Mit mehreren Geschwistergruppen als Darsteller gelang das Krippenspiel der Stiftskirchengemeinde auch unter Coronabedingungen. Fotos: A. Becher
Von Renate Schweizer
BACKNANG. So viel Auswahl war nie. An Weihnachten 2020 war nur eines gewiss: dass es anders würde als sonst. Gleicher Inhalt natürlich, daran ändert sich nichts, aber dieses Jahr ganz neu verpackt und auch in neuer Packungsgröße. Für viele gehört immer noch der Besuch eines Gottesdienstes substanziell zu Weihnachten und sämtliche Kirchen hatten sich – zitternd und zagend, aber am Ende eben doch – ganz viel ausgedacht, um das zu ermöglichen. Und so gab es viele kleine und ganz unterschiedliche Gottesdienste statt des sonst üblichen Gedränges auf den traditionellen Großveranstaltungen. Zu allen Veranstaltungen musste man sich anmelden und damit ganz sicher niemand abgewiesen werden musste, gab es in allen Gemeinden eine „wundersame Gottesdienstvermehrung“, so der heitere, aber auch ein bisschen erschöpfte Stoßseufzer der Pfarramtssekretärin der Stiftskirchengemeinde, Eva Sorg. Gefeiert wurde auf der Wiese, im Stall, in Werkshallen, auf Straßen und Plätzen, in Kirchen (das gab es natürlich auch) und wer sicherheitshalber das Haus gar nicht verlassen wollte, hatte auch online jede Menge Möglichkeiten.
Beim Krippenspiel der Stiftskirchengemeinde auf dem Stiftshof begrüßen römische Soldaten die Besucher und weisen ein: Hier bitte den ausgedruckten Zettel mit den Kontaktdaten einwerfen und dann zügig zum Platz gehen, dabei Bekannten und Freunden nur aus der Entfernung zuwinken. Für jede Familie war mithilfe des Markierungswagens der TSG ein Viereck auf dem Stiftshof markiert, und es waren wie immer ganz überwiegend Familien, die das Kindermusical zu Weihnachten von und mit Kirchenmusikdirektor Hans-Joachim Renz – und natürlich den kleinen und großen Helfern – sehen und hören wollten. Statt bühnenfüllender zappelig-strahlender Kinderchöre mit wuseligen Schafen, Hirten, Engeln, Heiliger Familie, Elternband und einem schwitzenden Dirigenten, der mit gefühlt 1000 Augen und Armen das alles unter Kontrolle hält, bot sich in diesem Jahr folgendes Bild: Ein Pavillonzelt schützt die kleine Bühne, die Band (bis auf den Schlagzeuger alle Mitglieder der Familie Renz) und die Technik vor Regen. Die Darsteller der Krippenspielszenen singen nicht selbst, gesungen wird ausschließlich von der Sängerin der Band. Die kurzen Szenen spielen jeweils Geschwister, die hinter der Bühne oder in ihrem „Familienviereck“ warten, bis sie dran sind – so ist sichergestellt, dass die Kinder sich weder beim Proben noch bei der Aufführung zu nahe kommen. Eindeutig: Dieses Krippenspiel ist nicht auf Coronabedingungen zurechtgestutzt. Dieses Krippenspiel wurde den Hygieneverordnungen auf den Leib geschneidert. Was gleich bleibt, ist natürlich die Geschichte, die es erzählt. Es ist die Weihnachtsgeschichte, in diesem Jahr getragen von den Schafen als Hauptprotagonisten. Sie wollen, angeführt vom notorischen Ausreißer Lenni und stets verfolgt von den Hirtenhunden Heiko und Dynamo, einen Schatz suchen und sie finden ihn, wer hätte es gedacht, beim Kind in der Krippe. Ebenfalls wie alle Jahre wieder ist die Begeisterung der Darsteller – dieses Jahr gibt es nur Hauptrollen – und die gefühlte Omnipräsenz des Dirigenten: Der tropft schon, bevor es losgeht, aus allen Löchern – es ist nicht Bühnenschweiß, der ihn durchnässt, sondern Regenwasser. (Bei der eigentlichen Aufführung übrigens bleibt es für eine halbe Stunde tatsächlich trocken und länger braucht dieser Musicalgottesdienst auch gar nicht.) Das Schlusslied ist ganz traditionell „O du fröhliche“, diesmal gespielt und gesungen nur von der Band und geschmückt von Engeln, die bunte Bänder schwingen. Die Kinder haben sich offensichtlich schon ans Nichtsingen gewöhnt und auch von den Erwachsenen singt niemand versehentlich mit – und das ist dann, Hygiene hin und Aerosole her – doch sehr traurig. Das Krippenspiel wurde, ebenso wie der nachfolgende Gottesdienst für die Erwachsenen, aufgenommen und ist bei YouTube als Video zu sehen.
