In der Papiertonne geht die Post ab

Sendungen landeten beim Altpapier – Postzustellerin zu Sozialstunden verurteilt

In der Papiertonne geht die Post ab

Von Hans-Christoph Werner

BACKNANG. Sie ist sichtlich aufgeregt. Und deutlich jünger würde man sie schätzen. Eine 23-jährige Postzustellerin aus Auenwald hat sich vor dem Amtsgericht wegen Verstoßes gegen das Post- und Fernmeldegeheimnis zu verantworten.

Jede Tat hat ihre Vorgeschichte. So auch diese. Im Juni 2017 hatte die junge Dame Streit mit ihrer Freundin. Sie hatte auf den Namen der anderen etwas bestellt, dann aber die Rechnung nicht bezahlt. Darauf zeigte die Freundin sie an. Die 23-Jährige hat sich die Sache sehr zu Herzen gehen lassen, musste mit Angstzuständen fertigwerden. Dann kam noch eine Magenschleimhautentzündung hinzu.

489 Briefe wanderten in den Papiermüll

Zur Arbeit ging sie trotzdem. 80 bis 100 Pakete habe sie jeden Tag zuzustellen. Ferner sechs bis acht Kisten Post. Die Sendungen in Oppenweiler und Burgstetten an den Mann oder Frau beziehungsweise in den Briefkasten zu bringen, schaffte sie allerdings nicht. Wohin damit? Papier zu Papier. 134 Briefsendungen und 489 Exemplare Dialogpost entsorgte die Angeklagte in ihrer Altpapiertonne. Über etwa vier Arbeitstage hinweg, so gibt sie dem Richter auf Nachfrage an, habe sich das bei ihr angesammelt. Einem Unbeteiligten, dem Vermieter der jungen Frau, fiel auf, dass offenbar der Briefkasten mit der Tonne verwechselt wurde. Er gab dem Arbeitgeber der jungen Frau Bescheid. Kurz darauf wühlten Arbeitskollegen in dem blauen Behältnis und retteten die Briefe. Von ihrem Dienstherrn erhielt die Postzustellerin die Kündigung.

Der Verteidiger erklärt anstelle der jungen Frau: „So war es.“ Die Stresssituation, in der sich seine Mandantin zum Zeitpunkt der Tat befand, erkläre wohl ihr Verhalten, entschuldige es aber nicht. Das Geschehene tue seiner Mandantin außerdem auch sehr leid. Der Richter konstruiert spontan zwei Beispiele, um zu erklären, wie wichtig ordnungsgemäß zugestellte Post sein kann. Durchaus, so gibt die Angeklagte an, sei ihr die Wichtigkeit ihres ehemaligen Berufes bewusst.

Die Vertreterin der Jugendgerichtshilfe weist darauf hin, dass sich die Tat der Angeklagten einen Monat vor deren 21. Geburtstag zutrug. Aber wie nun auch in der Verhandlung zu erleben, sei sie noch sehr unsicher. Sie plädiere deshalb für die Anwendung des Jugendstrafrechts. Auch habe die Angeklagte, auf Vorschlag der Jugendgerichtshilfe, Sozialstunden im Tierheim abgeleistet. Die Tat schreibe sie einer Überlastungssituation der Angeklagten zu.

Die Staatsanwältin pflichtet in ihrem Plädoyer der Jugendgerichtshilfe bei. Auch sie spricht sich für das Jugendstrafrecht aus. Zugunsten der 23-jährigen Angeklagten muss angeführt werden, dass sie die Tat eingeräumt und Reue gezeigt habe. Der Verteidiger der Angeklagten muss dem nicht mehr viel hinzufügen. Alle in der Papiertonne entsorgten Briefe konnten letztlich noch gerettet und den Empfängern zugestellt werden. Es ist somit allenfalls ein Verzögerungsschaden entstanden. Im Übrigen vertrete er seine Mandantin heute zum ersten Mal. Und er sei sich sicher, auch zum letzten Mal.

In dubio pro reo: 40 Stunden gemeinnützige Arbeit

Nach kurzer Beratungszeit urteilt der Jugendrichter: Das Vergehen wird mit der Auferlegung von 40 Stunden gemeinnütziger Arbeit geahndet. Die Sozialstunden, die die Beschuldigte schon geleistet hat, werden hierbei angerechnet. Zwar habe er mit sich gehadert, hätte er doch eher Erwachsenenstrafrecht angewendet. Die Angeklagte habe eine abgeschlossene Berufsausbildung, lebe mit ihrem Freund zusammen. Das spreche für Selbstständigkeit. Aber ganz nach dem Grundsatz „in dubio pro reo“ sei er dem Vorschlag der Staatsanwaltschaft gefolgt. Alle Beteiligten erklären sich mit dem Urteil einverstanden. Und nach 41 Minuten Verhandlungszeit kann der Fall zu den Akten gelegt werden.