„Irgendwann“ reicht nicht mehr

Die Backnangerin Juliana Eusebi ist mit 21 Jahren die jüngste Kreisrätin – „Fridays for Future“ kommt in der Kommunalpolitik an

Sie ist die jüngste Kreisrätin im Rems-Murr-Kreis: Juliana Eusebi, Grüne, 21. In den Backnanger Gemeinderat wurde die Studentin auch gewählt. Die Generation „Fridays for Future“ kommt in der Kommunalpolitik an.

„Irgendwann“ reicht nicht mehr

Steht für das Erwachen der jungen Generation: Juliana Eusebi. Foto: G. Schneider

Von Peter Schwarz

BACKNANG. Klar, sie wird nicht gleich die Kreistagswelt verändern, sie ahnt, was manche Alten denken: „Du hast Ideen? Schön, dann mach mal, bring dich ein – und krieg mit, wie es in Wirklichkeit funktioniert.“ Nun ja.

Sie mag jung sein – eine Anfängerin ist sie nicht: Juliana Eusebi war Schülersprecherin an der Maria-Merian-Schule, Mitglied im Landesschulbeirat, Jugendvertreterin in Backnang. Niemand muss ihr erklären, dass zur Politik auch gehört, stundenlang in Gremien zu debattieren und manchmal ohne Ergebnis auseinanderzugehen. „Es wäre naiv, wenn ich denken würde, dass alles sofort funktioniert.“ Kein Problem. „Meine Mum ist in der CDU. Ich habe sie oft zugelabert mit meiner Meinung, sie hat mich mit ihrer Meinung zugelabert. Die schönsten Diskussionen sind doch die, bei denen man auch Gegenwind bekommt.“

Eine so junge Kreisrätin: Vor Jahren hätte man das als nettes Kuriosum verbucht. Aber wir schreiben 2019, und da liegt es nahe, Juliana Eusebi auch als Symbolfigur wahrzunehmen für eine Generation, die entdeckt, dass sie Einfluss nehmen kann.

Als die „Fridays for Future“-Demos begannen, dachten viele Politroutiniers zunächst, sie könnten das lässig abbürsten: gönnerhaft, hochnäsig, altväterlich, autoritär. Christian Lindner sagte, die Kinder sollen zur Schule gehen, Klimaschutz sei „eine Sache für Profis“. Tja. Dann meldeten sich die wahren Profis – die „Scientists for Future“ erklärten mit Stapeln von wissenschaftlichen Belegen: Die Jungen haben recht.

Wissenschaftliche Belege wider hochnäsige Gönnerhaftigkeit

Es folgte das Video des YouTubers Rezo: handwerklich fulminant, brutal gründlich recherchiert. Die Reaktionen des sogenannten erwachsenen Politbetriebs waren mitleiderregend, die Alten sahen schon wieder – nun ja – alt aus. „Respekt, dass er so ein Ding rausgehauen hat“, sagt Eusebi über Rezo, aber das politische Interesse bei der Jugend habe er nicht erfunden. „Das gibt es schon lang.“ Nur blieben all die Online-Diskussionen lange unterm Radar der Erwachsenen. „Mit ,Fridays for Future‘ ist das Ganze auf die Straße gekommen.“

Als Eusebi das erste Mal bei einer der Demos war, hatte sie „so eine Gänsehaut“. Der Redner vorne habe nicht einfach gegen „die Politik“ gewettert, das war kein „Schreien gegen irgendwen“. Er begann mit der dringlichen Frage: Und wie lebst du?

Jeder trägt seine Widersprüche in sich. „Ich esse Fleisch“, sagt Juliana Eusebi, sie ist nur „Teilzeit-Veganerin, Teilzeit-Vegetarierin“. Manchmal werde sie böse kritisiert dafür. Aber sie versuche zumindest, „den Alltag Stück für Stück umzugestalten“: in den Urlaub mit dem Reisebus fahren; für den Weg zur Uni öffentliche Verkehrsmittel nutzen. Wenn Juliana Eusebi so erzählt, entfaltet sich en passant das doppelte Wesen jeder glaubwürdigen Politik: Das große Ganze und das eigene Leben schlagen Funken aneinander – es geht darum, Strukturen zu verändern; und sich selbst dabei nicht auszusparen.

