Angetrieben wurde die Kirchenkirnberger Mühle früher von mehreren kleineren Bächen, dem Glattenzainbach, dem Geistlochbach und dem Kirnbach. Allerdings hat das Wasser nicht immer ausgereicht, weshalb auch ein ganzes Arsenal an Stauseen angelegt wurde – fünf an der Zahl. Neben dem Herrensee bei Eichenkirnberg wurde auch ein Teil des späteren Hofbereichs als Wasserspeicher genutzt. Archivfoto: E. Klaper
Von Christine Schick
Rems-Murr. Auch Gerhard Fritz hat dieser Tage besagte Pläne mitverfolgt. Allerdings wundert er sich, dass, nachdem vor allem Solar- und Windkraft ausgebaut werden sollen, die Wasserkraft in der Diskussion völlig untergeht. Dazu muss man wissen, dass der Historiker, der lange Zeit an der Pädagogischen Hochschule Schwäbisch Gmünd gelehrt hat und dort trotz Ruhestands auch noch aktiv ist, den sogenannten Mühlenatlas Baden-Württemberg herausgegeben hat, der eigentlich Wasserkraftatlas heißen sollte. „Man hat im 19. und frühen 20. Jahrhundert an unglaublich vielen Stellen auch des Rems-Murr-Kreises Wasserkraft genutzt, heute dagegen fast nirgendwo mehr“, stellt er fest. Und: „Auch wenn man mit dem an den einzelnen Turbinen und meist noch seltener genutzten Wasserrädern erzeugten Strom jeweils nur ein paar Haushalte versorgen könnte, wäre das doch besser als nichts. Kleinvieh macht auch Mist, also Klein- und Kleinstkraftwerke erzeugen auch Strom.“ Der Mühlenatlas ist in den 1990er-Jahren entstanden, dokumentiert in sechs Bänden ehemalige und noch vorhandene Standorte, wobei Gerhard Fritz logischerweise vor allem die historischen Aspekte in den Blick nimmt.
Der Höhepunkt der Wasserkraftnutzung war zwischen 1850 und 1860
An Murr und Rems reihten sich damals die Mühlen wie Perlenketten auf, so Fritz. Den Höhepunkt der Wasserkraftnutzung verortet er in den Jahren 1850 bis 1860. Davon zeugen die vielen verschiedenen Mühlentypen. Neben der vielleicht bekanntesten Form der Getreidemühle wurde die Technik auch dazu genutzt, um vieles andere zu verarbeiten oder herzustellen, beispielsweise in einer Ölmühle, Lohmühle (Gerbmittel), Walkmühle (Textilien/Leder), Sägemühle, Schleifmühle oder Gipsmühle. Die beginnende Industrialisierung Ende des 19. Jahrhunderts leitete eine Wende ein. Einen weiteren harten Einschnitt bedeutete 1957 das sogenannte Mühlenstilllegungsgesetz (eigentlich: Gesetz über die Errichtung, Inbetriebnahme, Verlegung, Erweiterung und Finanzierung der Stilllegung von Mühlen), mit dem man Mühlen- und Triebwerksbesitzern den Ausstieg aus der Wasserkraft versüßen wollte, so Gerhard Fritz. Dahinter standen für ihn die Interessen der Energiewirtschaft. Es war eine Zeit, in der man auf Groß-, nicht auf Kleinkraftwerke gesetzt habe. Es folgte eine massenhafte Stilllegung, die als das große Mühlensterben in die Geschichte eingehen sollte. Und für diejenigen, die noch weitergemacht, ihr Wasserrecht nicht abgegeben und Strom beispielsweise über einen Generator eingespeist haben, sei die Vergütung alles andere als ein Anreiz gewesen.
Eine Trendwende zeichnete sich in den späten 1980er- und frühen 1990er-Jahren ab, in denen die Ökologiebewegung stärker wurde. Mittlerweile ist die Notwendigkeit, auch in der Energieproduktion eine Transformation im Sinne des Klimaschutzes zu schultern, offensichtlich. Insofern fragt sich Fritz, ob die Wasserkraftnutzung auch ganz konkret im Rems-Murr-Kreis mit seinen unzähligen Mühlen- und Wehrstandorten nicht helfen könnte. Er weiß um einzelne Probleme von Wiedereinsteigern, beispielsweise als nach einer längeren Stilllegungsphase der Mühlkanal undicht war und Wasser verlor. Die Entscheidung, ihn nicht für viel Geld zu sanieren, war in diesem Fall die richtige, da Sinkstoffe ihn später wieder auf natürliche Weise abdichteten. Bewusst ist ihm genauso, dass das Terrain ein ähnliches Spannungsfeld wie die Windkraft mit sich bringt, und die europäische Wasserrahmenrichtlinie die Berücksichtigung ökologischer Aspekte wie Gewährleistung von Fischwanderungen bedeutet, die der Nutzung entgegenstehen können. Auf einer Tagung 2021 sei der Konflikt zwischen Natur- beziehungsweise Tierschutz und ökologischer Stromerzeugung durch Wasserkraft sehr deutlich in der Diskussion zutage getreten. Gleichsam plädiert er dafür, die Standorte genau zu betrachten. Im Kreis gebe es Beispiele, in denen neben Flüssen und Bächen auch Schwellseen erschlossen wurden, um die Wasserkraft punktuell, gezielt und jenseits eines stärkeren Gefälles zu nutzen. Der Mühlenatlas könne in dieser Hinsicht als Recherchehilfe dienen.
