Knapper Wohnraum im Rems-Murr-Kreis bereitet Sorgen

Beim zweiten Wohnbaugipfel der Kreisbaugruppe tauschen sich die Akteure in Backnang aus. Wohnraum wird dringend benötigt. Gleichzeitig sind die Bedingungen in der Baubranche schwierig.

Knapper Wohnraum im Rems-Murr-Kreis bereitet Sorgen

In Backnang entstehen auf der Oberen Walke derzeit 450 neue Wohnungen. Die Dibag Industriebau setzt dabei unter anderem auf ein neues Mobilitätskonzept. Foto: Alexander Becher

Von Lorena Greppo

Backnang. Noch sind die Auftragsbücher der Handwerker voll, „aber sie wissen nicht, wie es im nächsten Jahr aussieht“, führte die Ministerin für Landesentwicklung und Wohnen Nicole Razavi anlässlich des zweiten Wohnbaugipfels Rems-Murr im Backnanger Bürgerhaus aus. Und damit kam zum Ausdruck, was viele der Redner in ihren Beiträgen benannten: Unsicherheit dahingehend, wie es im Bausektor weitergeht. Denn Wohnung werden gebraucht – mehr denn je angesichts der wachsenden Flüchtlingszahlen. Gleichzeitig, erklärte Landrat Richard Sigel in seiner Begrüßungsrede, geht die Zahl der Baugenehmigungen bereits zurück. „Wer will heute noch ein Haus bauen?“, fragte auch Razavi. Wirtschaftlich lohne sich der Wohnungsbau angesichts der aktuell rasant gestiegenen Rohstoffpreise nicht mehr – schon gar nicht, wenn er über bezahlbare Mieten finanziert wird.

Wie aber gehen diese beiden Problemlagen – Wohnraummangel und Zurückhaltung im Bau – zusammen und vor allem: Was kann man dagegen tun? Damit befassten sich die Vertreter der Städte und Gemeinden, aber auch private und öffentliche Investoren und Unternehmen der Branche. Entlasten, beschleunigen und richtige Anreize setzen – das seien die Säulen dafür, dass auch in schwierigen Zeiten gebaut werde, so Razavi, die sodann einige Förderprogramme zu diesem Zwecke vorstellte.

Doch die Finanzen waren nicht der einzige Aspekt, der beim Wohnbaugipfel im Mittelpunkt stand. Dass sich der Kreis vorgenommen hat, bis spätestens 2040 klimaneutral zu werden, könne nur gelingen, indem auch nachhaltig gebaut wird, machte Sigel deutlich. „Ambitioniert, aber machbar“, schätzte auch Andreas Schwarz, Fraktionsvorsitzender der Grünen im Landtag, dieses Ziel ein. Er brachte sogleich einige Vorschläge mit, wie nachhaltiges Bauen besser gelingen kann. Er plädierte etwa dafür, mehr Baustoffrecycling zu betreiben, „da sehe ich noch viel Potenzial“. Ebenso berichtete Schwarz von einem Besuch im Freiburger Rathaus – dem ersten öffentlichen Gebäude mit Netto-plus-Energiestandard und 800 Solarmodulen. „Mein Wunsch ist, dass wir mehr solche Projekte haben.“

Neue Konzepte durch Kooperationen

Einen Einblick in die Entwicklungen am Wohnungsmarkt im Rems-Murr-Kreis und in die Geschehnisse seit dem ersten Wohnbaugipfel 2019 gab Dirk Braune, Vorsitzender der Geschäftsführung der Kreisbaugesellschaft. Bis Jahresende werde die Kreisbau 251 öffentlich geförderte Mietbauwohnungen fertiggestellt haben. Braune verwies auf zahlreiche vorbildliche Projekte der Kreisbau – etwa die Umwandlung des ehemaligen Klinikareals. Hier sind auf einer ehemaligen Brachfläche 50 Mietwohnungen in der Entstehung. Des Weiteren zeigte er Beispiele für Kooperationen mit Kommunen bei Infrastrukturmaßnahmen auf: In Weinstadt wurden Kindergarten und Wohnungen in einem Gebäude untergebracht, in Rudersberg entsteht ein Seniorenquartier, in Korb werden im Dorfgemeinschaftshaus Ortsbücherei, Arztpraxis, Museum und Büro des Ortsvorstehers untergebracht.