„Unser westlicher Lebensstil ist in vielen Punkten das Gegenteil von nachhaltig.“ Warum zum Beispiel kaufen wir im Supermarkt Obst, das um die halbe Welt geflogen ist? Sicher, frische regionale Ware auf dem Wochenmarkt kostet etwas mehr – dafür fällt die Versuchung weg, nebenbei noch „jeden Scheiß in den Einkaufskorb zu werfen“. Und warum schaffen wir es nicht, den öffentlichen Nahverkehr noch attraktiver zu gestalten?

Juliana Eusebi ist querschnittsgelähmt, seit sie mit neun Jahren einen Rückenmarksinfarkt erlitt, eine extrem seltene Erkrankung. „Ich wurde schon mal nachts nicht mitgenommen vom Bus.“ Sie saß im Rollstuhl an der Haltestelle, wollte rein, der Fahrer raunzte sie an: „Sie sehen doch, dass da Stufen sind!“ Die Tür schloss sich. Abfahrt. „Wow, das war sehr direkt. Und Tschüss.“ Die neuen Busse sind barrierefrei: „Gut!“ An vielen Bahnhöfen aber sind immer noch Stufen zu überwinden.

Zwischen Abi und Studienbeginn hat Juliana Eusebi Bundesfreiwilligendienst in der Stabsstelle Integration der Stadt Winnenden geleistet und geholfen, eine große gesellschaftliche Aufgabe handfest im Alltag zu meistern: Koordination der Flüchtlingsarbeit, Hilfe bei Wohnungs- und Arbeitssuche. Im Zeitungsgespräch sagte sie damals: „Es ist was Tolles, wenn man sieht, was sich alles entwickelt, wie die Leute immer besser Deutsch sprechen. Es ist auch beeindruckend, wie viele Leute herkommen und Hilfe anbieten. Und ich find’s schön, zu erleben, wie man Strukturen weiterbaut, die den Menschen helfen.“

Sie studiert Ernährungswissenschaften in Hohenheim und ist „sehr naturwissenschaftlich interessiert“, deshalb liegt ihr die argumentative Position von „Fridays for Future“ so nahe: Die Bewegung nimmt den aktuellen Forschungsstand zum Klimawandel radikal ernst.

Wenn die Demonstranten sagen, dass „jetzt“ etwas passieren muss, dann hat das nichts mit jugendlichem Ungestüm zu tun, sondern mit Fakten: „Irgendwann“ reicht nicht mehr. Beim Klima ist ein irreversibler Wandel im Gange, man könne Tabellen hinlegen und die dramatische Dynamik daraus ablesen.

Wie nachhaltig ist das Erwachen der jungen Generation? Ach, „Fridays for Future“, das wächst sich aus, spötteln manche Alten. Eusebi beobachtet anderes: „Da steckt viel Kraft dahinter.“ Die Bewegung ist kampagnenfähig und gut vernetzt, auf WhatsApp bilden sich Planungs- und Diskussionsgruppen, lokale, regionale, thematische – „wie Ausschüsse“, nur digital. An Universitäten gründen sich „Students for Future“-Gruppen. Und manche ihrer Bekannten, erzählt Juliana Eusebi, kennen neuerdings gar die Namen von Ministern.

Aber könnte es nicht doch geschehen, dass ihre Zeit in Gemeinderat und Kreistag eine große Ernüchterung wird? Juliana Eusebi lacht. „Vielleicht hasse ich ja alle in fünf Jahren. Aber jetzt noch nicht.“ Sie trete nicht an mit einer Antihaltung gegenüber Menschen anderer Parteien: „Ich möchte in fünf Jahren sagen können, dass ich mir Sachen angehört habe, dass man mir zugehört hat – und dass was passiert ist.“