Das dürfte auch das Landratsamt beziehungsweise das Team des Amts für Umweltschutz so sehen, das ihn explizit als erste Orientierungshilfe nennt. Dort sind über 250 Mühlen verzeichnet, die in ihren unterschiedlichen Typen oder später zur Stromerzeugung genutzt wurden. Viele von ihnen sind heute als Kulturdenkmale geschützt und können entlang der historischen Mühlenwanderwege im Landkreis teils auch besichtigt werden.
Zur Lage der Wasserkraftnutzung sagt das Amt: „Aktuell sind nach unserem Kenntnisstand 28 Wasserkraftanlagen im Landkreis in Betrieb. Der Schwerpunkt der Wasserkraftnutzung liegt dabei an der Rems, in geringerem Umfang auch an der Murr. Aber auch an zahlreichen kleineren Gewässern sind noch Anlagen vorhanden.“ Was den Umfang der Projekte anbelangt, so sind im Rems-Murr-Kreis ausschließlich Anlagen der sogenannten kleinen Wasserkraft vorhanden, das heißt mit einer elektrischen Leistung von weniger als einem Megawatt. Größere Projekte dieser Kategorie mit einer Leistung von mehr als 100 Kilowatt finden sich vor allem an der Rems, da dort ein höherer Abfluss genutzt werden kann. Es sind nur fünf Wasserkraftanlagen im Kreis, welche diese Schwelle überschreiten (Ausbauleistung von mehr als 100 Kilowatt). Insgesamt liegt die Leistung für den Kreis bei rund 1500 Kilowatt. Zur groben Einordnung: Ein Windrad in den 1990ern brachte im Schnitt eine Leistung von maximal 600 Kilowatt, heute sind es 7,5 Megawatt.
Generell stellt das Amt für Umweltschutz fest, dass die Nutzung der Wasserkraft als Baustein zur dezentralen Stromversorgung für die Energiewende erhalten werden soll und die Möglichkeiten vor allem in den naturräumlichen Ausgangsbedingungen wie Abflussmengen und Topografie zu sehen sind. Gleichzeitig gelte es, gewässerökologische Verbesserungen im Rahmen der europäischen Wasserrahmenrichtlinie und des Wasserhaushaltsgesetzes umzusetzen – insbesondere die ökologische Durchgängigkeit an den Wasserkraftanlagen (beispielsweise für Fischwanderungen und -migration). Was das Potenzial der Wasserkraftnutzung im Kreis anbelangt, so verweist das Amt auf die Untersuchung des Landes Baden-Württemberg 2015/16, deren Ergebnisse in den Energieatlas eingeflossen sind. „Für die meisten Standorte im Rems-Murr-Kreis wurde dabei im Hinblick auf die geschätzte Wirtschaftlichkeit nur grenzwertiges Potenzial ermittelt“, so die Einschätzung.
Konfliktlinie Im Energieatlas heißt es: Wasserkraft ist derzeit eine der bedeutendsten erneuerbaren Energiequellen in Baden-Württemberg (2019: 8,2 Prozent der Bruttostromerzeugung). Da die Wasserkraftnutzung jedoch aus ökologischer Sicht eine erhebliche Beeinträchtigung vieler Fließgewässer zur Folge haben kann, können insbesondere bei der Nutzung der sogenannten „kleinen Wasserkraft“ (Anlagen bis ein Megawatt Leistung) Konflikte mit dem Gewässerschutz oder auch der Fischerei entstehen. Aufgabe des Landes ist es, beide Zielsetzungen – Ausbau der erneuerbaren Energien einerseits und gewässerökologische Verbesserungen im Sinne der europäische Wasserrahmenrichtlinie andererseits – so weit wie möglich in Einklang zu bringen.
Studie und Bewertung Von 2015 bis 2016 wurde das Potenzial der Wasserkraft an Standorten bis ein Megawatt für die Einzugsgebiete Neckar, Donau, Hochrhein, Bodensee/Alpenrhein, Main und Oberrhein systematisch untersucht, ausgenommen des Mains und des Hoch- und Oberrheins selbst sowie des schiffbaren Neckarabschnitts zwischen Plochingen und Mannheim. Die Wasserkraftanlagen am Main, Hoch- und Oberrhein und am schiffbaren Neckar haben durchweg eine Leistung von mehr als einem Megawatt. Die Bewertung der Standorte erfolgte in drei Stufen. Von der Potenzialberechnung ausgeschlossen sind Bauwerke, deren Nettofallhöhe weniger als 0,3 Meter beträgt, da Wasserkraftanlagen bei derartig geringen Fallhöhen als technisch und ökonomisch nicht machbar einzuschätzen sind. Lag das technische Potenzial unter acht Kilowatt, wurde der Standort von der weiteren Betrachtung ausgeschlossen. Anhand von Betriebsstatus und Kraftwerkstyp erfolgte eine Abschätzung der zum Ausbau notwendigen Kosten (inklusive Fischaufstiegs-, Fischschutz- und Fischabstiegsanlagen) sowie eine Abschätzung der Mehrerlöse aus zusätzlicher Jahresarbeit. Alle Standorte mit einer Amortisationszeit von mehr als 35 Jahren wurden nicht weiter betrachtet. Später flossen auch die Stromgestehungskosten (Umwandlung) mit ein. Weitere Infos im Netz unter www.energieatlas-bw.de/wasser.