In diesem Jahr hatten Ausbildungssuchende eine komfortable Situation. Symbolfoto: Handwerkskammer Stuttgart/H. Harnack
Von Florian Muhl
Rems-Murr. Die gute Nachricht zuerst: Wer jetzt noch keinen Ausbildungsplatz fürs Ausbildungsjahr 2021/2022 gefunden hat, ist zwar spät dran, aber es ist noch nicht zu spät. Noch immer gibt es Betriebe, die offene Stellen zu bieten haben. „Das ist mir eine ganz wichtige Botschaft, dass es möglich ist, auch nach dem offiziellen Ausbildungsbeginn noch eine Ausbildungsstelle zu besetzen“, sagte gestern Christine Käferle bei der Vorstellung der Ausbildungsmarktbilanz 2021/2022 im Rems-Murr-Kreis. „Man kann sagen, im Regelfall tragen die Kammern so bis zum Jahresende noch Ausbildungsverträge ein, das ist aber keine Ausschlussfrist“, so die Leiterin der Arbeitsagentur Waiblingen weiter. Von den aus dem Landkreis gemeldeten Ausbildungsstellen waren zum Ausbildungsstart im September noch 357 Stellen (13,5 Prozent) unbesetzt. „Viele Unternehmen suchen händeringend nach qualifiziertem Personal“, weiß Käferle.
Bereits im zweiten Jahr ist der Ausbildungsmarkt im Kreis deutlich geprägt durch die Auswirkungen der Coronakrise, stellte Käferle beim Blick auf das abgeschlossene Ausbildungsjahr fest. Hätten sich 2019 noch 3220 junge Menschen wegen einer Ausbildungsstelle an die Agentur für Arbeit gewandt, waren es 2020 nur noch 2970 und damit 7,7 Prozent weniger. Einen erneuten Rückgang um 8,7 Prozent hat es dann in diesem Jahr gegeben. Bis zum September hätten nur 2720 junge Menschen mit einem Vermittlungswunsch bei der Waiblinger Agentur angeklopft. „Man merkt, dass junge Menschen in der Pandemiephase ein wenig passiver unterwegs waren, also sich nicht so häufig als Bewerber bei uns gemeldet haben, als es in den Vorjahren der Fall war.“ Das habe vielfältige Ursachen. Neben Unsicherheiten nannte Käferle auch die Tatsache, dass vieles, was in der Vorbereitung zur Berufswahl normalerweise stattfände, wegen geschlossener Schulen unter den Tisch gefallen sei. „Was für die jungen Menschen ein ganz starker Einschnitt war, war der Umstand, dass nur wenige Betriebspraktika möglich waren, was ja doch immer so ein wichtiges, persönliches Erleben für die Berufswahlentscheidung ist“, so die Vorsitzende der Geschäftsführung. Auch die Berufsberater und Beraterinnen der Arbeitsagentur hätten nicht so oft an den Schulen sein können, wie sie das üblicherweise tun würden.
Ein etwas anderes Bild ergibt sich beim Blick auf die gemeldeten Ausbildungsstellen im selben Zeitraum. Die haben im Kreis von 2740 vor zwei Jahren um 5,3 Prozent auf 2880 im vergangenen Jahr zugenommen und haben sich dann wieder rückläufig gezeigt, indem sie um 8,2 Prozent auf 2650 Stellen abgenommen haben. Wie die Agenturchefin sagte, hätten etwa die Hälfte der jungen Bewerber, die sich gemeldet hätten, tatsächlich auch eine Ausbildung begonnen. Etwas mehr als 20 Prozent der Bewerber, die sich bei der Agentur wieder abgemeldet haben, würden jetzt eine weitere Schule besuchen oder hätten mit einem Studium oder Praktikum begonnen. Ein weiterer geringer Teil hätte auch eine Arbeit aufgenommen oder hätte sich zu einem Freiwilligen Sozialen Jahr entschlossen oder würde auch weitere Fördermaßnahmen besuchen. 66 junge Frauen und Männer seien unversorgt, hätten bis Ende September keinen Ausbildungsplatz erhalten und hätten demnach noch keine feste Perspektive, wie es weitergeht. Da bleibe die Arbeitsagentur aber am Ball. „Mit den jungen Menschen arbeiten die Berufsberater jetzt immer noch sehr intensiv daran, entweder dass sie noch eine Ausbildungsstelle finden oder dass man schaut: Was kann man Sinnvolles in der Berufsvorbereitung machen, um im nächsten Jahr dann starten zu können“, so Käferle. Aber dann gebe es auch noch eine Dunkelziffer. „Wir haben über 400 junge Menschen, von denen wir nicht wissen, was sie im Moment tun“, bekannte die Agenturchefin. Die hätten sich nicht abgemeldet und würden auch nicht auf Nachfragen reagieren, weder per E-Mail noch per Telefon, seien auch über einen längeren Zeitraum nicht erreichbar. „Das ist eine Gruppe, um die wir uns viele Gedanken machen, die aber leider überhaupt nicht reagieren, wo wir keinen Kontakt kriegen.“
