Die Strecke zwischen Sulzbach an der Murr und Spiegelberg ist bei Motorradfahrern ziemlich beliebt. Archivfoto: Alexander Becher
Von Lorena Greppo
und Annina Baur
Sulzbach an der Murr. Bei schönem Wetter sind sie häufig zu sehen: Motorradfahrer sind vor allem an Wochenenden und Feiertagen unterwegs. „Auf manchen Strecken sind es zeitweise sogar mehr Motorräder als Autos“, heißt es in einer Pressemitteilung des Verkehrsministeriums Baden-Württemberg. Das Problem hierbei: der Lärm. Eine neue und bislang einmalige Untersuchung des Verkehrsministeriums bringt wichtige Erkenntnisse zu besonders von Motorradlärm belasteten Strecken. Zu ihnen gehören im Rems-Murr-Kreis die L1066 zwischen Sulzbach an der Murr und Spiegelberg sowie die L1150 südlich von Welzheim. Ermittelt wurden die Lautstärke vorbeifahrender Fahrzeuge sowie deren Anzahl und die gefahrene Geschwindigkeit.
Auf der Strecke von Sulzbach nach Spiegelberg liegt das durchschnittliche Aufkommen an einem Werktag bei 94 Motorrädern, an einem Wochenendtag liegt der Wert hingegen bei 289. Das entspricht einem Faktor von 3,1. In Welzheim sind es werktags durchschnittlich 120 Motorräder, an den Wochenenden 318. Die reine Anzahl an Motorrädern ist jedoch nicht der Kern des Problems, vielmehr ist es deren Lautstärke.
Standortübergreifend zeigte sich bei der Untersuchung: Jedes dritte Motorrad ist beim Vorbeifahren lauter als 90 Dezibel, zeigen die Messungen, bei den Pkw seien es lediglich vier Prozent. 90 Dezibel – das ist in etwa so laut wie ein Presslufthammer oder eine Kreissäge. Gleichzeitig sind nur 13 Prozent der Motorräder leiser als 80 Dezibel, bei Autos sind dies immerhin 32 Prozent. „An vielen Strecken ist die Lärmbelastung durch Motorräder enorm“, lautet die Schlussfolgerung, zu der Elke Zimmer, Landtagsabgeordnete und Staatssekretärin im Verkehrsministerium, angesichts der Untersuchungen kommt. Das führe zwangsläufig zu Konflikten.
Zimmers Einschätzung zur Thematik offenbart ein grundsätzliches Problem und wartet mit deutlichen Worten auf. Sie erinnert an die vom Bundesrat am 15. Mai 2020 verabschiedeten Forderungen an EU, Bund und Hersteller, gegen unnötigen Motorradlärm vorzugehen – und sieht Parallelen zum Abgasskandal bei Diesel-Pkw: „Die vorgegebenen Grenzwerte werden zwar am Prüfstand eingehalten. Im Normalbetrieb auf der Straße sind Motorräder jedoch häufig lauter, und zwar zum Teil erheblich. Motorräder müssen leiser werden, unabhängig davon, wer sie wo fährt.“ Sie appelliert an die Motorradfahrer: „Eine rücksichtsvolle und leise Fahrweise ist im Interesse aller. Ich habe kein Verständnis, wenn Motorräder bewusst auf laut getrimmt werden. Lautes Fahren und unnötiges Hin- und Herfahren geht immer zulasten anderer.“
Das ist in Sulzbach längst bekannt. Bei Bürgermeister Dieter Zahn steht das Thema Motorradlärm schon seit mehr als 20 Jahren auf der Agenda. Schon viele Versuche wurden unternommen, um die Situation zu entschärfen. Nicht zuletzt ist die Gemeinde der Initiative „Motorradlärm“ beigetreten, um auf den Gesetzgeber einzuwirken. Für die Anwohner hat sich allerdings seither nicht viel verändert. Auch bei der Polizei ist die Problematik bekannt. Beschwerden wegen Lärmbelästigungen durch Motorräder würden immer wieder vorgebracht und durchaus ernstgenommen. Regelmäßig werde an bekannten Schwerpunkten kontrolliert – im Hinblick sowohl auf die Geschwindigkeit als auch auf technische Manipulationen an den Fahrzeugen.