Auch neue Mobilitätskonzepte werden erprobt: In der Alfred-Leikam-Straße in Waiblingen hat die Kreisbau gemeinsam mit den Stadtwerken ein kombiniertes Angebot aus Fotovoltaikanlage und Carsharing mit zwei Elektroautos integriert und konnte so den Stellplatzschlüssel reduzieren. So ist es übrigens auch bei Backnangs aktuell größtem Wohnbauprojekt auf der Oberen Walke von der Dibag vorgesehen.

37 Prozent mehr Wartende für bezahlbaren Wohnraum

Trotz der vielen vorbildlichen Projekte dürfe man sich auch nicht der Realität verschließen: Das zeigte Braune direkt im Anschluss durch einen Faktencheck auf Grundlage einer Umfrage bei den Kreiskommunen auf. 48 Prozent der Befragten empfinden die aktuelle Marktlage auf dem allgemeinen Wohnungsmarkt als sehr angespannt, im Hinblick auf bezahlbaren Wohnraum sind es gar 70 Prozent. Auf ihren Wartelisten für bezahlbaren Wohnraum verzeichnen die Kommunen im Schnitt einen Zuwachs von 37 Prozent. Zwar seien in etwas über der Hälfte der Kommunen noch Flächen zur Überbauung vorhanden, „das wird aber rückläufig sein“, so Braune.

In verschiedenen Impulsvorträgen wurden den Teilnehmer des Wohnbaugipfels schließlich innovative Ideen und Best-Practice-Beispiele aufgezeigt, die darauf abzielen, den Wohnbau in der Region zu vereinfachen und nachhaltiger zu gestalten. Somit endete die Veranstaltung dann auch trotz schwieriger Rahmenbedingungen mit einem zuversichtlichen Tenor.

Baugenehmigungsverfahren sollen beschleunigt werden

Ausgangslage Genehmigungsverfahren, insbesondere im Bau- und Immissionsschutzbereich, dauern in Deutschland zu lang. Die Gründe sind vielfältig: Zum Teil liegt es an zu vielen und zu detaillierten Vorschriften, zum Teil an Wissenslücken bei Planern und Bauherren und zum Teil an der Arbeitsweise der Verwaltung. Die Landesregierung hat im September 2017 ein Regierungsprogramm zur Entbürokratisierung verabschiedet. Dazu wurde ein unabhängiger Normenkontrollrat eingerichtet. Er berät die Landesregierung beim Bürokratieabbau, bei der Bürokratievermeidung und bei der besseren Rechtsetzung.

Studie Gemeinsam mit dem Rems-Murr-Kreis hat der Normenkontrollrat Baden-Württemberg daher eine Studie initiiert. Gegenstand der Studie „Ein Schlüssel zu schnelleren Genehmigungen – Projektorientierte Verfahrenssteuerung“ sind die Arbeitsweise und der Reformbedarf der Verwaltungsbehörden im Land. Von September 2021 bis Juni 2022 wurden Schwachstellen im Ablauf identifiziert, Handlungsempfehlungen erarbeitet und anhand realer, im Landratsamt des Rems-Murr-Kreis vorliegender Baugenehmigungsverfahren erprobt. Der Empfehlungsbericht liegt inzwischen vor.

Ausblick Geht es nach Landrat Richard Sigel, dann wird das Verfahren komplett digitalisiert. Beim Wohnbaugipfel sagte er: „Wir sehen uns da gerne an der Spitze.“ Sigel weiter: „Verwaltung muss moderner, digitaler und insgesamt intelligenter werden. (...) Das Ziel der Landesregierung, zu entbürokratisieren und die Dauer von Verwaltungsverfahren zu verkürzen, erreichen wir nach meiner Überzeugung nur, wenn Verwaltungen bereit sind, ziel- und projektorientiert zu denken, gerade wenn es um große Bauprojekte im Bereich des Wohnungsbaus, der erneuerbaren Energien oder auch im Hochwasserschutz geht.“