Bei den Top Ten der beliebtesten und angesagtesten Berufe hat sich kaum etwas geändert. Bewegung hat es nur in der Rangfolge gegeben. Angeführt wir die Beliebtheitsliste vom Kaufmann/der Kauffrau für Büromanagement und Einzelhandel, gefolgt vom Kfz-Mechatroniker und dem Verkäufer/der Verkäuferin. Neu in den Top Ten der gemeldeten Ausbildungsstellen ist der Beruf der/des medizinischen Fachangestellten. Herausgefallen dafür sind die Bankkaufleute. Für Käferle keine Überraschung: „Ich denke, das ist ganz nachvollziehbar durch die Veränderungen in der Branche, durch die Steigerung der Digitalisierung und auch durch Schließung vieler Filialen und Personalabbau im Banksektor.“
Während im Ausbildungsjahr 2021/2022 im Rems-Murr-Kreis rund ein Ausbildungssuchender auf eine Ausbildungsstelle traf, lag die Stellen-Bewerber-Relation in Stuttgart und den Nachbarkreisen bei 1,3 bis 1,5. Das heißt, es waren mehr Stellen zur Verfügung als Bewerber. „Wir sehen, es gibt in der Region deutlich mehr Ausbildungsstellen als junge Menschen, die eine Ausbildung suchen. Deswegen mache ich mir persönlich auch keine Sorgen, dass es im Rems-Murr-Kreis ein bisschen anders ist, dass wir hier einen kleinen Bewerberüberhang im Vergleich zu den Stellen haben, denn unsere jungen Menschen sind auch ganz stark insbesondere nach Stuttgart orientiert“, weiß Käferle. In der gesamten Region Stuttgart standen den Jugendlichen für ihren ersten Schritt ins Berufsleben insgesamt über 16600 gemeldete Ausbildungsstellen zur Verfügung.
Auch wenn die Nachvermittlung noch in vollem Gange ist, arbeiten die Vermittlungs- und Beratungsfachkräfte der Agentur für Arbeit schon an der Stellenbesetzung für das aktuell angelaufene Ausbildungsjahr. Für den Ausbildungsbeginn im September 2022 sind kreisweit bereits 785 freie Ausbildungsstellen gemeldet worden. Käferle rechnet damit, dass die Konkurrenzsituation auf dem Ausbildungsmarkt im kommenden Jahr deutlich anziehen wird, weil dann auch junge Menschen suchen würden, die bereits 2020 und 2021 hätten starten können. „Warten Sie daher nicht ab, sondern nutzen Sie die Chance in diesem Jahr“, lautet ihr Appell. Denn mit einem Blick auf die Arbeitslosigkeit im Kreis sagte die Agenturchefin: „Man sieht immer wieder: Der beste Schutz vor Arbeitslosigkeit ist eben ein Berufsabschluss.“
„Es gibt in der Region deutlich mehr Ausbildungsstellen als junge Menschen, die eine Ausbildung suchen.“
Internetplattformen Die Bundesagentur für Arbeit bietet zur Orientierung zahlreiche Selbstinformationsangebote, beispielsweise die Plattformen planet-beruf.de und abi.de. Das Online-Selbsterkundungstool Check-U (check-u.de)zeigt auf, welche Ausbildung oder welches Studium zu den persönlichen Stärken und Interessen passt. Zudem gibt es die Online-Messe „Fokus Beruf“ (messe-fokus-beruf.de). Dabei handelt es sich um ein Angebot der Partner im Rems-Murr-Kreis.
Gesprächsangebote Am meisten hilft laut Christine Käferle erfahrungsgemäß noch immer das persönliche Gespräch. Die Berufsberatung der Agentur für Arbeit berät umfassend zu den zahlreichen Ausbildungsmöglichkeiten. Ratsuchende können die Berufsberaterinnen und Berufsberater der Agentur für Arbeit Waiblingen über den BiZ-Call unter der Telefonnummer 07151/919902 oder auch per E-Mail unter Waiblingen.Berufsberatung@arbeitsagentur.de erreichen.
Begleitung „Sollten Anlaufschwierigkeiten bestehen oder während der Ausbildung Probleme auftreten, können wir ebenfalls helfen“, betont Käferle. Sie verweist unter anderem auf das umfangreiche Unterstützungsangebot, welches die assistierte Ausbildung (AsA) sowohl für die Azubis als auch für die Ausbildungsbetriebe bietet. Zudem gibt es die Einstiegsqualifizierung (EQ). Diese umfasst ein Langzeitpraktikum zwischen sechs und zwölf Monaten mit Taschengeld.