„In Großstädten werden Mieter draufzahlen“

Mieterbund-Chef Lukas Siebenkotten fordert, die Umlegung der Grundsteuer nach der Reform der Abgabe zu untersagen

Von Thorsten Knuf

Interview - Lukas Siebenkotten, Direktor des Deutschen Mieterbundes, mahnt klarere gesetzliche Regeln bei Kündigungen wegen Eigenbedarfs an. Als Bundesbauminister hat sich Horst Seehofer (CSU) aus seiner Sicht bisher nicht mit Ruhm bekleckert.

Frage: Herr Siebenkotten, Finanzminister Olaf Scholz hat seine Planungen für den Bundeshaushalt vorgestellt. In den kommenden beiden Jahren will er den Ländern jeweils eine Milliarde Euro für den sozialen Wohnungsbau geben. Ist jetzt endlich eine Entspannung an den Wohnungsmärkten in Sicht?

Antwort: Davon sind wir leider weit entfernt. Nach unserer Berechnung müssten pro Jahr 80 000 bis 100 000 Sozialwohnungen gebaut ­werden, um den Bedarf an preiswertem Wohnraum zu decken. Tatsächlich sind zuletzt nur rund 26 000 Einheiten neu entstanden. Doppelt so viele fallen aber Jahr für Jahr aus der Sozialbindung, weil die Förderung der Objekte ausläuft. Unterm Strich gibt es damit immer weniger Sozialwoh­nungen. Ich würde mir wünschen, dass der Bund das Thema mal mit richtig Wumms angeht. Davon kann aber leider keine Rede sein.

Frage: Wie soll der Wumms aussehen?

Antwort: Für den sozialen Wohnungsbau müsste der Bund pro Jahr fünf Milliarden Euro bereitstellen. Und die Länder als die, die für den sozialen Wohnungsbau verantwortlich sind, müssten ihrerseits noch mal ordentlich Geld drauflegen. Und zwar abhängig vom jeweiligen Bedarf. In Ländern wie Baden-Württemberg oder Bayern, wo die Wohnungsmärkte vielerorts sehr eng sind, wird man ­sicher mehr tun müssen als in Sachsen-Anhalt, wo es viel Leerstand gibt. Es ist gut, dass gerade das Grundgesetz geändert worden ist und der Bund sich auch in Zukunft an der Förderung des sozialen Wohnungsbaus beteiligen kann. Die Zuständigkeit war bekanntlich im Zuge der Föderalismusreform an die Länder gegangen.Übergangsweise gibt der Bund noch Geld, jetzt kann er sich auch in Zukunft an der Finanzierung beteiligen.

Frage: Die große Koalition ist ein Jahr im Amt. Der ehemalige CSU-Chef Horst Seehofer hat sich ein Riesenministerium für Inneres, Heimat und Bau gesichert. Wie zufrieden sind Sie mit seiner Arbeit?

Antwort: Ich kann mich nur zum Bau äußern. Herr Seehofer hat im vergangenen Jahr seine Kämpfe mit der Kanzlerin und der eigenen Partei geführt. Er sollte jetzt wieder mehr Zeit für sein Regierungsamt haben. Um es sehr vorsichtig zu formulieren: Wir haben nicht den Eindruck, dass der Minister das Thema Bauen und Wohnen zu seinem Hauptarbeitsfeld erkoren hat. Dabei ist der Koalitionsvertrag in dieser Hinsicht eigentlich recht ambitioniert.

Frage: Inwiefern?

Antwort: Im Vertrag heißt es beispielsweise, dass im Laufe dieser Legislaturperiode 1,5 Millionen neue Wohnungen entstehen sollen. Angesichts der niedrigen Fertigstellungszahlen – im vergangenen Jahr waren es allerhöchstens 300 000 – dürfte das kaum noch zu schaffen sein. Eigentlich bräuchten wir so etwas wie eine Nationale Wohnbau-Offensive. Horst Seehofer hat im vergangenen Herbst einen Wohngipfel veranstaltet, bei dem aber im Grunde nichts rumgekommen ist. Dann gibt es noch das von der CSU durchgesetzte Baukindergeld, das wir für einen riesigen Flop halten. Das Instrument ist unglaublich teuer, treibt die Immobilienpreise weiter in die Höhe und ist weitgehend wirkungslos im Hinblick auf die explodierenden Mieten in den Städten.

