Kinder im Chat geködert und sexuell missbraucht

Ein 59-jähriger Fellbacher gesteht vor Gericht, dass er Kinder und Jugendliche im Videochat zu sexuellen Handlungen angeleitet und gefilmt hat.

Kinder im Chat geködert und sexuell missbraucht

Der Fall wird aktuell vor dem Landgericht Stuttgart verhandelt. Symbolfoto: Alexander Becher

Von Heike Rommel

Fellbach. Wegen sexuellen Missbrauchs von sechs Mädchen im Alter von etwa elf bis 14 Jahren hat sich ein 59-jähriger Fellbacher vor dem Stuttgarter Landgericht zu verantworten. Der Mann hat bereits am ersten Prozesstag gestanden, die Kinder zu sexuellen Handlungen angeleitet, diese teilweise aufgezeichnet und mit deren Veröffentlichungen gedroht zu haben, falls die Kinder nicht weitermachen.

Staatsanwalt Rasch konfrontierte den verheirateten Angeklagten, Stiefopa mehrerer Enkelkinder, mit einer umfangreichen Anklage, die Vorwürfe gehen bis in das Jahr 2014 zurück. Die Opfer konnten nach Ermittlungen durch Internetspezialisten der Polizei im Beisein ihrer Eltern erst 2019 vernommen werden. Der Angeklagte war weggezogen aus Fellbach, nachdem die Kripo dort am 17. Oktober 2016 seine Wohnung durchsucht und seine elektronischen Geräte beschlagnahmt hatte.

Der Anklage zufolge soll der Fellbacher, welcher angab, zur Tatzeit wegen eines Hüftleidens nicht mehr als Bahnbeamter gearbeitet und deshalb bis zu zehn Stunden am Tag im Internet tätig gewesen zu sein, ab September 2014 Kontakt zu Mädchen im ganzen Bundesgebiet für Live-Sessions gesucht haben, um sie mittels einer speziellen Aufnahmetechnik zu filmen. Dabei, so Staatsanwalt Rasch, habe der Mann den Kindern materielle Zuwendungen versprochen und diese emotional von sich abhängig gemacht. Erkennen konnten die Kinder nicht, mit wem sie chatteten und wer sie dazu aufforderte, ihm Geschlechtsteile zu präsentieren. Was zurückkam auf angeforderte Nacktszenen waren lobende Kommentare über die körperliche Entwicklung und Aufforderungen zu weiteren sexuellen Handlungen. Er nannte sie „Schatz“, ließ Kommentare ab wie „echt mega“ und forderte immer mehr.

Hunderte von kinder- und jugendpornografischen Bildern

Das alles lief in sogenannten Live-Sessions ab, die er sich als Downloads zur Verfügung stellen ließ: Hunderte von kinder- und jugendpornografischen Bildern und Videos, auf denen sexueller Missbrauch von Kindern und Jugendlichen zu sehen ist, wurden am Ende aus den Geräten des Angeklagten ausgelesen. Dass der Mann die Minderjährigen mit Bedrohungen und Nötigungen zu sexuellen Handlungen gezwungen hat, ist genauso Gegenstand der Anklage wie sogenannte Drittbesitzverschaffung, also das Weiterleiten der Bilder und Videos an andere Nutzer.

„Das ist eine lange Liste von Vorwürfen“, sagt der Vorsitzende Richter Matthias Merz und fragt den Angeklagten, ob er etwas dazu sagen möchte. „Ja, natürlich stehe ich zu der strafrechtlichen Verantwortung, aber da muss ich total krank gewesen sein“, antwortete dieser. „Ich hatte nie die Absicht, Mädchen zu schädigen. Da muss ich ein anderer Mensch gewesen sein. Ich bereue die Taten und bin froh, wieder aufrecht gehen zu können“, zeigte sich der Angeklagte „erschrocken über das, was der Staatsanwalt alles vorgelesen hat“.

Die Frage, ob diese Worte als vollumfängliches Geständnis gelten sollen, bejahte der Beschuldigte im Einvernehmen mit seinem Verteidiger Helge-Kristian Münkel. Außerdem gab er an, dass er kurz nach der Wohnungsdurchsuchung in Fellbach, bei welcher seine Ehefrau alles mitbekommen habe, wegen Depressionen, Sexsucht und Panikstörungen eine Verhaltenstherapie angegangen sei.

Aus der Gerichtsakte wurden Aussagen des Therapeuten verlesen, der von der Verteidigung als sachverständiger Zeuge angegeben wurde. Demnach habe der Angeklagte sich bei dem Therapeuten auch aus Angst vor einer Ehescheidung vorgestellt. Beziehungen zu erwachsenen Frauen, auch Kolleginnen, seien nach Angaben des Patienten sexuell eher problematisch verlaufen und nachdem auch die Ehe „sexuell unbefriedigend“ geworden sei, habe sich dieser mit Internet-Pornos beschäftigt.

Therapeut bescheinigt dem Angeklagten ein geringes Rückfallrisiko

Die dem Gericht vorgelegten Behandlungsziele: Verbesserung des Selbstwertgefühls und der Sozialkompetenz. Hinweis auf eine grundsätzliche sexuelle Störung gebe es keine. Allenfalls, so schreibt der Behandler weiter, lasse sich auf eine pädophile Nebenstörung schließen und bei dem 59-Jährigen bestehe ein sehr geringes Rückfallrisiko. Die Opfersituation der missbrauchten Kinder sei bereits besprochen und kritisch begleitet worden.