Astronomie

Im jungen Kosmos existierte ein Zwilling der Milchstraße

Eigentlich dürfte es diese Galaxie gar nicht geben. Doch schon viel früher als gedacht entstanden im Kosmos stark ausgeprägte Sterneninseln. Die Entdeckung wirft Fragen zur Galaxienentwicklung auf.

Im jungen Kosmos existierte ein Zwilling der Milchstraße

Das Bild von Zhúlóng, der am weitesten entfernten Spiralgalaxie, die bisher entdeckt wurde. Sie weist bemerkenswert gut definierte Spiralarme, einen zentralen alten Bulge und eine große Sternentstehungsscheibe auf, die der Struktur der Milchstraße ähnelt.

Von Rainer Kayser (dpa)/Markus Brauer

Das Bild mag unscharf erscheinen, aber es liefert eine klare Erkenntnis: Bereits eine Milliarde Jahre nach dem Urknall gab es eine Spiralgalaxie, die unserer Milchstraße wie ein Zwilling ähnelt. Das zeigen jüngste Beobachtungen eines internationalen Forschungsteams mit dem James-Webb-Weltraumteleskop (JWST).

Das ist für die Himmelsforscher eine große Überraschung: Bislang gingen sie davon aus, dass die Entstehung solcher Spiralgalaxien mehrere Milliarden Jahre dauert. Die Entdeckung stelle daher die bisherige Vorstellung der Entstehung und Entwicklung großer Galaxien infrage, schreiben die Wissenschaftler im Fachjournal „Astronomy & Astrophysics“.

Galaxies exhibit a broad range of shapes and sizes, and among the most prominent types is the spiral galaxy A striking example is NGC 2985, which lies over 70 million light-years away in the constellation Ursa Major (the Great Bear) (Credit: ESA/Hubble & NASA, L. Ho) pic.twitter.com/gSVV8d7C25 — World and Science (@WorldAndScience) April 20, 2025

300 bis 500 Millionen Jahre nach dem Urknall

Zwar hat das vor drei Jahren in Betrieb genommene Weltraumteleskop James Webb schon viele Galaxien aufgespürt, die sich bereits 300 bis 500 Millionen Jahre nach der Entstehung des Kosmos vor 13,8 Milliarden Jahren gebildet hatten.

Doch dabei handelt es sich durchweg um kleine, unregelmäßig geformte Systeme. Nach den Vorstellungen der Astronomen entstehen aus diesen Zwerggalaxien im Laufe von Jahrmilliarden durch Zusammenstöße und Verschmelzungen immer größere Galaxien – und so schließlich auch die großen Spiralgalaxien wie unsere Milchstraße.

Durchmesser von etwa 60.000 Lichtjahren

Die Entdeckung einer voll ausgebildeten Spiralgalaxie bereits eine Milliarde Jahre nach dem Urknall kommt für die Forscher daher überraschend. Das nach einem Drachen der chinesischen Mythologie auf den Namen Zhulong getaufte System hat einen Durchmesser von etwa 60.000 Lichtjahren und enthält über 100 Milliarden Sterne – Werte, die durchaus mit unserer Milchstraße vergleichbar sind.

Und ganz ähnlich der Milchstraße zeigt Zhulong eine zentrale Verdickung aus älteren Sternen, umgeben von einer flachen Scheibe mit Spiralarmen, in der neue Sterne entstehen.

Wie konnte eine Spiralgalaxie so früh entstehen?

Das, so Mengyuan Xiao von der Universität Genf, werfe die Frage auf, wie eine so weit entwickelte und strukturierte Spiralgalaxie bereits zu so einer frühen Zeit der kosmischen Entwicklung entstehen konnte. Xiao und ihre Kollegen haben die ungewöhnliche Galaxie im Rahmen des sogenannten Panoramic Survey aufgespürt.

Dabei werden parallel zu anderen Beobachtungen des Webb-Teleskops zufällige Regionen des Himmels abgescannt. Auf diese Weise lassen sich bislang unbekannte Objekte im jungen Kosmos aufspüren.

„Diese Entdeckung zeigt das Potenzial solcher parallelen Beobachtungen zur Entdeckung seltener Himmelsobjekte“, betont Christina Williams, Chef-Wissenschaftlerin des Panoramic-Programms.

Herausforderung für bisherige kosmologischen Theorien

Solche Objekte stellen eine Herausforderung für die bisherigen Theorien zur Entstehung und Entwicklung von Galaxien dar. Xiao und ihre Kollegen hoffen, im Rahmen des Panoramic-Programms weitere entwickelte Galaxien im jungen Kosmos aufzuspüren.

Außerdem wollen sie mit dem Webb-Teleskop sowie der großen Radioteleskop-Anlage ALMA in Chile Zhulong genauer unter die Lupe nehmen, um so die Entstehungsgeschichte dieser Galaxie zu enträtseln.

Info: So ist die Milchstraße aufgebaut

Aufbau Das Milchstraßensystem hat die Form einer flachen Scheibe mit spiralförmigen Armen und einer Verdickung in der Mitte. Der Durchmesser dieser Scheibe beträgt etwa 120 000 Lichtjahre. Die Anzahl aller Sterne im Milchstraßensystem wird auf rund 200 Milliarden geschätzt.

Komponenten Wie alle Spiral- und Balkenspiralgalaxien besteht das Milchstraßensystem aus drei Komponenten: Bulge, Halo und Scheibe.

Bulge Der Kern besteht hauptsächlich aus älteren Sternen und enthält 33 Prozent der sichtbaren Materie.

Halo Der galaktische Außenbereich besteht aus weit verstreuten, älteren Sternen und Kugelsternhaufen, welche die Galaxie langsam umkreisen. Der Halo beinhaltet 1 Prozent der sichtbaren Materie, aber 95 Prozent der Dunklen Materie.

Dicke Scheibe Sie erstreckt sich bis zu einem Abstand von etwa 2500 Lichtjahren ober- und unterhalb der galaktischen Ebene, die vorwiegend ältere Sterne enthält.

Dünne Scheibe Sie enthält 65 Prozent der sichtbaren Masse der Galaxie, die dicke Scheibe nur 5 Prozent

Schwarzes Loch Im Zentrum der Milchstraße befindet sich – wie in wohl jeder Galaxie – ein supermassives Schwarzes Loch.

Bausteine Die Milchstraße ist am Nachthimmel sichtbar als unregelmäßig breites, schwach milchig-helles Band über dem Firmament. Eine 360-Grad-Panorama-Aufnahme des Sternenhimmels zeigt sie als Bogen. Tatsächlich ist die Milchstraße eine Scheibe, die aus circa 100 bis 400 Milliarden Sternen besteht. Vor rund 13 Milliarden Jahren bildete sich die Milchstraße durch die Verschmelzung mehrerer Vorgänger-Galaxien. Bis heute sind Sterne aus dieser ersten Frühzeit im Herze unserer Galaxie erhalten geblieben. Nach dieser Protophase kam es zu weiteren, mindestens zehn kleineren und fünf größeren Verschmelzungen mit angrenzenden Sternenansammlungen.