Frage: Das Verfassungsgericht hat den Gesetzgeber verpflichtet, das Grundsteuersystem zu reformieren. Bund und Länder sind hier inzwischen recht weit. Trotz Widerstands aus Bayern zeichnet sich ein Modell ab, bei dem der Wert einer Immobilie bei der Steuerberechnung Berücksichtigung findet. Was kommt da auf die Mieter zu?

Antwort: Wir gehen davon aus, dass insbesondere in Großstädten mit Wohnungsmangel die ­Mieter eher draufzahlen werden. Nach den Eckpunkten, die derzeit diskutiert werden, läuft die Sache darauf hinaus, dass sowohl der Wert eines Grundstücks als auch des darauf befindlichen Gebäudes in allgemeiner Form in die Berechnung einfließen. Der Wert von Immobilien in den Metropolen ist nun einmal enorm. Und da Vermieter die Grundsteuer auf ihre Mieter umwälzen dürfen, werden viele Mieter vermutlich stärker zur Kasse gebeten. Wir wollen, dass der Gesetzgeber den Vermietern untersagt, die Grundsteuer umzulegen.

Frage: Der Bundesfinanzminister und seine Länderkollegen versprechen, dass die Grundsteuer­reform aufkommensneutral sein soll. Wie bisher soll die Steuer pro Jahr rund 14 Milliarden Euro Einnahmen bringen.

Antwort: Aufkommensneutral heißt nur, dass das bundesweite Steueraufkommen nicht ­steigen soll. Aber natürlich wird es Ver­schiebungen und damit Gewinner und ­Verlierer geben. Ob Kommunen das im ­Einzelfall über niedrigere Hebesätze ausgleichen, halte ich für fraglich. Das Aufkommen kann allenfalls zu einem bestimmten Zeitpunkt neutral gehalten werden. Am Tag danach sieht die Welt schon wieder ganz ­anders aus. Ich war selbst mal Bürgermeister und weiß ­daher: Die Kommunen neigen ­dazu, ihre Hebesätze nach oben zu verändern – dann, wenn es die Kassenlage erfordert.

Frage: Stellen Sie angesichts des massiven Wohnungsmangels in den Städten eigentlich fest, dass Vermieter ihren Mietern verstärkt wegen Eigenbedarfs kündigen?

Antwort: Ja, auf jeden Fall. Genau quantifizieren lässt sich das nicht. Aber wir haben entsprechende Rückmeldungen von den Mietervereinen und unserer Rechtsschutzversicherung. Hier macht sich tatsächlich das knappe Angebot an Wohnraum bemerkbar. Aber es gibt auch immer wieder Vermieter, die sich mit Eigenbedarfskündigungen in einem recht­lichen Graubereich bewegen und sich am Ende vor Gericht durchsetzen.

Frage: Können Sie ein Beispiel nennen?

Antwort: Legendär ist der Chefarzt aus Hannover, der eine Wohnung in Berlin besitzt und den Mieter wegen Eigenbedarfs vor die Tür setzte. Der Arzt wollte sich ein- bis zweimal im ­Monat in der Wohnung mit seiner in Berlin lebenden 13-jährigen Tochter treffen. Weder der Arzt noch die Tochter sollten in die Wohnung einziehen, es ging nur um den Treffpunkt. Oder: Ein in Österreich lebender Vermieter kündigte eine Wohnung in München. Er brauche sie als Zweiwohnung, er wolle wieder öfter am Kulturleben in der Landeshauptstadt teilnehmen.

Frage: Wie kommen solche Urteile zustande?

Antwort: Die Gesetzgebung in diesem Bereich ist zu ungenau. Sie müsste deutlich präzisiert und verschärft werden. Bisher steht im entsprechenden Paragrafen des Bürgerlichen Gesetzbuches: Der Vermieter kann ein Mietverhältnis ordentlich kündigen, wenn er ein berechtigtes Interesse an der Beendigung hat – und zwar insbesondere, wenn der Mieter seine Pflichten verletzt, der Vermieter die Räume für sich, seine Familienangehörigen oder Angehörige seines Haushalts benötigt oder wenn der Vermieter an einer angemessenen wirtschaftlichen Nutzung des Grundstücks gehindert wird.

Frage: Was ist daran problematisch?

Antwort: Es handelt sich um eine nicht abschließende Aufzählung, was wiederum dazu führt, dass Gerichte bei Prozessen einen sehr weiten Spielraum haben. Wir brauchen eine Klarstellung: Eigenbedarfskündigungen sollten nur möglich sein, wenn der Eigentümer selbst oder Verwandte ersten Grades die Wohnung dauerhaft beziehen sollen – und nicht nur ab und zu mal nutzen.