Für Schüler im Rems-Murr-Kreis soll das Fahren mit dem ÖPNV durch ein Jahresticket günstiger werden. Archivfoto: A. Becher
Von Bernhard Romanowski
WAIBLINGEN/BACKNANG. Die Menschen im Rems-Murr-Kreis sollen zur Nutzung des Öffentlichen Personennahverkehr animiert werden. Dies ist erklärtes Ziel der Kreisverwaltung. „Gerade die junge Generation gilt es mit Blick auf das Mobilitätsverhalten zu erreichen und langfristig zu prägen“, erklärt Landrat Richard Sigel zu dem Thema. Im vergangenen Jahr hatten die Kreistagsfraktion von SPD, Freie Wähler, Linke/ÖPD und auch die Grünen mit ihren jeweiligen Anträgen darauf hingewirkt, günstige ÖPNV-Angebote für Senioren, Auszubildende und eben Schüler von der Kreisverwaltung prüfen zu lassen. Bereits seit längerem wird deshalb im Landratsamt darüber nachgedacht, neue vergünstigte Angebote für bestimmte Nutzergruppen als Anreiz zu schaffen. Einer dieser Anreize, ein sogenanntes 365-Euro-Ticket für die Schüler, soll in Zukunft im Rems-Murr-Kreis erhältlich sein. Dies hat der Kreistag in seiner gestrigen Sitzung mehrheitlich beschlossen.
Name und Kostenstruktur des Tickets wurden in Ausschuss und Kreisrat ausgiebig diskutiert.
Zurzeit fahren die Schüler im Rems-Murr-Kreis ab Klasse fünf für monatlich 43,20 Euro mit dem Scool-Abo zur Schule und im ganzen VVS-Gebiet. Seinen Zuschuss hierzu hat der Kreis zur Entlastung der Eltern erst kürzlich erhöht. Aufs Jahr gerechnet sind das bei einem Jahresabo – der Sommermonat August ist kostenlos – 475,20 Euro für die Eltern. Ab September wird das Ticket für die Familien um 2,05 Euro günstiger und kostet im Jahr dann 452,65 Euro.
Ein 365-Euro-Ticket ist im Vergleich dazu ein Schnäppchen. Die jährlichen Kosten für den Kreis ohne Zuschuss vom Bund betragen hierfür 1,4 Millionen Euro. Kommt die erhoffte Förderung durch das Programm des Bundes, lägen die Kosten für den Landkreis in den Jahren 2022 bis 2024 bei insgesamt rund 1,1 Millionen Euro.
Geht es nach der Fördervorgabe des Bundes, dann soll das 365-Euro-Ticket zum Schuljahr 2022/2023 eingeführt werden. Seine Unterstützung gewährt der Bund bis 2024. Ab 2025 müsste der Kreis die Kosten dann ganz alleine stemmen. Dann wäre man bei den 1,4 Millionen Euro an Kosten, die manchen Kreisräten Bauschmerzen bereiten. Und grundsätzlich ist jedes Jahr mit einer Erhöhung der Tarife im VVS-Bereich zu rechnen. Der Beschluss, sich um die Einführung des 365-Euro-Tickets zu bemühen, ging somit nicht ohne Diskussionen vonstatten Das Thema wurde gestern wie auch zuvor schon im Kreis-Verkehrsausschuss kontrovers diskutiert. Grundsätzlich hat wohl niemand etwas dagegen, wenn die jungen Menschen günstig mit Bus und Bahn fahren können. Aber solche Dinge kosten eben meistens sehr viel Geld. Das Bundesverkehrsministerium hat die Förderrichtlinie „Modellprojekte zur Stärkung des öffentlichen Personennahverkehrs“ erlassen, die zum Beispiel einen satten Zuschuss von einer Million Euro für ein 365-Euro-Ticket beinhaltet. Das bedeutet für die Nutzer einen Euro pro Tag im Jahreslauf und soll das Ticket entsprechend attraktiv machen. Das Landratsamt hat auch längst eine Bewerbung dafür abgeschickt. Eine Rückmeldung der zuständigen Stellen steht jedoch noch aus.
Zwar habe das Land schon positives Licht für den Förderantrag signalisiert, so Landrat Sigel gestern. Aber eine definitive Rückmeldung vom Bund könne er den Kreistagsmitgliedern noch vorweisen. Sigel hofft, dass spätestens nach der Sitzungspause im September ein positiver Bescheid vorliegt.
Die Fraktion FDP/Freie Wähler hatte zuletzt den Antrag gestellt, den Antrag des Landratsamts auf Förderung für das 365-Euro-Schülerticket wieder zurück zu ziehen. Nicht zuletzt weil Jochen Haußmann und Werner Häfele mutmaßen, dass die grün-schwarze Landesregierung auf diesem Wege ein 365-Euro-Ticket für alle einführen wolle: also quasi eine Nahverkehrsabgabe der Bürger durch die kalte Küche. Haußmann sprach gar von einem „Antrag mit vergifteten Pfeilen“, der dem Kreis teuer zu stehen kommen könnte.
Denn alles, was der Kreis ausgibt, müssen letztlich die kreisangehörigen Kommunen über die Kreisumlage bezahlen. Der Antrag auf Antragsrücknahme scheiterte aber am Votum der anderen Fraktionen.
In deren Reihen sorgt eher der Begriff für das Ticket für Sorgen: Denn ein 365-Euro-Ticket könne man nicht einfach teurer machen, wenn die Kosten in den kommenden Jahren steigen – und das werden sie aller Voraussicht nach kontinuierlich tun. Dann müsste der Kreis die Mehrkosten tragen und bliebe womöglich darauf sitzen, so die Befürchtung.
„Das ist ein unglücklicher Begriff“, formulierte es denn auch Christoph Jäger (CDU). Bei einer Einführung des Tickets für die Schüler im Kreis gehe seine Fraktion aber mit. Ähnlich äußerte sich Raimon Ahrens seitens der Fraktion Freie Wähler. Am Namen des Tickets und an der genauen Ausgestaltung, sofern die Förderung dazu gewährt wird, könne man ja noch gemeinsam feilen.
Klaus Riedel (SPD) sieht den Namen des Tickets ebenfalls kritisch und schlug den Begriff „Jahresticket“ vor. Ansonsten aber ist Riedel von dem Vorhaben und davon überzeugt, dass man mit einem solchen Ticket auf dem richtigen Weg ist, um die notwendige Mobilitätswende im Sinne des Klimaschutzes einzuläuten.
„Am Begriff soll es nicht liegen“, gab Astrid Fleischer (Grüne) die Zustimmung ihrer Fraktion für das neue Schülerticket wieder. Die Jugendlichen als Zielgruppe „sind keine Kinder mehr, haben aber auch noch kein eigenes Gehalt, sollen aber Erwachsenenpreise zahlen“, kritisierte Fleischer. Das Verhalten der jungen Menschen könne man noch verändern und es sei wichtig, sie an den ÖPNV zu binden. Ein günstiges Seniorenticket gebe es indessen bereits. Eine Ausweitung des 365-Euro-Tickets auf diese Nutzergruppe sei demnach nicht sinnvoll und „nicht nachhaltig“.
Gudrun Wilhelm sah derweil „noch zu viele Unwägbarkeiten“.Die Gruppe Wilhelm/Klinghoffer stimmte dem Vorhaben dementsprechend nicht zu. Ronald Borkowsi (Die Linke) mahnte, dass mit der Einführung der Schülervergünstigung noch längst nicht alles erreicht sei, was man zur Abwendung der drohenden Klimakatastrophe tun müsse.