„Es geht leiser und dann hätte auch niemand etwas dagegen“, sagt Holger Siegel. Er wohnt in Sulzbach und ist in mehrfacher Hinsicht betroffen: Einerseits ist er lärmgeplagter Anwohner, andererseits selbst Motorradfahrer, Vorsitzender der vereinigten Arbeitskreise gegen Motorradlärm und aktiv im Vorstand des Bundesverbands gegen Motorradlärm.
Er sieht einerseits die Motorradfahrer in der Pflicht: „Die Fahrweise spielt eine Rolle, man muss nicht jeden Gang ausfahren.“ Andererseits sei der Lärm natürlich auch vom Fahrzeug abhängig, und die Maschinen seien in den vergangenen Jahren immer lauter gemacht worden, weil dieser Sound bei vielen Bikern gut ankomme, ja als charakteristisch dazugehöre. „Im Fahrzeugbrief stehen dann 77 Dezibel. Auf der Straße sind es aber oft zehn mehr, was die Ohren als Verdopplung empfinden“, verdeutlicht Siegel. Er ist froh über die neuen Untersuchungsergebnisse. „Motorradlärm ist ein dickes Brett, in das nun ein Pflock gerammt wurde.“ Die Ergebnisse zeigten, dass es sich bei den zu lauten Maschinen nicht um einzelne Ausreißer handele. Entscheidend sei nun, was künftig konkret gegen den Lärm getan werde.
Messungen Um die Diskussion um den Motorradlärm zu versachlichen sind an zirka 100 Strecken in Baden-Württemberg in einem Zeitraum von jeweils rund 14 Tagen von Juni bis Oktober 2020 und von Mai bis September 2021 insgesamt 3,3 Millionen Fahrzeuge erfasst worden, darunter 2,94 Millionen Autos und 206000 Motorräder. Gemessen wurden die gefahrene Geschwindigkeit und der maximale Lärmpegel beim Vorbeifahren. Bislang gab es bundesweit keine umfangreichen Erhebungen zu Motorradlärm und Motorradaufkommen.
Sulzbacher Steige Wer sich in der Region etwas auskennt, der wird sich wahrscheinlich wundern, warum der B-14-Abschnitt zwischen Sulzbach und Großerlach nicht unter den untersuchten besonders von Motorradlärm belasteten Strecken zu finden ist. So ging es jedenfalls den Verwaltungen der beiden Gemeinden, wie der Sulzbacher Hauptamtsleiter Michael Heinrich berichtet. Eine Nachfrage diesbezüglich ergab, dass auch das Landratsamt weder an der Auswahl der Strecken beteiligt noch darüber in Kenntnis gesetzt worden war. Beim Ministerium seien weitere Informationen erfragt worden, heißt es von dort. Demnach wurden bei der Auswahl der Hotspots die Daten von 4363 verschiedenen Standorten der Jahre 2016 bis 2020 berücksichtigt. Zum Zeitpunkt der Auswahl stand die B14 Sulzbacher Steige offenbar noch nicht so sehr im Fokus. „Das Verkehrsministerium hat weiter mitgeteilt, dass die auf dieser Grundlage getroffene Auswahl keinesfalls eine erschöpfende Zusammenstellung der Motorradlärm-Hotspots in Baden-Württemberg darstellt.“
Runder Tisch Ein Pilotprojekt zu verkehrsrechtlichen Maßnahmen zur Minderung des Motorradlärms ist im Rems-Murr-Kreis gestartet: Es gab Anfang des Jahres einen runden Tisch mit den beteiligten Gemeinden, der Kreisverwaltung, dem Verkehrsministerium und dem Regierungspräsidium. Dabei wurde beschlossen, ein Gutachten erstellen zu lassen, welche Möglichkeiten gegen Motorradlärm und –raserei es noch gibt (wir berichteten). Dieses Frühjahr und diesen Sommer laufen umfangreiche Messungen an der B14, Sulzbacher Steige zwischen den Ortsdurchfahrten Sulzbach an der Murr und Großerlach, um die Situation präzise einschätzen zu können. „Ab Herbst wird ausgewertet und ein Gutachten mit möglichen Maßnahmen in Auftrag gegeben. Gegebenenfalls dann mit Umsetzung von Maßnahmen ab Frühjahr 2023“, lautet die Auskunft des Landratsamts.