleichstellung von homosexueller und heterosexueller Ehe hinausläuft.
„Wir unterscheiden zwischen Trauung und Segnung“, schärft July ein. Er wirbt so bei den traditioneller gesinnten im evangelischen Kirchenparlament um Zustimmung. Tatsächlich ist der Entwurf im Vergleich zu 2017 so verändert worden, dass er manchen ihrer Bedenken Rechnung trägt. In einer Präambel steht, dass es bei dem Thema keine einheitliche Position in der Landeskirche gibt und dass die unterschiedlichen Überzeugungen gleichberechtigt sind. Vorerst soll die öffentliche Segnung nur in maximal einem Viertel der Gemeinden möglich sein. Die Hürde für ihre Einführung ist hoch. Eine Dreiviertelmehrheit im Kirchengemeinderat und unter den örtlichen Pfarrern ist nötig. Wegen dieser Hemmnisse klagt Marina Walz-Hildenbrand: Gleichgeschlechtliche Paare „werden wieder in ihrer Würde verletzt“. Die Reform bringe kein Ende der Diskriminierung. Ähnlich äußern sich viele aus dem Gesprächskreis Offene Kirche.
Doch auch aus der pietistisch geprägten Lebendigen Gemeinde kommt Widerspruch. „Wir tun mit diesem Gesetz unserer Landeskirche nichts Gutes“, sagt Michael Fritz. Philippus Maier meint gar: „Das Gesetz widerspricht dem Willen Gottes.“ Trotz der Kritik von fast allen Seiten reicht es am Ende: 65 von 90 Synodalen sagen Ja. Damit endet ein jahrelanger Streit zunächst. Hernach gibt Ralf Albrecht von der Lebendigen Gemeinde zu, dass das Ergebnis problematisch für viele Pietisten ist: „Dass die theologischen Unterschiede innerhalb der Kirche so groß sind, beschwert uns“, sagt er. Und Martin Plümicke von der Offenen Kirche kündigt an, dass seine Gruppe weiter eine Trauung für alle fordere. Andere aber sind erleichtert. Der Beschluss sei ein starkes Zeichen, dass die Kirche kompromissfähig sei, sagt Ernst-Wilhelm Gohl vom Gesprächskreis Evangelium und Kirche.