Eigentlich hatte es ein Gottesdienst auf der grünen Wiese werden sollen, umgeben von Apfelbäumen – aber angesichts der wenig erfreulichen Wetterprognosen hatte die Liebenzeller Gemeinschaft zumindest für diesen einen ihrer drei Heiligabendgottesdienste umdisponiert. „Maria und Josef konnten sich ihr Wetter ja auch nicht aussuchen“, hieß es in der Gemeinde – aber als dann Malerfamilie Stelzle kurzfristig ihre neue Firmenhalle in den Lerchenäckern als Ausweichquartier anbot, war man doch froh, immerhin zwei der Gottesdienste im Trockenen zu feiern. Zwischen Hochregalen und Paletten, Kabelrollen, Trocknungsgeräten und Baugerüstteilen hatten die gut 50 überwiegend jungen Gäste reichlich Platz zum Abstandhalten. Passend zum Ambiente war hier die Weihnachtsgeschichte in einen Geräteschuppen verlegt, das Christkind lag im Umzugskarton und die ersten Besucher der Heiligen Familie waren nicht Hirten, sondern Fabrikarbeiter der Nachtschicht. Dargeboten wurde das Ganze in Form eines originellen Schattenspiels von Familie Schneider als Tagesschauberichterstattung mit Interviews des Auslandskorrespondenten in Bethlehem. Die Predigt hielt Philipp Walz, Jugendpastor des Jugendbunds für Entschiedene Christen. Musikalisch umrahmt wurde die Feier von einer Zwei-Mann-und-eine-Frau-Band und dem Regen, der zuweilen hörbar aufs Blechdach der Halle prasselte.
Eine knappe Woche vor Weihnachten hatten der Kirchengemeinderat und die beiden Pfarrer der Matthäusgemeinde alle Präsenzgottesdienste über die Feiertage bis zum 10. Januar abgesagt – nicht schwer zu erraten, wie sie um diese Entscheidung gerungen haben. „Wir können uns kaum eine schwerere Entscheidung für einen Kirchengemeinderat vorstellen“, so hieß es in der offiziellen Begründung, die alle miteinander unterschrieben haben. Doch die Zahl der Infizierten stieg jeden Tag – da wollte man nicht an den Weihnachtstagen, vor allem zu Beginn und nach dem Ende der Gottesdienste, noch Extrarisiken erzeugen. Gefeiert wurde trotzdem, online vor allem, und wer dazu gar keinen Zugang hat, konnte am Familiengottesdienst um 16 Uhr oder bei der Christvesper um 18 Uhr auch per Telefon teilnehmen. Im Vergleich zu den Livestreams der Gottesdienste anderer Gemeinden hatten die Matthäusveranstaltungen den Vorteil, nicht einfach mitgefilmte Livegottesdienste zu sein – sie waren ja schon ein paar Tage vorher aufgenommen und von vornherein als digitale Veranstaltungen konzipiert. So gab es zum Beispiel beim Familiengottesdienst Ausflüge ins Wohnzimmer des Liedermachers Mike Müllerbauer und es gab ein Interview mit, öhm, ja, mit Jesus persönlich: Der saß nämlich auf dem Klavier der Matthäuskirche und erzählte, wie das so war bei seiner Geburt. Seine Eltern, so sagte er, hätten ihm die Geschichte ja oft genug erzählt. Jesus hatte bei dieser Gelegenheit die Gestalt einer etwa 30 Zentimeter großen, ziemlich bleichen Stoffpuppe mit Bart angenommen. Befragt wurde er von Pfarrerin und Pfarrer der Matthäusgemeinde, Tamara Götz und Tobias Weimer.
Großer Christbaum mit Lichtern und Strohsternen links vom Altar, Krippe rechts davon – auf den ersten Blick kommt die Christmette in der katholischen Christkönigskirche ganz traditionell daher. Ruhestandspfarrer Manfred Unsin hält den Gottesdienst, zur Seite steht ihm Klaus Herberts als Liturg. Alles ganz normal also? Natürlich nicht. „Weihnachten ohne Singen – das hätte ich mir niemals vorstellen können“, seufzt Herberts im Anschluss an den Gottesdienst. „Denn Weihnachten lebt doch auch vom Gefühl und von der Stimmung – dass die Menschen dicht an dicht sitzen in Gemeinschaft und zusammen singen. Und jetzt das...“ Er zeigt in den großen Kirchenraum, in dem sich 70 angemeldete Gäste weit verstreut fast verlieren. „Aber wir sind ja dankbar, dass wir unter diesen Bedingungen überhaupt feiern können.“ Schaudernd erinnert man sich an Ostern, als gar nichts ging. Musikalisch gestaltet wird der Gottesdienst von Regionalkantor Reiner Schulte an der Orgel und einigen Sängerinnen des Jugendchors Chorios unter der Leitung der Kirchenmusikerin Christiane Schulte. Und das gelingt so überirdisch schön, so wahr, so ernst, so schwebend-leicht, so erdenschwer, dass man danach sogar mit dem Singverbot versöhnt hinauszieht in die weihnachtlich stille Nacht – ein Weihnachtswunder.
Alexander von Wascinski bei den Aufnahmen für den Radiogottesdienst der Evangelischmethodistischen Kirche Backnang