dpa Ulm. Diese Opfer werden nicht in den Zeugenstand gerufen. Was sie über ihre Vergewaltigung sagen würden, könnte angezweifelt werden. Sie sind schwer demenzkrank. Reichen Videos der Taten als Beweis?
Ein Schild weist auf das Landgericht Ulm hin. Foto: Stefan Puchner/Archivbild
Eine Altenpflegerin soll zwei Seniorinnen sexuell missbraucht und dabei Videoaufnahmen gemacht haben, seit Montag steht die Frau vor dem Landgericht Ulm. Die Staatsanwaltschaft wirft der 47-Jährigen vor, die beiden schwer demenzkranken Frauen im Intimbereich berührt zu haben und mit Fingern in ihre Körper eingedrungen zu sein, ohne dass es dafür irgendeine medizinische oder anderweitige Notwendigkeit gab.
Weil die Opfer aufgrund ihrer Demenz völlig hilflos gewesen seien, müssten die zwischen August und Oktober 2017 in einem Heim im Landkreis Göppingen begangenen Taten als Vergewaltigungen eingestuft werden, erklärte die Anklagebehörde. Eine der wehrlosen alten Frauen soll hörbar über Schmerzen geklagt haben.
Laut Anklage soll die deutsche Beschuldigte die sexuellen Handlungen aus nächster Nähe mit ihrem Handy gefilmt haben. In vier weiteren Fällen soll die Frau, die ihren Beruf auf Fragen des Richters mit „Fachkraft für Altenpflege“ angab, in vier weiteren Fällen Fotos und Videos von nackten Heimbewohnern gemacht haben. Die Aufnahmen soll sie an einen Mann geschickt, den sie einem Internet-Chat kennengelernt hatte. Außerdem ist die Frau in mehreren Fällen wegen des Erwerbs kinderpornografischer Erzeugnisse angeklagt.
Die in Untersuchungshaft sitzende Angeklagte hatte sich bis zur Eröffnung der Hauptverhandlung nicht zu den Vorwürfen geäußert. Vor der Großen Strafkammer des Landgerichts tat sie dies zwar, jedoch blieb unklar, was sie konkret sagte: „Eine nähere Einordnung ihrer Äußerung kann die Kammer erst nach Abschluss der Beweisaufnahme vornehmen“, teilte Gerichtssprecher Alexander Spengler lediglich mit.
Das Landgericht hatte die Öffentlichkeit - und damit auch die Presse - unmittelbar nach Verlesung der Anklageschrift von der weiteren Verhandlung ausgeschlossen. Es gab damit einem Antrag der Verteidigung statt. Der Gerichtssprecher verwies darauf, dass die Angeklagte Anspruch auf Schutz ihrer Intimsphäre habe. (Az.: 45 Js 4038/19)
So blieb zunächst auch unklar, ob die Beweisführung vor Gericht allein anhand der gesicherten Bild- und Videoaufnahmen zu führen sein wird. Die Staatsanwaltschaft hatte diese Möglichkeit zuvor selbst ins Spiel gebracht. Gegen den Chat-Partner, dem die Beschuldigte Aufnahmen des sexuellen Missbrauchs geschickt haben soll, läuft ein separates Strafverfahren.
Sexueller Missbrauch in Pflegeheimen kommt nach Angaben von Pflegeverbänden selten vor. In der Polizeilichen Kriminalstatistik gibt es dafür keine gesonderte Kategorie. Prozesse um solche Straftaten erregen oft viel Aufsehen. Im Januar 2019 verurteilte das Landgericht Stuttgart einen Heilerziehungspfleger zu vier Jahren und drei Monaten Gefängnis, der sich an einem behinderten knapp 14-Jährigen vergangen hatte. 2015 verurteilte das Landgericht München einen Pfleger wegen sexuellen Missbrauchs einer schwer behinderten Autistin zu achteinhalb Jahren Haft. Die Frau war dabei schwanger geworden, sie brachte einen Jungen zur Welt.
Für den Prozess in Ulm sind drei weitere Verhandlungstage bis zum 14. Oktober vorgesehen. Dabei sollen neben Zeugen auch psychiatrische Sachverständige befragt werden.